Mehr junge Menschen der Bildungselite bekennen sich zum Antisemitismus
Sie glauben, dass es den Staat Israel nicht geben dürfte. Hamas und Hisbollah betrachten sie nicht als Terrororganisationen, sondern als Widerständler. Demos, Protestcamps und judenfeindliche Vorfälle an Universitäten in NRW zeugen davon, wie sich ausgerechnet junge Menschen aus der Bildungselite antisemitischen Thesen anschließen. „Es gibt ein Bündnis von islamistischen Gruppierungen und Strömungen linker Aktivisten an Universitäten und Hochschulen, die sich selbst als politisch links und als progressiv verstehen“, erklärte der Antisemitismusforscher Andreas Stahl, Leiter der zentralen Anlaufstelle an der Uni Münster, die seit Mitte August judenfeindliche Vorgänge an den mehr als 70 Hochschulen in NRW dokumentiert.
Theorie: „Gründung des Staates Israel ein Akt der Kolonisierung gewesen“
Den intellektuellen Nährboden dafür biete die sogenannte postkoloniale Theorie, eine Art Denkschule mit langer Historie. Ihr Ursprung liegt in Erkenntnissen darüber, wie Europäer beispielsweise afrikanische Länder ausgebeutet haben und wie sich das bis heute auswirkt. Diese Kolonialismus-Kritik habe sich aber seit den 70er-Jahren radikalisiert, so Stahl. Nach dem Weltbild von extremistischen Anhängern sei auch die Gründung des Staates Israel ein Akt der Kolonisierung gewesen, der – so die Schlussfolgerung – rückgängig gemacht werden müsste. Das Ganze mündet dann in Hass, mit dem jüdische Studierende im Uni-Alltag konfrontiert sind. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus NRW, die judenfeindliche Vorkommnisse im gesamten Bundesland registriert und zu der Stahls Anlaufstelle in Münster gehört, liefert dazu erste Daten. „In einer Zwischenbilanz für das erste Halbjahr 2024, vom 1. Januar bis 12. Juli, haben wir nach vorläufigen Zahlen 65 Fälle dokumentiert, die sich an Hochschulen in NRW ereignet haben. Es handelte sich dabei um Angriffe, Bedrohungen und verletzendes Verhalten“, fasste Andreas Stahl zusammen. „Im gesamten Jahr davor hatten wir nach erster Auswertung 19 Fälle, die meisten davon nach dem 7. Oktober, also nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Und dieser Trend setzt sich fort. Meine persönliche Einschätzung ist: Es gibt keine Entschärfung.“
Die antisemitische Situation wird von manchen Unis verharmlost
In den Protestcamps in den Uni-Städten sei die Lage über den Sommer zwar ruhiger geworden, seit Beginn des Wintersemesters gebe es aber wieder mehr Aktivität. Stahl warnt davor, die Situation zu unterschätzen. „Unis behaupten gern, da seien nur Aktivisten von außerhalb unterwegs. Das halte ich für eine falsche Darstellung: Da sind auf jeden Fall Studierende dabei“, sagte er. „Der radikale Kern ist zwar nicht besonders groß, aber die Lage wird von einem Teil der Unis verharmlost. Auch, indem israelfeindliche Aktionen als legitimer Protest bezeichnet werden.“
Quelle: Sina Zehrfeld in g RN (DZ) vom 7. Dezember 2024