Schauspieler, Regisseur und avantgardisticher Generalintendant
Von Wolf Stegemann – Geboren 1916 in Dorsten bis 1987 in Osnabrück; Theatermann. – In den Schülerlisten des Gymnasium Petrinum, wo er 1935 das Abitur machte, steht er noch mit dem Vornamen Ewald; später nannte er sich nach standesamtlicher Änderung Jürgen. Nach dem Abitur studierte der Sohn des Dorstener Schulrats und Pilzkenners Johannes Brock an der Folkwangschule für Musik, Theater und Tanz in Essen, leistete von 1938 bis 1945 Kriegsdienst, ging als Schauspieler an die Kammerspiele München, an das Stadttheater Bielefeld, das Staatstheater Stuttgart, dann an die Städtischen Bühnen Wuppertal und danach als Schauspieler und Regisseur an die Städtischen Bühnen nach Nürnberg, Augsburg und Gelsenkirchen sowie an die Vereinigten Bühnen Graz, wo er bis 1967 wirkte und u. a. die Operette „Meine Schwester und ich“, das Schauspiel „Viel Lärm um nichts“, die Tragikomödie „Die Ratten“ und das Schauspiel „Fuhrmann Henschel“ inszenierte. Seine schauspielerischen Sporen verdiente er sich in dem fünfteiligen TV-Filmklassiker Anfang der 1960er-Jahre „Am grünen Strand der Spree“ im NWDR-Fernsehen Köln, eine Verfilmung des Romans von Hans Scholz (1955). Ab der Spielzeit 1968/69 wirkte Jürgen Brock als Intendant am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel. Er löste Dr. Walter Falk ab. Das 1933 in Paderborn gegründete Westfälische Landestheater war 1946 in Castrop-Rauxel als reine Schauspielbühne neu entstanden. Es bespielte damals rund 60 Orte zwischen Gronau an der niederländischen Grenze bis ins östliche Münsterland. Hauptspielplätze waren die Städte Ahlen, Belecke, Borken, Dülmen, Erwitte, Fröndenberg, Lüdinghausen, Rheine, Soest, Warstein und Witten, später kam auch Dorsten hinzu. 1968 wechselte Brock als Intendant zum Theater am Domplatz, das übrigens ab 1971 den Namen „Städtische Bühnen Osnabrück“ trägt, und war als Schauspieler und Regisseur im „Cabaret der Komiker“ in Berlin, am Opernhaus Teheran sowie an den Theatern in Innsbruck, Münster, Bamberg und Klagenfurt verpflichtet. 1976 wurde er in Osnabrück zum Generalintendanten ernannt. Dort blieb er bis zu seiner Pensionierung 1981. Das Osnabrücker Tagblatt schrieb bei seiner Wahl zum Intendanten im Jahre 1967:
„Er angelt gern und pflegt seinen Kleingarten, ist verheiratet und hat drei Kinder; er gilt als ehrgeizig, und es heißt, er könne mit begrenzten Mitteln beachtliche Leistungen erzielen. […]Er will ohne Schauspieler-Kometenschweif kommen, vielmehr den Anfang mit dem vorhandenen Osnabrücker Ensemble machen. […] In Westfalen, wo man ihn kennt, gilt er als guter Schauspielregisseur.“
In diesen 13 Jahren der „Ära Brock“ trugen 17 Inszenierungen die Handschrift des Intendanten, darunter „Die Ratten“ (Hauptmann), „Das Glas Wasser“ (Scribe), „Mutter Courage“ (Brecht), „Candida“ (Shaw). Als besondere künstlerische Leistung seines Schaffens gilt die Produktion von Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Die Wunschrolle Brocks in seiner Inszenierung von „König Richard III“ spielte Winfried Baasner als Gast mit „luziferischer Eleganz, animalisch-sinnlicher Ausstrahlung und belzebübischer Vulgarität“. Die „Osnabrücker Zeitung“ schrieb 1974:
„Jürgen Brock hat seine (Richards) mephistophelische Präsenz inszeniert […]. Er vermeidet modische Horroreffekte, er sucht auf redliche Art Shakespeares Wort zu folgen, ohne ihn in sterile Klassiker-Regionen zu entrücken oder aktuelle Parallelen plakativ hervorzuquälen. Daher bezieht die Aufführung über weite Strecken ihre komödiantische und geistige Faszination[…]. Viel Beifall am Premierenabend.“
Ein Pfeife rauchender Prinzipal der alten Schule mit modernen Ansichten
Jürgen Brocks Theaterzeit in Osnabrück galt als antifaschistisch, avantgardistisch und modern. In manchen Theaterstücken spielte Jürgen Brock selbst mit, beispielsweise in der Spielzeit 1980/81 war er als „Die Pest“ am glanzvollsten in seinem großen Streitgespräch mit Diego, dessen Rolle er vor dreißig Jahren gespielt hatte. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ schrieb: „Jürgen Brock beeindruckt durch wortgewaltige und mimisch starke Ausbrüche.“ Bei seinen Mitarbeitern, Kollegen und Kolleginnen war Jürgen Brock sehr beliebt. Sie nannten ihn respektvoll „Prinzipal“. Dr. Peter Schneider beschreibt seinen Freund Jürgen Brock als kooperationsbereit und aufgeschlossen.
„Und dass er – schon von seiner Erscheinung und Persönlichkeit her imposant und ein echter Westfale, Pfeife schmauchend und gern ein realistisches, derbes Wort gebrauchend – keine faulen Kompromisse mochte. […] Sein Wort galt, ohne dass es schriftlich bestätigt werden musste.“
In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins gratulierte der Bayerische Staatsintendant August Everding Jürgen Brock persönlich zum 60. Geburtstag. In einem schriftlichen Grußwort zur Publikation „13 Jahre Theaterarbeit in Osnabrück“ beglückwünschte er den Dorstener, „der sein Haus 13 Jahre wohl bestellt hat, den engagierten Theatermann, der allen Sparten des Theaters ihren richtigen Platz gegeben hat, der das Kindertheater so wichtig gemacht hat wie das Studiotheater“. – Jürgen Brock starb im Jahre 1987 in Osnabrück.
Siehe auch: Künstler, darstellende (Artikelübersicht)
Siehe auch: Norbert Brock
Siehe auch: Johannes Brock
Quellen:
Dr. Peter Schreiber „Die Intendanz von Jürgen Brock“ in „Weiterspielen Osnabrücker Theaterarbeit von 1945-1984. – Osnabrücker Tagblatt vom 22. Juni 1967. – Manfred Böhmer in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) vom 10. September 1974. – Pressestelle Theater Graz/Österreich. – Pressestelle Theater Osnabrück.