Die Stadt wurde zum strategischen Spielball der Mächte und verblutete
Von Wolf Stegemann – Der Religions- und vor allem Machtkrieg dauerte von 1618 bis 1648. – Schon 1621 wurde das Vest in den Krieg hineingezogen. Zwar war dem Vest von den Generalstaaten Neutralität zugesagt worden, doch kümmerten sich beide Parteien wenig darum. Schwedische, hessische, kaiserliche, ligistische und unistische Truppen zogen im Wechsel durch das Vest. Als der „tolle Christian“ von Braunschweig 1622 das Vest bedrohte, konnten Ritterschaft und Landstände die Gefahr durch Geldzahlungen noch abwenden. Gegen die Streifzüge der mansfeldischen Truppen mussten an der Lippe Wälle aufgeworfen werden, wobei Dorsten wegen seiner strategischen Lage eine besondere Bedeutung zukam. Am Aschermittwoch 1633 besetzten die Hessen unter General-Lieutenant Graf Melander von Holzappel die Stadt, die erst 1641 von 20.000 Mann starken kaiserlichen Truppen unter Feldmarschall Graf Melchior von Hatzfeld-Krottorf-Gleichen und Freiherr Otto Christoph von Sparr nach zweimonatiger Belagerung und einem Beschuss von 5.789 Kanonenkugeln zurück erobert werden konnte (siehe Merian-Stich). Die Hessen bauten Dorsten zur Festung aus, vertrieben die Franziskaner und richteten im Kloster ihr Arsenal ein. Dorsten wurde hessischer Hauptwaffenplatz. Nach monatelanger Belagerung und ihrer Kapitulation unter dem Festungskommandanten Johannes Geyso durften sie in allen militärischen Ehren abziehen. Dorsten hatte bis zum Ende des Krieges eine kaiserliche Besatzung unter Oberst Veldberg. Matthaeus Merian d. Ä. schrieb 1647 über Dorsten im Dreißigjährigen Krieg:
„Dieses Städtlein, an der Lippe gelegen, wird zur westfälischen und dem Erzstift Köln gehörenden Herrschaft Recklinghausen gezählt, die an das Stift Münster stößt. Die Hessisch-Kasselischen haben sich dieses Ortes bemächtigt und Anno 1639 befestigen lassen. Aber Anno 1641 begann im Juli Herr General von Haßfeld die Stadt von weitem zu belagern und trieb die Belagerung hernach mit Ernst weiter, daß sich die Hessischen endlich zu einer Übereinkunft bereit erklärten und am 19. September des Neuen Kalenders mit Sack und Pack, fliegenden Fahnen, Ober- und Untergewehren, Kugeln im Mund und zwei Stücken Geschütz ausgezogen sind. Die Aufforderung geschah im Namen Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht zu Köln, hinein aber zog des Herrn Haßfelds Regiment – hierzu auch das ,Theatrum Europaeum’. Im Frühlingsbericht des 1642 Jahres ist zu lesen, daß etwa fünfzehntausend Schüsse auf die belagerten Hessischen abgegeben wurden und Granaten, einhundertzwanzig und einhundertachtzig Pfund schwer, auf sie geworfen wurden.“
Schwedische Truppen hielten die Stadt noch bis 1650 besetzt
Die Bevölkerung in Deutschland wurde ohne Erbarmen und ohne Rücksicht von der Soldateska ausgeplündert. Dabei spielte es keine Rolle, ob die durchziehenden Heere kaiserlich, schwedisch, französisch, katholisch oder evangelisch waren. Die Bauern wussten sich oft nicht anders als durch Aufstände zu helfen. In dieser Situation war die Hoffnung auf Frieden die einzige Hoffnung, die die Menschen noch besaßen. Und diese Hoffnung sollte ein Friedenskongress in Westfalen erfüllen. Nach dem Frieden von Münster und Osnabrück 1648 verblieben im Vest fünf schwedische Kompanien unter General von Königsmarck, davon eine in Dorsten. Sie blieben, bis den Schweden die im Friedensvertrag zugestandene Entschädigungssumme von fünf Millionen Reichstalern bezahlt wurde. Bei ihrem Abzug im Jahre 1650 musste Dorsten der schwedischen Kompanie zudem 10.000 Taler aushändigen.
Nach dem Krieg entstand ein Europa der neuen Ordnung
Formal wurde der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, unter dem Begriff eine Bündelung verschiedener Kriege zu verstehen ist, mit unüberbrückbaren religiösen Gegensätzen und ungelösten Problemen der Reichsverfassung begründet. Inhaltlich wird er getragen vom Streben der Stände, ihre Macht und Souveränität im Reich auszuweiten. Während der Kaiser bemüht war, die politische und religiöse Einheit des Reiches zu erhalten und nach Möglichkeit zu restaurieren, waren die ausländischen Staaten nach Kräften bemüht, die Macht des Hauses Habsburg zu schwächen.
