900.000 Protestierer: „Zeichen gegen das Schweigen und die Gleichgültigkeit“
Auslöser für die Demonstrationen waren Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter am 25. November 2023, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Daher fanden (bzw. finden) in vielen deutschen Städten Demonstrationen gegen die Partei statt. Nach Polizei-Angaben protestierten rund 900.000 Menschen bundesweit im Januar/Februar 2024 öffentlich gegen den Rechtsextremismus und für die Demokratie. Auch in Dorsten hat es am 26. Januar eine Kundgebung auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus gegeben. In regionalen und überregionalen Medien war die Berichterstattung über diese aufwallenden Demonstrationen von Menschen in großen und kleinen Städten, die offensichtlich um die Zukunft der Demokratie bekümmert sind, das Tagesthema Nr. 1. Nach Polizeiangaben demonstrierten vergangene Woche mehr als 900.000 Menschen deutschlandweit. – In Dorstens wurde am 26. Januar auf dem Marktplatz demonstriert, an der sich rund 5000.Menschen beteiligten (siehe Lexikon-Artikel: Demonstration 2024 in Dorsten). In der nahen Nachbarstadt Schermbeck, um ein Beispiel eines kleineren Ortes zu nennen, demonstrierten am 27. Januar auf dem Marktplatz 650 von insgesamt rund 13.500 Einwohnern.
Doch was bringen diese Veranstaltungen? Der Dorstener Wissenschaftler und Jurist Dr. Hendrik Cremer hat eine Antwort auf diese Frage. Er sagt: „Die Demonstrationen sind sehr wichtig. Sie sind ein Zeichen gegen das Schweigen und gegen die Gleichgültigkeit. Und sie machen Mut.“ Aber er sagt auch: „Die Demonstrationen alleine reichen nicht aus, um den Zuspruch der AfD zu mindern.“ Notwendig sei außerdem eine kontinuierliche Aufklärung in den Schulen und den Medien.
Mit 100.000 Menschen in Düsseldorf die größte Demonstration
An der bisher größten Demonstration gegen rechts in Nordrhein-Westfalen haben sich am 20. Januar in Düsseldorf bis zu 100.000 Menschen beteiligt. In dem Demonstrationszug durch die Stadt waren in der Spitze bis zu 65.000 Menschen mitgelaufen, bei der Hauptkundgebung unter dem Motto „Gegen die AfD – Wir schweigen nicht. Wir schauen nicht weg. Wir handeln!” auf den Rheinwiesen seien es schließlich bis zu 100.000 gewesen, so ein Polizeisprecher. Ebenfalls eine größere Protestveranstaltung fand in Aachen statt. Am Samstagmittag startete eine von Fridays-for-Future initiierte Demonstration vom Hauptbahnhof zum Katschhof. An der von der Partei Die Grünen veranstalteten Kundgebung „Wir sind Aachen, Nazis sind es nicht!“ nahem 20.000 Menschen teil. Aber nicht nur in den beiden größten NRW-Städten gab es Kundgebungen. Auch in Eschweiler demonstrierten etwa 3000 Menschen. In Issum waren nach Polizeiangaben 700 Menschen unterwegs. In Moers nahmen nach Informationen der Polizei 8000 Menschen an der Demonstration teil, darunter viele ältere. Von „Uromas“, schrieb die dortige Lokalzeitung. In Wermelskirchen schätzt das Ordnungsamt die Zahl der Teilnehmenden auf 1500 bis 2000. In Remscheid stand die Demo unter dem Motto „Remscheid hält zusammen: Für Demokratie und Menschenwürde”. Laut Polizei nahmen mehr als 3500 Menschen daran teil. In zahlreichen weiteren Städten in NRW gab es am Samstag ebenfalls Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und gegen ein Erstarken der AfD. In Köln, der größten Stadt in NRW, war eine Protestveranstaltung auf dem Roncalliplatz geplant. Demonstrationen fanden unter anderem auch in Bad Salzuflen-Schötmar, Bielefeld, Schwerte, Menden, Dortmund, Borken, Bocholt, Dinslaken, Waltrop, Troisdorf, Wesel, Essen und Gelsenkirchen statt. Diese Städtenamen-Liste könnte fortgesetzt werden
Überblick über die Samstag-/Sonntag-Demonstrationen in Bundesländern
Niedersachsen: Prominente politische Unterstützung hatte auch die Demonstration im niedersächsischen Osnabrück, wo Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit auf die Straße ging. Er war der Polizei zufolge einer von etwa 25.000 Menschen, die Organisatoren bezifferten die Zahl auf rund 30.000.
