Bauern

Sie waren dem Eigentumsherrn mit Diensten, Blut und Gut zugetan

Bauer hinterm Radpflug, 15. Jahrhundert

Bauer hinterm Radpflug, 15. Jahrhundert

Von Wolf Stegemann – Etwa 50 bis 60 Prozent aller Einwohner Dorstens suchten Rückhalt in der Landwirtschaft. Noch 1816 arbeitete die Hälfte der Dorstener Bevölkerung als Knechte und Mägde bei Bauern, Eindrittel der Bevölkerung bestand aus Handwerkern, und nur fünf Prozent waren im Handel beschäftigt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war über die Hälfte der Bevölkerung in Gewerbe und Industrie tätig.
Allerdings lebten auf dem Gebiet des Oberhofes Dorsten, auf dem das 1251 zur Stadt erhobene Kirchdorf stand, keine Bauern. Daher bewirtschafteten die Bürger außer den gekauften und ererbten Anbauflächen vor allem Pachtland der Stadt und des Stifts Xanten sowie der Abtei Werden und des Damenstifts Essen. Darüber hinaus erwarben einige Bürger Güter zu Lehen und Zehnt-Rechte.

Rechte und Pflichten der Hobsbauern waren geregelt

Bauernarbeit, 15. Jahrhundert

Bauernarbeit, 15. Jahrhundert

Die Hobsbauern, auch Hofesbauern genannt, standen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Oberhof. Ihre Rechte und Pflichten waren in einer Hofesordnung geregelt. Sie verlieh ihnen ein erbliches, dingliches Nutzungsrecht an dem Hof, wenn sie ihn nach den Grundsätzen bäuerlicher Wirtschaft bestellten und Abgaben leisteten. Zur Erbfolge war der älteste Sohn bzw. in Ermangelung die älteste Tochter und bei Kinderlosigkeit die nächsten Verwandten berechtigt. Neben den Hobsbauern gab es eine große Zahl von Eigenhörigen im Dorstener Raum. Vermutlich haben sich die Eigenhörigen aus den Hobsbauern entwickelt. Ihre Eigenart bestand darin, dass jemand dem Eigentumsherrn mit Gut und Blut zugetan sowie zu Dienstleistungen und Abgaben verpflichtet war. Die Eigenhörigkeit war niemals rein persönlich, sondern bestand nur in Beziehung auf ein in erblichem Besitz und Nießbrauch Gut, einem Hof oder Kotten. Die Eigenhörigen genossen weniger gutsherrlichen Rechtsschutz als Hobsbauern und mussten mehr Abgaben und Dienste (Spanndienste) leisten. Eigenhörige konnten auch getauscht werden. Die Eigenhörigkeit endete durch Freilassung, wenn der Eigenhörige in einen Orden eintreten wollte oder durch Freikauf. Mitte des 15. Jahrhunderts mussten 100 rheinische Goldgulden aufgewendet werden, um zehn in der Umgebung von Dorsten wohnende leibeigene Frauen freizukaufen (siehe Gottfried Bley).

Münstersche Leibeigentumsordnung von 1770 für die Herrlichkeit

Ländliche Raufereien gab es schon immer!

Ländliche Raufereien gab es schon immer!

In Hervest und Holsterhausen galt die „Münstersche Leibeigenthumsordnung von 1770“, in Dorsten die kurkölnische „Eigenthumsordnung für das Vest Recklinghausen“ von 1781. Davor richtete man sich nach der „Minden-Ravenbergschen Eigenthumsordnung“ von 1661 und nach Herkommen (siehe Freie). 1799 schrieb der Schulkommissar des Vests, Anton Wiggermann, über den Erwerbssinn des Bauern im Vest:
„Es scheint mir im ganzen beim vestischen Landmann ein Charakterzug zu sein, dass er träge und ohne Erwerbstrieb ist, lieber so mit seinen Angewohnheiten, wie er es nennt, zufrieden ist und die Hände in den Schoß legt, als dass er thätig und gewinnen sollte.“
Franz Brunn, Amtmann der Ämter Lembeck und Altschermbeck, gab um 1842 ein Lebensbild der Bauern des 18. Jahrhunderts ab. In der amtlichen Chronik steht:

„Sie bewohnten ein Haus, welches je nach dem Bedürfnisse aus mehreren hölzernen Gebinden bestand, die durch Lehmwände ausgefüllt waren. Das Dach war mit Stroh eingedeckt. In einem oder zwei Seitenanbauten war die Stallung fürs Vieh und einige Kammern und Bühnen zu Schlafstellen angebracht. Der mittlere Raum diente als Dreschtenne und im oberen Teile waren der Herd und die Küche, wo die ganze Haushaltung um ein großes Feuer ihren Platz, Licht und Wärme fand. Die Hausmutter konnte vom Herde aus das gesamte Vieh überschauen. Schornsteine kannte man erst später. Früher fand der Rauch seinen Ausgang durch ein kleines Fenster. […] Später wurden hie und da in besonderen Anbauten Stuben für Weben und Spinnen angebaut und die Strohdächer und Lehmwände mit Ziegeln ersetzt, satt der Lehmflure in die Kammern Bretterflure gelegt, und allmählich die Häuser bis zur jetzigen Bequemlichkeit gebracht.
Die Kleidung bestand aus selbstverfertigter grauer und weißer Leinwand und Drillich für den Sommer und aus einem Mengtuch aus Schafswolle und Leinen, so genanntes Futterlaken,  für den Winter. Auch schaffte sich jeder Mann, wenn er heiratete, einen dreieckigen Hut und einen Rock von grobem dickem Tuche an, die fürs ganze Leben aushielten. Die Frauen trugen im Winter ebenfalls wollne Röcke und Jacken. Die Nahrung war sehr einfach und solide. Kaffee und Zucker waren unbekannte Dinge. Fleisch wurde wenig gegessen. Dagegen war der Bierkrug sehr beliebt. Käse besonders C-unleserlich-tent, Brot und Bier bildeten die einzigen Genüsse bei den Jahresfesten der Gilde und manchen anderen festlichen Gelegenheiten.“

