1945: Junge Soldaten starben sinnlos an der Holtstegge in Holsterhausen
Von Wolf Stegemann – Ein Soldatentransportzug wurde am 12. März 1945 am Bahngleis der Strecke Haltern-Wesel an der Holtstegge in Holsterhausen bombardiert. Dabei kamen über 70 meist jugendliche Soldaten ums Leben, von denen die meisten auf dem Kriegsgräberfriedhof in Holsterhausen bestattet wurden. Dieses Kriegsereignis geriet in den Nachkriegsjahren in Vergessenheit. Der Ökumenische Geschichtskreis Holsterhausen beauftragte den Journalisten Wolf Stegemann, dieses Ereignis zu recherchieren und zu veröffentlichen („Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, Band. 2, 2009). Im November 2009 brachte der Ökumenische Geschichtskreis in Zusammenarbeit mit der Stadt Dorsten an der Stelle des ehemaligen Gleises eine bronzene Informationstafel an.
Bomben auf den Soldaten-Zug an der Holtstegge mit über 70 Toten
Dieses tragische Kriegsereignis erschreckte wenige Tage vor Kriegsende die Bevölkerung von Holsterhausen, vor allem diejenigen, die an der Pliesterbecker Straße bzw. Holtstegge wohnten. Augenzeugen berichten: Der 12. März 1945 war ein Montag. Von der nahen Front in Wesel war hin und wieder ein fernes Grummeln des Geschützdonners zu hören. Durch Holsterhausen strömte die Rückflut von Soldaten, die von den Alliierten, die den Rhein bei Wesel überschritten hatten, stark bedrängt wurden. Das Reservelazarett in Maria Lindenhof war überfüllt. Die Front rückte näher. Die damals bestehende Eisenbahnstrecke von Haltern nach Wesel war zweispurig ausgelegt. Ein Transportzug, vollbesetzt mit Soldaten, die von Dinslaken kamen, rollte langsam auf den Gleisen Richtung Haltern und kam am Haupthaltesignal an der Holtstegge zum Stehen. Gregor Duve, damals gerade acht Jahre alt, war dabei, als sein Vater, der Schrankenwärter war, am Übergang Baldurstraße die Schranke herunterkurbelte. Da stets mit Jagdbomberangriffen der Amerikaner zu rechnen war, hatte der Schrankenwärter an der Baldurstraße einen Unterstand von etwa 2,50 Metern im Quadrat. Die Seitenwände und die Decke waren mit dicken Eisenbahnbohlen geschützt und darüber lag noch eine ein Meter dicke Erdschicht.
Es war Mittagszeit, als der Zug mit seinen 30 bis 40 Waggons, die bis zur Firma Schaub standen und voll besetzt mit Kampfsoldaten und Kriegsmaterial waren, zum Stehen kam, um auf die Einfahrt in den Bahnhof Hervest-Dorsten zu warten. Ein typisches Vorgehen bei Fliegeralarm. In einer solchen Situation durften die Züge nicht in den Bahnhof einfahren, sondern mussten auf freier Strecke stehen bleiben. Plötzlich fielen Bomben aus der grauen Wolkendecke und trafen zielgenau den Güterzug. Gregor Duve und sein Vater suchten Schutz im Unterstand. Von draußen her hörten sie das Krachen und Donnern der einschlagenden Bomben. Es waren mindestens zehn Einschläge von Bomben in Reihe, die den mit Kampfsoldaten vollbesetzten Zug trafen. Als es still war und die Flugzeuge weiterflogen, die wegen der tief hängenden Wolkendecke wohl zu hören, aber kaum zu sehen waren, hörten Gregor Duve und sein Vater entsetzliches Schreien und Stöhnen. Sie verließen ihren Unterstand und sahen die Katastrophe. Mehrere Waggons waren durch die Wucht der Explosionen aus dem Gleisbett geflogen und lagen nun umgekippt im Gleisbereich. Die Lok stand neben dem Gleis. Verletzte Soldaten lagen schreiend am Boden, andere liefen verstört herum. Dazwischen versuchten Sanitätssoldaten und Anwohner die Verwundeten zu versorgen und die Toten zu bergen.
Möglicherweise wurde der Kommandant am Kommissariat umgebracht
Während die Verletzten entweder ins Idastift oder ins Lazarett Maria Lindenhof gebracht wurden, reihten die Soldaten ihre toten Kameraden am Bahndamm auf. Werner Tottmann hat sie gezählt. „Es waren 74 Tote, die man auf der linken Seite am Bahnwall hingelegt hatte.“ Es gab noch einen 75. Toten, den Zugkommandanten. Der gerade sieben Jahre alte Ernst Ottens, der sich mit seinem Vater an der Böschung aufhielt, sah den Kommandanten, wie er mit vorgehaltener Pistole die bereits ausgestiegenen und Schutz suchenden Soldaten zwang, wieder in den Zug zu steigen, als die Flugzeuge kamen. Dies hatte tragische Folgen auch für den Offizier. Als er nach der Bombardierung zum Kommissariat an der Pliesterbecker Straße ging, in dem Polizei und Verwaltungsstellen untergebracht waren, suchten ihn seine Soldaten. Werner Tottmann erzählt von ihren erbosten Rufen: „Wo ist der Sauhund!“ Als sie ihn fanden, erschossen sie ihn in einem der lang gezogenen Schützengraben neben dem Kommissariat. – Eine andere Version besagt, dass der Kommandant überlebt hat und als Pensionär in Hamburg verstorben ist.