Deutsch (VI) – Gegenwart

„Die Zeit, in der nur deutsch sein kann, wer deutschstämmig ist, ist beendet“

Dieses Zitat ist eine Behauptung des Soziologen und Journalisten Christian Jakob vom April 2016. – Nach einer Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (2014) definiert die große Mehrheit der Bevölkerung das Deutschsein über andere Kriterien als die Abstammung. Demnach waren 96,8 Prozent der Befragten der Meinung, dass „Deutsch sprechen zu können“ sehr wichtig oder eher wichtig sei, um „deutsch“ oder „wirklich deutsch“ zu sein. Weitere Einschätzungen der Bevölkerung waren (Anteil der Antworten sehr wichtig/teils wichtig): deutscher Pass (78,9 Prozent), akzentfrei Deutsch sprechen (40,8 Prozent), auf das Kopftuch verzichten können (37,8 Prozent), deutsche Vorfahren (37,0 Prozent). Das Statistische Bundesamt gibt für 2021 die Zahl der deutschen Staatsangehörigen mit rund 71,5 Millionen an. Etwas mehr als 16 Prozent davon, nämlich rund 11,76 Millionen, haben einen Migrationshintergrund – besitzen also selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt –, wobei fast 7 Millionen Deutsche ohne eigene Migrationserfahrung sind. Die Zahl der Deutschen ohne Migrationshintergrund im weiteren Sinne wird mit etwas mehr als 60 Millionen angegeben.

Neuere Ansätze der Soziologie und Psychologie

Anhand der Frage, ob jemand ethnisch Deutscher „werden“ kann, lassen sich die Anhänger der Assimilationshypothese von denen der Abstammungshypothese unterscheiden. Die Assimilationshypothese besagt, dass die Anpassung an zentrale kulturelle Merkmale von Bedeutung sei. Dies seien vor allem die Beherrschung der deutschen Sprache, zuweilen die Nichtzugehörigkeit zum Islam, die Wohndauer in Deutschland und ein deutscher Ehepartner. Die Abstammungshypothese dagegen behauptet, dass man „deutsch sein“ nicht lernen könne: „deutsch“ sei man demnach nur, wenn die Eltern Deutsche sind. Auch Bassam Tibi, deutscher Politikwissenschaftler syrischer Herkunft, stellt dazu ausdrücklich fest: „Eine ethnische Identität kann nicht erworben werden.“ Laut einer Studie aus dem Jahr 2010 stimmt jedoch nur einer von 123 befragten Migranten und kein befragter autochthoner Deutscher der Aussage zu: „Man kann nie wirklich deutsch werden.“
Laut einer Studie der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Titel „Deutschland postmigrantisch“, für die über 8200 Menschen befragt wurden, waren 2014 noch 37 Prozent der Ansicht, dass deutsche Vorfahren wichtig seien, um Deutsche oder Deutscher sein zu können. Über 40 Prozent der Bevölkerung sind der Meinung, man müsse dafür akzentfrei Deutsch sprechen. 38 Prozent der Bevölkerung gaben an, wer ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein. Die These, auch Anhänger der Assimilationshypothese hätten Probleme damit, in deutschen Muslimen ethnische Deutsche zu sehen, wurde 1998 von der „Gesellschaft muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler“ bestätigt: Diese haben den Eindruck, „jedes Festhalten an genuin islamischen Positionen, die nicht dem von westlich-abendländischer Seite gesetzten Rahmen für Religiosität, Integrationskriterien und deutsche Identität entsprechen, könne von der Mehrheitsgesellschaft nur als gefährliche Abweichung vom gesellschaftlichen Konsens interpretiert werden.“ Im April 2016 behauptete der Soziologe und Journalist Christian Jakob, „die Zeit, in der ‚nur deutsch sein kann, wer deutschstämmig ist‘“, sei „beendet“.

Siehe auch: Deutsch I – Sprache und Volk
Siehe auch:
Deutsch II – Begriff: Deutsches Volk
Siehe auch:
Deutsch III – Deutsche Nation
Siehe auch:
Deutsch IV – Entstehung der Nation
Siehe auch:
Deutsch V – Völkisches Konzept
Siehe auch:
Deutsch VI – Gegenwart
Siehe auch:
Deutsch VII – Begriffserklärungen

 

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