Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot
Die stärkste Auswanderungswelle von Dorstenern und Bewohnern der Herrlichkeit in die Vereinigten Staaten fand Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Vor allen Dingen war es die durch die Industrialisierung und schlechte Ernten entstandene wirtschaftliche Not der 1840-er Jahre, die viele ins Ausland trieb, aber auch die Enttäuschung über die missglückte bürgerliche Revolution von 1848 und die danach einsetzenden Repressalien der Herrschenden. Ein Sprichwort der damaligen Zeit über die Auswanderer nach Amerika lautete: „Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot.“
Zwischen 1842 und 1849 suchten allein aus Dorsten und der Herrlichkeit Lembeck über 200 Personen ihr Glück durch Auswanderung. Es waren vornehmlich Handwerker, Bauern, Kötter, Tagelöhner. Sie versuchten der großen Not zu entkommen und im fernen Amerika eine neue Existenz zu gründen. Die meisten schafften es, etliche nicht. Darüber gibt es keine Zahlen. Die Auswanderung hielt im minderen Maß bis zur Jahrhundertwende 1900 an. Wer auswandern wollte, musste den Antrag stellen, aus dem preußischen Staatsverband entlassen zu werden. Die in Dresden erschienene Zeitschrift „Auswanderer“ informierte über Formalitäten, billige Reiserouten, Heiratsgesuche wohlhabender Amerikaner und hatte eine Suchspalte und Auskunftei über angeblich Verschollene. Der Verlag inserierte in den 1880-er Jahren mehrmals im „Dorstener Wochenblatt“, offerierte den Dorstenern offene Stellen in Amerika und England.
L. Rosenheim wurde Amerikaner, kam zurück und wurde wieder Preuße
Es gab auch Fälle, wie den des jüdischen Bürgers Samuel Lucas Rosenheim aus Dorsten, der 1883 die preußische Staatsbürgerschaft ablegte, nach Amerika auswanderte, nach einem Jahr zurückkam und die preußische Staatsbürgerschaft wieder annahm. Ein anderer, Jakob Julius Schlickum, ein glühender Freiheitskämpfer von 1848, wanderte 1849 nach Amerika aus, wurde in Texas Distrikt-Friedensrichter und verweigerte 1861 den Kriegsdienst in der Südstaatenarmee. Nach seiner Festnahme durch Texasranger und kurz vor seiner Hinrichtung entkam er nach Mexiko, wo er an Gelbfieber starb. Sein in Texas geborener Sohn kehrte nach Dorsten zurück. Bis 1888 wanderte die gesamte Familie Eisendrath nach Chicago aus. Die in Dorsten als Gerber tätig gewesenen Eisendraths gründeten dort ein Lederwaren-Imperium. 1933 hatte der „Eisendrath-Cousins-Club“ in Chicago rund 3.000 Mitglieder, deren Vorsitzender einen Brief an Reichspräsident Hindenburg schrieb, in dem er vor dem Antisemitismus des neuen Reichskanzlers Adolf Hitler warnte.