Deutsch (IV) – Entstehung der Nation

Verherrlichung der Varusschlacht, Nationalheld Hermann der Cherusker

Das Gemälde Erwachende Germania von Christian Köhler zeigt im Zusammenhang mit der Deutschen Revolution 1848/1849 die deutsche Nationalallegorie Germania als Sinnbild der deutschen Nation. Symbolisiert durch die Bärenhaut, von der sich Germania nach einem Schlafe erhebt, überwindet sie den Attentismus.
Bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es kein ausgeprägtes deutsches Nationalbewusstsein. Die territorial-politische Konzeption der ethnisch Deutschen bildete sich erst am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus. Den Wechsel brachten die nationalen Bewegungen in der ersten Hälfte und der Mitte des 19. Jahrhunderts, die nach den siegreichen Befreiungskriegen gegen das französische Kaiserreich und die napoleonische Herrschaft großen Auftrieb erhielten. Sie stellten die Legitimität der herrschenden Dynastien infrage und verbanden die nationale Einheit mit der Forderung nach politischer Mitbestimmung des Volkes und wirtschaftlicher Liberalisierung. Dichter und Philosophen entdeckten Mythen und Geschichten, die die Einheit des Volkes begründen und die Abgrenzung zu anderen Nationen legitimieren sollten: Die Nation wurde aus einer imaginären Vergangenheit beschworen als uralter Organismus, der im „Volksgeist“ wurzelt. Dem verbreiteten Topos vom rohen, unzivilisierten und trinkfesten Deutschen wurde nunmehr das Idealbild von Tacitus’ Germania gegenübergestellt, als Beleg dafür, dass die Deutschen ein Volk mit gemeinsamen Vorfahren (einfache, unverbildete, treu und tapfer lebende Germanen) und gemeinsamer Geschichte seien, die bis in die Antike zurückreiche. Die Varusschlacht wurde verherrlicht, Hermann der Cherusker zum deutschen Nationalhelden stilisiert.

Der Begriff Deutsche schloss schon im Jahr 1871 die Juden aus

Die soziale Konstruktion der Deutschen als ethnisch und religiös homogener nationaler Eigengruppe, die unter anderen „Turnvater“ Jahn, Ernst Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte in den 1810er Jahren leisteten, ging einher mit der Exklusion von Franzosen und Juden, die als fremd markiert wurden. Dies erfolgte auch in Reaktion auf die rechtliche Gleichstellung der Juden, die Napoleon in seinem Herrschaftsbereich durchgesetzt hatte und die nach 1814 vielerorts wieder rückgängig gemacht wurde. Obwohl viele deutsche Juden sich einer deutschen Kulturnation zugehörig fühlten und deutsche Staatsbürger waren, war auch nach ihrer endgültigen Emanzipation in der Reichsverfassung von 1871 ein antisemitisches Verständnis des Begriffs Deutsche verbreitet, das Juden ausschloss.

Reichsgründung 1871: Erster einheitlicher deutscher Nationalstaats

Die bürgerlich emanzipatorische deutsche Nationalbewegung führte zur Paulskirchenverfassung von 1849 mit dem Abschnitt VI Grundrechte des deutschen Volkes, in dem Volkszugehörigkeit und die Grundrechte beschrieben sind. Darin wurde nicht die ursprünglich angestrebte territorial-politische multinationale großdeutsche Lösung eines Bundesstaates konzipiert, sondern die räumliche und ethnische Verengung der Nationalität (kleindeutsche Lösung) hatte in der Nationalversammlung die Toleranz zurückgedrängt.[33] Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. wies die von der Kaiserdeputation angetragene Kaiserwürde am 2. April 1849 vor dem preußischen Kronrat zurück, da er eine nationale Einheitsbewegung (Erfurter Union) unter restaurativer preußischer Führung ohne „Frankfurter Unwesen“ anstrebte.
Erst 1871 wurde mit der Reichsgründung der erste einheitliche deutsche Nationalstaat begründet. Seine Einwohner wurden entsprechend als „Reichsdeutsche“ bezeichnet. Andere Deutsche hatten ihre Siedlungsgebiete meistens in Vielvölkerstaaten und nannten sich beispielsweise Banater Schwaben oder Sudetendeutsche usw. Für sie wurde hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus der Sammelbegriff „Volksdeutsche“ verwendet. Im Vollzuge der Gleichschaltung der Länder zum nationalsozialistischen Einheitsstaat erfolgte nach dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 mit Verordnung vom 5. Februar 1934 die erstmalige und bis heute gültige Verankerung der deutschen Staatsangehörigkeit in den Standesregistern.

Siehe auch: Deutsch I – Sprache und Volk
Siehe auch: Deutsch II – Begriff: Deutsches Volk
Siehe auch: Deutsch III – Deutsche Nation
Siehe auch: Deutsch IV – Entstehung der Nation
Siehe auch: Deutsch V – Völkisches Konzept
Siehe auch: Deutsch VI – Gegenwart
Siehe auch: Deutsch VII – Begriffserklärungen:

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