Inbegriff der deutsch-israelischen und christlich-jüdischen Verständigung
Von Wolf Stegemann – 1925 in Marl bis 2021 ebda.; Kaufmann und langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen. – Rolf Abrahamsohn unterstützte die neugegründete Jüdische Kultusgemeinde Bochum/Herne/Recklinghausen, deren Vorsitzender er von 1978 bis 1992 war. Auch war er im Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit aktiv. Abrahamsohn war Gründungsmitglied der Israelstiftung des Kreises Recklinghausen, in deren Vorstand er ab 1982 viele Jahre tätig war. In den 1980er-Jahren unterstützte er als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde die Arbeit der von Wolf Stegemann und Dirk Hartwich gegründeten Forschungsgruppe Regionalgeschichte/Dorsten unterm Hakenkreuz von Anfang an und ist auch Mitbegründer des Trägervereins für das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten, in dessen Beirat er dem Vorstand mit Rat und Tat zur Seite stand. 1990 verlieh im der Dorstener Verein für jüdische Geschichte und Religion die „Julius-Ambrunn-Medaille“. Seine Eltern hatten in Marl ein Textilkaufhaus und Rolf Abrahamsohn besuchte zuerst die evangelische Schule in Marl-Brassert, wechselte 1935 auf eine höhere Schule, war dort nur fünf Minuten lang, dann wurde er als Jude der Schule verwiesen. Er besuchte daraufhin die jüdische Volksschule in Recklinghausen. 1938 fing er eine Vorlehre als Schlosser in einem jüdischen Betrieb an. Im gleichen Jahr zerstörten während des Novemberpogroms SA-Männer das Textilgeschäft seines Vaters, der dabei schwer verletzt wurde. Danach zog die Familie nach Recklinghausen. Rolf Abrahamsohn wurde 1942 zusammen mit seiner Mutter in das Ghetto nach Riga deportiert, wo seine Mutter umkam, er dann sechs andere Konzentrationslager mit Zwangarbeit durchstehen musste, darunter Buchenwald, Stutthof und Theresienstadt. Sein Vater und sein Bruder überlebten die Konzentrationslager nicht.
Nach dem KZ in seine Heimatstadt Marl zurückgekehrt
Nach seiner Befreiung kehrte Rolf Abrahamsohn 1945 zuerst nach Recklinghausen und vier Jahre später in seine Heimatstadt Marl zurück. „Wo hätte ich schon hingehen sollen? Ich war allein und überall ein Fremder!“ Er bekam das „arisiert“ gewesene Elternhaus zurück. Die Stadt Marl hatte seinen Vater 1938 gezwungen, Geschäft und Wohnhaus zu „verkaufen“, wobei die Abrahamsohns wegen der vorangegangenen Zerstörung und der Brandschäden durch die SA noch 9000 Reichsmark zahlen mussten. Der Bürgermeister, vormals „ein guter Freund der Familie“, hatte das Haus übernommen. Abrahamsohn reiste oft nach Berlin, wo entfernte Verwandte von ihm wohnten. Dort lernte er Annelie Tuch, Tochter eines Arztes kennen, heiratete sie 1953, danach wurde Sohn André geboren. Rolf Abrahamsohn wurde erfolgreicher Textilkaufmann. Die Zeit der Verfolgung ging an ihm jedoch nicht spurlos vorüber. Eine andauernde Schlaflosigkeit trieb ihn nachts aus dem Bett. Dann knüpfte er bis zum Morgen Teppiche. Unermüdlich war Rolf Abrahamsohn unterwegs, um in Schulen oder bei öffentlichen Veranstaltungen über sein Schicksal zu erzählen, was er als Mahnung verstanden wissen wollte, nicht als Anklage. Denn Abrahamsohn war versöhnlich. Er machte die Menschen – vor allem die Jugend – hellhörig für Menschenverachtung, Intoleranz und Diskriminierung. Der Recklinghäuser Landrat Helmut Marmulla nannte ihn einmal den „Inbegriff deutsch-israelischer Völkerverständigung“. 2011 wurde Rolf Abrahamsohn vom Kreis Recklinghausen die Vestische Ehrenbürgerschaft verliehen. 2016 wurde er Ehrenvorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen.
Mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet
Im Januar 2020 wurde der 94-Jährige für sein großes Engagement gegen das Vergessen von Ministerpräsident Laschet in Marl (Foto) mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. Mit dem Landesverdienstorden ehrt die Landesregierung Bürgerinnen und Bürger für herausragende Verdienste um das Gemeinwohl und um das Land NRW. Rolf Abrahamsohn hatte sich diese Verdienste erworben, weil er die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen des Holocaust und seine Opfer wach hielt, indem er unter anderem Schülerinnen und Schülern berichtete, welche Grausamkeiten die Nationalsozialisten seiner Familie und ihm aufgrund ihres jüdischen Glaubens angetan haben. Durch seine Besuche in Schulen habe Rolf Abrahamsohn dazu beigetragen, dass nichts vergessen werde und dass vor allem die Opfer nicht vergessen würden. Laschet: „Rolf Abrahamsohns Lebensweg ist für uns alle eine Mahnung, dass wir immer wachsam bleiben müssen gegenüber jeder Form von Rassismus und Antisemitismus.“ In seiner Laudatio sagte der Ministerpräsident: „In sieben Konzentrations- und Arbeitslagern hat er selbst ein unvorstellbares Martyrium erlebt. Es ist Rolf Abrahamsohns überragendes Verdienst, dass er die menschliche Größe und Kraft aufgebracht hat, bei uns in Nordrhein-Westfalen die Erinnerung an die Nazi-Diktatur und an den Holocaust wach zu halten.“ Und weiter sagte Laschet: „Ohne das herausragende Engagement von Rolf Abrahamsohn wäre das Jüdische Leben im Ruhrgebiet nicht das gleiche, wie wir es heute vorfinden. Gemeinsam mit anderen Holocaust-Überlebenden hat er Jüdisches Leben im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen erst wieder möglich gemacht.“
Über sein Leben als Jude damals und Aufklärer heute, hatte er ein autobiografisches Buch mit dem Titel „Was machen wir denn, wenn der Krieg zu Ende ist?“ geschrieben. In ihm beschrieb Rolf Abrahamsohn seine Lebensstationen zwischen 1925 und 2010. Es ist im Klartext-Verlag 2010 erschien. – Rolf Abrahamsohn starb 96-jährig nach längerer Krankheit Ende Dezember 2021.
Siehe auch Rolf Abrahamsohn in „Dorsten unterm Hakenkreuz“