Bauernbefreiung – Leibeigenschaften in Preußen aufgehoben

Bauernleben (Zeichnung von Pieter Brueghel 1568)

Bauernleben (Zeichnung von Pieter Brueghel 1568)

Als Bauernbefreiung versteht man die oftmals allmähliche Auflösung der persönlichen Verpflichtungen von Bauern gegenüber ihren Grundherren (Leibeigenschaft) im 18. und 19. Jahrhundert. Der Begriff Bauernbefreiung wurde erst 1887 von Georg Friedrich Knapp („Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens“) als liberale Kritik an der Politik der preußischen Regierung geprägt. In Preußen wurde 1799 die Leibeigenschaft der Domänenbauern im Rahmen der preußischen Agrarverfassung aufgehoben. Zunächst gab es keine Reformanstrengungen bei den Privatbauern. Einen entscheidenden Schub gab es erst 1807 im Rahmen der preußischen Reform unter vom Stein und Hardenberg. Diese Stein- und Hardenbergschen Reformen waren unmittelbare Folge der Napoleonischen Kriege und der militärischen Niederlage Preußens gegen die französische „Revolutionsarmee“.

Zweite Reformwelle: Bauern konnten sich von ihren Grundherren lösen

In den deutschen Staaten, die unter direktem oder indirektem französischen Einfluss standen, wie Westfalen, fanden ebenfalls Reformen statt, die eine Befreiung von feudalen Lasten ermöglichten, allerdings nur gegen finanzielle Entschädigung. Teilweise wurden diese Reformen nach dem Ende der französischen Herrschaft wieder zurückgenommen. Eine zweite Reformwelle setzte nach 1830 (Juli-Revolution) ein. Sie führte zu so genannten Ablösungsgesetzen, die genau die Entschädigungsleistungen der Bauern an ihre Feudalherren regelten. Seit den späten 1830er-Jahren ermöglichten Ablösungstilgungskassen den Bauern eine finanziell günstige Ablösung, die aber immer noch auf Jahrzehnte höchst belastend blieb. Die Inflation 1914 bis 1923 erleichterte den letzten, sich noch ablösenden Bauern die Tilgung ihrer Schulden enorm, und durch die Revolution nach dem Ersten Weltkrieg 1918/19 hörten auch die letzten halbfeudalen Strukturen auf zu bestehen.

Folgen der Bauernbefreiung: Ausuferndes Leben, Tanzen und Trinken

So lustig war das Bauernleben nicht!

So lustig war das Bauernleben nicht!

Der oben bereits erwähnte Amtmann Franz Brunn beschrieb in der amtlichen „Chronik der Herrlichkeit Lembeck“ um 1842, welche Folgen die Aufhebung der Leibeigenschaft für die Landbewohner aus seiner Sicht hatte. Mit der Bauernbefreiung brachte er ein ausuferndes Tanzvergnügen der Jugend sowie einen vermehrten Genuss von Branntwein in Verbindung, was wiederum durch den Militärdienst gefördert wurde:

„Durch die Aufhebung der Leibeigenschaft und aller daraus herfließenden Verpflichtungen, und durch allmähliche Befreiung des Grundeigentums, wurde eine wesentliche Veränderung hervorgerufen. Der Chausseebau schleuderte eine Masse Geldes unter die arbeitende Klasse, die dadurch instand gesetzt wurde, ihre Freiheit recht zu genießen. Die früheren, durch die Zeit  geheiligten Feste wurden teils, weil ihr eigentlicher Zweck aufgehört hatte, teils durch Polizeigesetze vor und nach unterdrückt. Dagegen entschädigte sich insbesondere die Jugend durch häufigere Tanzlustbarkeiten, welche alsbald zu einer bedrohlichen Frequenz heranreiften. Die darauf gelegte Abgabe zum Vorteil der Armenkasse […] waren nicht ausreichend, ihren Lauf zu hemmen.“  [In den sieben Dörfern der Herrlichkeit gab es im Jahre 1842 insgesamt 169 Tanzveranstaltungen, davon allein in Lembeck 67.] „An Stelle des unschuldigen Bieres war der Branntwein fast überall das herrschende Getränk geworden. Die Eltern und Hausväter, welche an den Belustigungen, die von der Jugend geleitet wurden, keinen Geschmack finden konnten, zogen sich an den Herd zurück oder blieben ganz zu Hause, so dass die Jugend […] sich selbst überlassen blieb. Die mit den Verführungskünsten wohl ausgerüsteten, aus dem Militärdienste heimkehrenden jungen Leute spielten natürlich keine untergeordnete Rolle in den Gesellschaften.“

Brunn merkt an, dass das Verhalten der jungen Landbewohner, sich nicht mehr unterordnen zu wollen, die Alten „entnervt und verkümmert“ hätten. Warum junge Bauern in schlechten Häusern wohnen mussten, begründet Franz Brunn so:

„Eine fernere Ursache in der Entartung dürfte noch in dem häufigen Genuss der Kartoffel und des Branntweins, sowie die sitzende Lebensweise, die die Mädchen und Frauen nicht nur den ganzen Winter, sondern sogar einen großen Teil des Sommers an das Spinnrad bannt, um ihr kümmerliches Leben zu fristen.“

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