Er erlebte im März 1933 die brutale Machtübernahme in Dorsten
Von Wolf Stegemann – 1899 in Danzig bis 1981 in Braunschweig; Dominikaner und Widerstandskämpfer im Dritten Reich. – Der prominente Dominikanerpater, der bürgerlich Leo Stanislaus Braun hieß, unterhielt freundschaftliche Beziehung zu Dorstener Franziskanern und war mehrmals zu Besuch in Dorsten. Dabei wohnte er im Franziskanerkloster. In seinen Aufzeichnungen erinnerte er sich an den 5. März 1933, als die Ergebnisse der Reichstagswahl bekannt gegeben wurden, bei denen die NSDAP im Reich große Zugewinne hatte. Das, was er an diesem Abend in Dorsten gesehen und gehört hatte, gehörte zu den Erlebnissen des damals 34-jähriges Geistlichen, die ihm den Unrechtscharakter des Dritten Reiches offenbart hatten. Am Abend des 5. März 1933, Pater Odilo Braun übernachtete im Franziskanerkloster, „tat sich die Hölle auf. SA-Horden schleppten ihre Opfer herbei“. Die Nacht sei erfüllt gewesen „von dem Gejohle der Schläger, von den Schmerzensschreien der Misshandelten“. Braun schrieb, dass das Franziskanerkloster „gegenüber dem Polizeipräsidium“ lag. Mit „Polizeipräsidium“ meinte er wohl das Rathaus im früheren Gebäude des Gymnasiums an der Ecke Klosterstraße/Westgraben. Dort war die Polizei stationiert und im Keller befanden sich Arrestzellen (siehe auch Machtergreifung 1933). Pater Braun war mehrmals ins Dorsten zu Besuch. Er wohnte jedes Mal im Franziskanerkloster und war befreundet mit Pater Gerold Hesse. Von 1940 bis 1945 war Odilo Braun ein einflussreiches und führendes Mitglied im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten der Deutschen Bischofskonferenz“, einem bedeutenden katholischen Widerstandskreis gegen das nationalsozialistische Regime.
Wegen regimekritischer Bemerkungen wurde er 1937 verwarnt
Braun stammte aus eine kinderreichen Handwerkerfamilie in Danzig, ging dort aufs Gymnasium und arbeitete, um für seine Familie Geld zu verdienen, auf der Kaiserlichen Werft in Danzig und verrichtete dort von 1916 bis 1918 Kriegsdienst. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs besuchte er von 1920 bis 1923 wiederum ein Gymnasium, begann aber 1923 eine kaufmännische Lehre im Reederei- und Speditionswesen. Braun, bisher Mitglied im Bund Neudeutschland, trat 1924 den Normannsteinern bei, einer progressiven Abspaltung des Bund Neudeutschland, und wurde später Leiter der Zweigstelle in der Erwerbslosenfürsorge beim Senat der Freien Stadt Danzig.
Odilo Braun trat 1926 dem Dominikanerorden bei. Nach einem Noviziat in Venlo studierte er ab 1928 Theologie in Walberberg, Düsseldorf und Löwen (Belgien). Am 24. Februar 1933 empfing er im Kölner Dom die Priesterweihe und reiste anschließend für mehrere Tage nach Dorsten. Pater Odilo Braun übernahm ab 1936 die Leitung des Albertus-Magnus-Verlags in Vechta (Oldenburg), der jedoch von der Gestapo geschlossen wurde. Er war zudem Herausgeber der ordenseigenen Missionszeitschriften. Wegen regimekritischer Bemerkungen wurde er 1937 verwarnt. Pater Braun übernahm mehrere Führungsämter in katholischen Organisationen und konstituierte im Untergrund den Ausschuss für Ordensangelegenheiten bei der Deutschen Bischofskonferenz neu, dem viele prominente Ordensgeistliche angehörten.
Nach dem Attentat auf Hitler wurde er verhaftet und gefoltert
Braun hatte, wie auch die anderen Ausschussmitglieder, Kontakt zu verschiedenen Widerstandskreisen. Josef Wirmer und Alfred Delp SJ stellte er seine Berliner Wohnung als Treffpunkt zur Verfügung. Braun beteiligte sich an einer „Denkschrift“, in der die deutschen Generäle zum militärischen Staatsstreich und zur Ausschaltung Hitlers aufgefordert wurden. Nach dem missglückten 20. Juli-Attentat auf Hitler wurde er am 27. Oktober 1944 in Berlin verhaftet. Trotz Folterungen konnte die Gestapo kein Geständnis erzwingen. Daher wurde Braun im Februar 1945 wieder entlassen. Danach nahm er die Stelle eines Gefängnisseelsorgers in Berlin an, die er bis 1958 behielt.
Auf Empfehlung von Kardinal Preysing war Pater Odilo Braun bis 1948 vom Alliierten Kontrollrat als Vorsitzender von vier Entnazifizierungskommissionen eingesetzt. Er betreute zwischen 1950 und 1953 als Seelsorger Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone, war von 1960 bis 1964 im Flüchtlingslager Uelzen tätig und besuchte in dieser Zeit mehrmals Dorsten, wo er im Franziskanerkloster nächtigte. Odilo Braun war Kuratoriumsmitglied der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944“ und engagierte sich insbesondere für öffentliche Gedenkveranstaltungen und initiierte die Jahresgottesdienste in der ehemaligen Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee. 1981 starb Pater Odilo Braun. Sein Grab befindet sich bei den Grabstätten der Priester auf dem Brauschweiger Friedhof. Der größte Teil seines schriftlichen Nachlasses befindet sich im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin.