Städtische Zustimmung und bürgerlicher Protest - auch vor Gericht
Im Januar 2015 besuchte eine Delegation aus der türkischen 320.000-Einwohnerstadt Belikesir Dorsten, die Interesse an Biogas und dessen Vermarktungen hatte. Die Gruppe, bestehend aus Mitgliedern der Verwaltung und Handelskammer, besichtigten u. a. den Biohof Dahlhaus sowie einen Betrieb im Interkommunalen Industriepark.
Die Großanlage zur Erzeugung von Biogas entstand 2010 im Interkommunalen Industriepark Dorsten-Marl. Auf einer 3,5 Hektar großen Fläche zwischen dem Dorstener Hafen und dem dänischen Unternehmen Genan investierte die EnDI AG aus Halle (Saale) nach eigenen Angaben rund 23 Millionen Euro in eine 5,5-Megawatt-Anlage zur Biomethan-Produktion. Bauherr war die Bioenergie Dorsten GmbH als 100-prozentige EnDI-Tochter. Betrieben wurde sie mit Mais-Silage (75.000 Tonnen pro Jahr), Gülle (25.000 t/Jahr), Hühnerkot (10 000 t/Jahr) und Energie-Getreide (5.000 t/Jahr). Täglich wurden etwa 315 Tonnen Frischmasse benötigt. Zuständig für die Lieferung war die Loick Agroservice GmbH des Lembeckers Hubert Loick. Die Anlage produzierte ab 2011 pro Tag etwa 32.000 Normkubikmeter aufbereitetes Biomethan, das ins Gasnetz eingespeist wurde. Lange konnte die Anlage nicht in Betrieb genommen werden. Denn der Bau war ins Stocken geraten. Nach neuen Problemen der Aufbereitungsanlage hatte die Betreiberfirma EnDI Bioenergie Dorsten ihren Vertrag mit dem Generalunternehmer, der spanischen Firma Ros Roca Envirotec, gekündigt. Aus anderen Ursachen hatte sich die Fertigstellung des Millionenprojekts bereits zuvor um fast zwei Jahre verzögert. Die bis zum Jahresende 2012 geplante Inbetriebnahme war damit in weite Ferne gerückt. EnDI wollte erst durch einen Sachverständigen den Stand der Arbeiten prüfen lassen und dann die Restaufträge vergeben. 2012 machte das Unternehmen einen Umsatz von rund 16 Millionen Euro, meldete aber im November 2013 Insolvenz an. Die Produktion wurde 2014 eingestellt (siehe Interkommunaler Industriepark Marl/Dorsten).
Bürger demonstrierten gegen das Odas-Werk im Emmelkamp
In Holsterhausen entstand auf der Rüskamp-Brache am Steinwerk eine weitere komplexe Biogasanlage. Das Unternehmen Odas Biogas (gegründet 2004) verarbeitet dort jährlich 15.000 Tonnen Grünschnitt, Holz (zusammen 75 Prozent) und Mist von Pferden, Rindern und Hühnern (25 Prozent), um darauf Biogas zu produzieren. Das Gas wird in einem Blockheizkraftwerk in Strom und Wärme gewandelt. Die Gärreste werden aufbereitet und an Erdenwerke verkauft. Aus der Bevölkerung und der Landwirtschaft hatte sich erheblicher Widerstand gegen das Vorhaben gemeldet. Befürchtet wurde vor allem ein durch den Gärdurchlauf freigesetzter Gestank. Mitglieder der Bürgerinitiative Emmelkämper Mark (BEM) und Anwohner hatten gegen den Genehmigungsbescheid des Kreises für das ODAS-Projekt am Steinwerk fristgerecht Widerspruch eingelegt. In einer Presserklärung vom März 2010 heißt es:
„Die BI Emmelkämper Mark vertritt die Auffassung, dass die geplanten industriellen Anlagen in ein Industriegebiet gehören und bei angemessener technischer Ausrüstung dort auch genehmigungsfähig wären, wie dies andere Anlagen in Dorsten zeigen.“
Die Initiative wollte daher ihre rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen mit dem Ziel, die geplanten Anlagen mit der angemessenen technischen Ausstattung am richtigen Ort betreiben zu lassen und das Naherholungs- und Landschaftsschutzgebiet Emmelkämper Mark zu erhalten. Im März 2010 demonstrierten etwa 80 Bürger gegen die Anlage, in der „50.000 Tonnen Holzreste und Müll, sowie rund 100.000 Tonnen Grünzeug, Baumschnitte“ zerlegt und gelagert wurde. Die Bürgerinitiative bekannte sich aber auch ausdrücklich zur Nutzung von Biomasse. Gleichermaßen hob sie die Notwendigkeit hervor, bebauungsnahe Naherholungsgebiete und schützenswerte Landschaftsteile zu erhalten und weiterzuentwickeln. Mitte März 2010 wies das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Widersprüche von Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen die geplante Abfallbehandlungsanlage ab.
Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) wies im Dezember 2010 die Klagen der Bürgerinitiative endgültig zurück und bestätigte den Beschluss des Verwaltungsberichts Gelsenkirchen vom Juli 2010. Somit konnte die ODAS-Biogasanlage in Holsterhausen im Jahr 2011 gebaut werden. Das Unternehmen will an diesem Standort seine Hauptverwaltung ansiedeln, aber vor allem auch Altholz verwerten und Biogas erzeugen. Ende November beschwerten sich etliche Anlieger des Biomassewerks an der Steinhalde über den anhaltenden Gestank der gärenden Komposthaufen. Da keine Grenzwerte der Geruchsbelästigung überschritten waren, hatte die Kreisbehörde keine Handhabe, gegen den Betreiber vorzugehen. Bereits im August wurden Beschwerden über Geruchsbelästigung der Umgegend bekannt. Im Dezember besichtigte der Umweltausschuss des Rates in Begleitung von Vertretern der Immissionsbehörde des Kreises und Anwohnern das Holsterhausener Biomassewerk. Die Werksleitung erklärte, dass beim Zersetzungsprozess der organischen Stoffe ein säuerlicher Geruch entstünde, der womöglich durch eine wochenlange Lagerung verstärkte werde. Nun soll ein Gutachter das Ausgangsmaterial untersuchen. Der Gestank war immer wieder auch bis in den Ortskern von Holsterhausen hinein zu bemerken. Wegen der Zunahme der üblen Gerüche wurde von Bewohnern der Straßen „An der Vogelstange“ Mitte Januar 2012 erneut der Kreis Recklinghausen eingeschaltet.
Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster eine späte Genugtuung
Nach verlorenen Verfahren durch alle Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht Münster erfährt die Bürgerinitiative Emmelkämper Mark nun späte Genugtuung. Nach einem Jahr Prüfzeit urteilte der Petitionsausschuss des NRW-Landtags in Düsseldorf: „Die Baugenehmigung für das Biomasse-Werk Emmelkamp war nicht rechtmäßig.“ Die zuständigen Behörden bei der Stadt und beim Kreis werden nun aufgefordert, eine Rücknahme der Genehmigung des Biomassewerks im Emmelkamp zu prüfen. Dies brauche aber nicht zwangsläufig zu einer Rücknahme der Genehmigung führen, wenn nunmehr nachträglich die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte eingehalten werden. Die Bürgerinitiative und die Geschäftsführung des Biomassekraftwerks wertet dies als großen Erfolg, weil durch die Nachbesserungen für den Standort des Werks im Nah- und Erholungsraum keine Gefahr mehr für einen weiteren Ausbau bestehe.
In Wulfen auf dem Hof Schulte-Spechtel und Anbau in Altendorf-Ulfkotte
Im Juni 2010 wurde die rund 1 Million Euro teure Anlag auf dem Hof Schulte-Spechtel nördlich der Barkenberger Gesamtschule in Betrieb genommen. Pro Jahr soll der Fermenter 860.000 cbm Biogas erzeugen, das in 2 Millionen kWh Strom verwandelt wird. Die dabei entstehende Wärme kann zur Beheizung des Tennisparks, der Sporthalle der Gesamtschule und des Hallenbades verwendet werden. Bis zur Sporthalle sind schon Rohre verlegt. Verwertet wird u. a. die Gülle von 300 Rindern und 14.000 Puten des Hofes. Hofbesitzer sind Marie Therese Schulte Spechtel und Christoph Brüggemann. Die Loick Bioenergie GmbH und die Ruhrkohle Aktiengesellschaft (RAG) schlossen im September 2014 einen Kooperationsvertrag mit dem Ziel, innovative und nachhaltige Projekte der Biomassegewinnung zu fördern. Das Projekt startete auf einer landwirtschaftlichen Fläche im Stadtteil Altendorf-Ulfkotte. Auf einer etwa zehn Hektar großen Fläche werden Früchte und Pflanzen für Biomasseproduktion angebaut.
Unter dem Motto „Energie von Rhadern für Rhader“ errichtete der Landwirt und Biogasunternehmer Matthias Krampe 2010 auf seinem Hof eine Biogas-Anlage, in der nur nachwachsende Rohstoffe genutzt werden. Neben der Haltung von Milchvieh ist dies das „zweite Standbein“ des Hofes. Die Rhader Urbanusschule ist an dieses Netz angeschlossen worden.
Quellen und Foto
Ludger Böhne in WAZ vom 21. Oktober 2009. – Nach Martin Ahlers in WAZ vom 2. Dezember 2009. – Klaus-Dieter Krause „Nach mehr als einjähriger Prüfung: Petitionsausschuss hält Biomassewerk-Genehmigung für unrechtmäßig“ in DZ vom 13. August 2012. – Ders. „Pleite dreht womöglich Gashahn zu“ in DZ vom 16. November 2013.