Baden-Württemberg: In Sigmaringen nahm Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als Privatperson an einer Demonstration teil. Insgesamt kamen laut Polizei etwa 2.000 Menschen. Viele Familien waren bei dem Protest dabei. Auf Plakaten hieß es unter anderem: „Ekelhafd“ oder „Rechts wählen ist 1939“. In Singen zählte die Polizei rund 4000 Demonstranten, in Mannheim bis zu 20.000.
Rheinland-Pfalz: An der größten Demonstration in Rheinland-Pfalz nahmen Polizeiangaben zufolge rund 6000 Menschen teil. Für den Protest in Kaiserslautern hatten nach Angaben der Veranstalter vorab mehr als 50 Initiativen, Vereine, Parteien und Institutionen ihre Unterstützung angekündigt. In Worms zählte die Polizei etwa 4000 Demonstrierende. In mehreren rheinland-pfälzischen Städten sind am Samstag mehr als 10.000 Menschen gegen die AfD und Rechtsextremismus auf die Straße gegangen.
Schleswig-Holstein: Mehr als 35.000 Menschen demonstrieren gegen Rechtsextremismus. Am Sonnabend gingen die Menschen in vielen Orten auf die Straße – unter anderem in Kiel und Lübeck. In Kiel zählte die Polizei rund 11.500 Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. „Unsere Demokratie ist stabiler als die Demokratie vor 100 Jahren, aber seien wir uns nicht zu sicher“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). In Lübeck kamen laut Polizei etwa 8000 Demonstranten zusammen. Auch in vielen kleineren Orten wurden Aktionen für Demokratie, Solidarität und Vielfalt organisiert, etwa in Heide, Elmshorn und Husum. Häufig kamen laut Norddeutscher Rundfunk mehr Menschen als erwartet.
Bayern: Auch an vielen Orten Bayerns zog es die Menschen auf die Straße, zum Beispiel in Sonthofen und Lindau mit jeweils rund 2000 Teilnehmenden. In Schwabach schlossen sich nach Polizeiangaben mehr als 5000 Bürgerinnen und Bürger einem Demonstrationszug an. In Neumarkt in der Oberpfalz versammelten sich rund 1500 Menschen unter dem Motto „Schweigen reicht nicht mehr – Aktiv werden gegen rechts“. In Ingolstadt kamen laut Polizei rund 6.000 Menschen zusammen.
Hessen: Demonstrationen gegen rechte Strömungen fanden auch in vielen hessischen Städten und Gemeinden statt, häufig hatten Bündnisse aus Politik und Kultur zu den Demos aufgerufen. Die größte Veranstaltung begann am Nachmittag in Marburg: Nach Polizeiangaben versammelten sich rund 16.000 Menschen in der Innenstadt – unter dem Motto „Marburg gegen rechts“, wie der Hessische Rundfunk meldete.
Brandenburg: Im brandenburgischen Frankfurt (Oder) fand, wie es hieß, die größte Demonstration in der Stadt seit vielen Jahren statt, auch hier lautete das Motto „Nie wieder ist jetzt!“. Die Polizei sprach von 4000 Teilnehmenden, die Veranstalter von etwa 5000.
Thüringen: Auch im thüringischen Weimar demonstrierten Hunderte Menschen gegen Rechtsextremismus. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich 1500 Teilnehmer, die Veranstalter zählten 2000 Menschen. Der Theaterplatz sei voll, das Publikum bunt gemischt, hieß es.
