Napoleons revolutionäres Zivilgesetzbuch überlebte ihn und die Zeiten
Als Napoleon durch Dekret die Herrlichkeit Lembeck und die Stadt Dorsten dem Kaiserreich Frankreich einverleibte, wurde auch das französische Zivilrecht in Form des „Code Civil“ (kurzzeitig auch „Code Napoleon“ genannt), ein neuzeitliches Gesetzeswerk, eingeführt und emanzipatorische Gesetze im Sinne der Revolution von 1789 erlassen. Das 1804 in Frankreich erlassene Gesetzeswerk ist dort in wesentlichen Teilen auch heute noch gültig.
Der „Code Civil“ wurde auch in den anderen durch Frankreich in der Zeit von 1807 bis 1814 dominierten Staaten eingeführt. Binnen weniger Jahre galt er von Lissabon bis Warschau und von Holland bis zur Adria. Nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo setzte sich seine erfolgreiche Verbreitung dieser Hinterlassenschaft dennoch fort. In Deutschland galt der „Code Civil“ bis 1900. Danach wurde er vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) abgelöst. Das Gesetzeswerk setzte die zentrale Forderung der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ um. Allen männlichen Bürgern wurde Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit für jeden, Schutz des Privateigentums, vollkommene Trennung von Staat und Kirche, Gewerbefreiheit und freie Berufswahl, Aufzeichnung von Geburten und Todesfällen (Personenstandswesen) garantiert. Diese Gesetze, die in französischer Zeit auch in Dorsten und in den Herrlichkeitsdörfern galt, brachte auch die Gleichstellung der Juden mit der übrigen Bevölkerung und die Befreiung der Bauern von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen mit sich. Außerdem durften aus hygienischen Gründen keine Beerdigungen mehr innerhalb der Stadttore stattfinden und es wurden Zwangsimpfungen gegen die Pocken eingeführt. Während im darmstädtischen Herzogtum Westfalen und in Arenberg-Meppen die Neuerungen auf Nachhall stießen, konnten sie sich in Westfalen, wo die Bevölkerung zäh am Alten festhielt, nur teilweise und sehr langsam durchsetzen, was insbesondere die Agrarreform betraf.
Im Vest Recklinghausen wurde das Gesetzbuch 1809 eingeführt
Im Vest Recklinghausen, das seit 1803 zum Herzogtum Arenberg gehörte, galt seit 1809 der Code Napoleon. Als erster Fürst des von Napoleon dominierten Rheinbundes führte ihn auf Bitten Napoleons Herzog Prosper Louis im Vest ein. Neben der französischen Originalfassung galt auch die deutsche Übersetzung. Große Neuerungen brachte der Code Napoleon, der das kurkölnische Recht ablöste, vor allem im Ehe- und Familienrecht. Eingeführt wurde die standesamtliche Trauung im Beisein von Zeugen als alleingültig; kirchliche Trauungen waren weiterhin zulässig aber ohne zivilrechtliche Wirkung. Schwägerschaftsehen mit dem Bruder oder der Schwester des verstorbenen Ehegatten wurden verboten und nur durch Dispens weiterhin möglich. Mit Inkrafttreten des Code Napoleon konnten alle Ehen (auch katholische) geschieden werden, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben waren. Von großer Bedeutung war das eheliche Güterrecht insbesondere für den überlebenden Partner. Es galt fortan die Errungenschaftsgemeinschaft (vorher Gütergemeinschaft). Die weiterhin auch im Code Napoleon festgeschriebene Stellung unehelicher Kinder verbesserte der Herzog von Arenberg dahingehend: „Natürliche Kinder sind gleichfalls berechtigt, von ihrem Vater den Unterhalt zu fordern. Nur schriftliche Beweise sind jedoch zulässig, in sofern es darauf ankommt, ihre Abstammung darzutun.“ Nach dem Code Napoleon waren uneheliche Kinder nicht erbberechtigt. Nach dem verbesserten Einführungsedikt des Herzogs konnten uneheliche Kinder im Vest, soweit sie nicht imstande waren, sich selbst zu ernähren, von den Erben Unterhalt verlangen, „wie der natürliche Vater hierzu verbunden gewesen wäre“.
Quelle:
Letzter Absatz entnommen Werner Schubert „Wohin Napoleons Gesetzbuch kommt, da entsteht eine neue Zeit, eine neue Welt, ein neuer Staat“ in „Franken und Franzosen im Vest 1773 bis 1813“, 2010.