Der Kaiser verletzte bewusst die Reichsverfassung
Trotzdem gibt es bei der historischen Aufarbeitung dieses Themas immer wieder gedankliche Ansätze, die die theoretische Möglichkeit ins Kalkül ziehen, dass der Krieg bei entsprechenden Verhaltensweisen der verantwortlichen Entscheidungsträger nicht ausgebrochen wäre bzw. sich unter bestimmten Bedingungen z. B. in den Jahren 1620/1621 durch Friedensverhandlungen hätte beilegen lassen. So wird die These vertreten, dass, wenn Friedrich V., der Kurfürst von der Pfalz, 1621 den englisch-spanischen Plan einer politischen Lösung des Konflikts zwischen dem Kaiser und ihm akzeptiert hätte, der Dreißigjährige Krieg nicht weitergeführt worden wäre. Denn Friedrich von der Pfalz hatte allen strategischen und machtpolitischen Überlegungen zum Trotz die ihm angebotene böhmische Königskrone angenommen. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag verlor er sie wieder. Nach Meinung des Kaisers verstieß er mit der Parteinahme für die böhmischen Aufständischen und der Annahme der Königswürde gegen geltendes Recht. Friedrich sah dies anders. Daraufhin wurde er geächtet und der Kaiser entzog ihm die Kurfürstenwürde und übertrug sie Maximilian von Bayern. Damit verletzte Kaiser Ferdinand II. die Verfassung des Reichs und brach vorsätzlich den Eid, den er bei seiner Krönung in Frankfurt geschworen hatte.
Um dieser Entwicklung zuvorzukommen, hatte der spanische Hof einen Vorschlag unterbreitet, der vorsah, dass Friedrich zu Gunsten seines ältesten, siebenjährigen Sohnes zur Abdankung gezwungen werden sollte. Der Sohn sollte dann nach Wien gebracht und in der Familie des Kaisers erzogen werden, um später eine der Töchter des Kaisers zu heiraten. Dieser Plan war verfassungskonform und fand die Unterstützung sowohl des Königs von England, des Schwiegervaters Friedrichs, als auch des Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg. Aber Friedrich, untüchtig, eigensinnig, starrköpfig und vertrauensselig, weigerte sich, abzudanken. Unterstützt wurde er in seinem Verhalten von seiner jungen Frau. Sie muss schön gewesen sein, diplomatisch geschickt, charmant und ohne jede Skrupel im Schachspiel um die Macht. Sie fand mächtige Verbündete. Dass die kaiserlichen Räte in Prag aus dem Fenster der Burg geworfen wurde, war nur der Anlass, nicht aber die Ursache des Dreißigjährigen Kriegs, der über die Menschen in Mitteleuropa unermessliches Leid brachte, gleichzeitig aber auch den Beginn einer neuen Politik in Europa einleitete, deren Prinzipien bis heute Geltung haben.
In der Bewertung des Kriegs haben Historiker keine einhellige Meinung
Der Historiker Friedemann Bedürftig, der 1998 das „Taschenlexikon zum Dreißigjährigen Krieg“ herausgegeben hat, tat sich mit den Erklärungen schwer („besonderes Kopfzerbrechen“). Im Vorwort begründete er dies: „So fern, fremd, ja archaisch mutet die wild bewegte Epoche des Dreißigjährigen Krieges an und zugleich so gespenstisch modern und aktuell.“ Bis heute, so Bedürftig, gebe es zu diesem Krieg insgesamt ebenso wenig eine einhellige Meinung wie zu vielen anderen Aspekten oder über die Hauptakteure. „Eine Zentralfigur wie Wallenstein zeigt schon, wie heftig Charakterbilder in der Geschichte schwanken können: Vom Finsterling zur Lichtgestalt.“ Er und viele andere Beteiligte kommen in der Literatur in allen Rollen vor (siehe Wunderheilung; siehe Hessen in Dorsten und Lembeck; siehe Chigi; siehe Geyso; siehe Grimmelshausen; siehe Reumond; siehe Braunschweig, Christian von).
Quellen/Literatur:
Prof. Dr. Albert Weskamp „Das Heer der Liga in Westfalen 1622-23“, Münster 1891. – Hermann Rothert „Westfälische Geschichte“, Bd. 1-3, Münster 1986. – Prof. Dr. Julius Evelt „Beiträge zur Geschichte der Stadt Dorsten und ihrer Nachbarschaft“ in „Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens“, Münster 1863/64, 1866. – Friedemann Bedürftig „Taschenlexikon Dreißigjähriger Krieg“, Pieper 1998.