Mecklenburg-Vorpommern: Die größte Kundgebung gegen Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern gab es in Wismar. Dort hatten sich nach Angaben der Polizei 1500 Menschen am Mittag am Bahnhof versammelt. Eine weitere Kundgebung für Demokratie, Vielfalt und Menschlichkeit mit rund 170 Menschen gab es auf dem Rathausplatz in Wolgast. Auch in Boizenburg fand eine Demonstration statt. Die größte Demonstration fand in Wismar statt.
Sachsen Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus! Gemeinsam für Menschlichkeit und Demokratie!“ drückten im sächsischen Bautzen Menschen ihre Sorgen vor einem Rechtsruck aus. Laut Polizei folgten dem Aufruf etwa 1500 Menschen. Auch in Plauen und Döbeln wurde demonstriert.
Wissenschaftler Dr. Arzheimer über Massenmobilisierung erstaunt
Wer demonstriert da eigentlich? „Man kann von der berühmten bürgerlichen Mitte sprechen, die sich versammelt“, meinte der Mainzer Politik-Professor Dr. Kai Arzheimer gegenüber dem SWR von einer „Graswurzel-Bewegung“. Auf die Straße gingen aktuell „nicht nur Menschen, die sich regelmäßig politisch engagieren, sondern Leute, die jetzt Gesicht zeigen möchten“. Der Politologe vermutet, dass die Demo-Welle in ein paar Wochen zunächst abebben wird, „da der konkrete Anlass – die Enthüllungen über das Geheimtreffen in Potsdam – in den Hintergrund geraten wird und andere Dinge die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden.” Gibt es weitere Enthüllungen oder sollte die AfD weitere Anlässe geben, könnte das allerdings zu einer fortlaufenden Bewegung führen, vermutet Arzheimer. Vor den Europawahlen im Juni und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst rechnet der Politik-Professor hingegen mit weiteren Demo-Wellen.
Politologe Arzheimer vermutet, dass die Demo-Welle in ein paar Wochen zunächst abebben wird, „da der konkrete Anlass – die Enthüllungen über das Geheimtreffen in Potsdam – in den Hintergrund geraten wird und andere Dinge die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden.” Gibt es weitere Enthüllungen oder sollte die AfD weitere Anlässe geben, könnte das allerdings zu einer fortlaufenden Bewegung führen, vermutet Arzheimer. Vor den Europawahlen im Juni und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst rechnet der Politik-Professor hingegen mit weiteren Demo-Wellen.
Ob daraus eine größere Bewegung entsteht, hänge zudem davon ab, „wie breit der Konsens der Demonstrierenden tatsächlich ist“, sagt der Politologe. Er zielt dabei auch auf kritische Stimmen auf Demos in Rheinland-Pfalz gegen Politikerinnen der CDU und FDP ab, „die Begriffe der AfD übernehmen“. Sollten sich Demonstrierende „auseinanderdividieren lassen“, würde der Konsens bröckeln. Generell ist Arzheimer „erstaunt, dass wir noch mal eine solche Massenmobilisierung sehen“. Der Politik-Professor erinnert an die Zeit vor Corona, in der das sogenannte „Unteilbar“-Bündnis teils mehr als 100.000 Menschen gemeinsam auf die Straße brachte. Auch damals wurde gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert. Die Pandemie bremste die Bewegung aus. „Schon jetzt scheinen mehr Menschen als damals zu demonstrieren“, beobachtet der Politologe mit Blick auf die aktuellen Demos. Nach Polizeiangaben demonstrierten vergangene Woche mehr als 900.000 Menschen deutschlandweit.
Siehe auch: Dr. jur. Hendrik Cremer
Siehe auch: Demonstration 2024 gegen Rechts in Dorsten
Siehe auch: Demonstration 2024 / Schermbeck
Siehe auch: Demonstration 2024 / Recklinghausen
Siehe auch: Demonstrationen 2024 / 20. und 21. Januar
Siehe auch: Demonstration 2024 / Berliner Reichstag
Siehe auch: Demonstrationen 2024 / 3. und 4. Februar
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