Mütter als Störfaktor

In wissenschaftlicher Studie Streit ums Sorgerecht von Müttern untersucht

Manipulation, Egoismus, Bindungsintoleranz: In Sorgerechtsstreitigkeiten wird Frauen laut einer neuen Studie von Familiengerichten und Jugendämtern oft mit Vorurteilen begegnet. Betroffen seien auch Gewaltopfer. – Die Tochter war vier Jahre alt, als sich Anna (Name geändert) vom Vater des Kindes trennte. Wutausbrüche hatte der Vater schon oft, doch nach der Trennung wurde er ihr gegenüber auch körperlich übergriffig. „Ich habe Angst vor ihm bekommen“, erzählte sie am Telefon, die Schilderung des Falles beruht auf ihren Angaben. Als Anna zur Polizei ging, ging er vor Gericht. Der Vater wollte ein Wechselmodell, bei dem das Kind abwechselnd bei Vater und Mutter lebt. „Das wäre für unser Kind nicht gut gewesen“, sagte Anna. Eine Therapeutin und Kindergärtnerinnen hätten das bestätigt. Doch der Richter hatte auf den gerichtlich bestellten Gutachter gehört. Anna fand, dieser habe Gespräche verdreht, Details aus Beobachtungen weggelassen. Er beschrieb sie, die Mutter, als „bindungsintolerant“, warf ihr vor, in einer „Symbiose“ mit dem Kind zu leben. Ihre Tochter hatte vor Gericht immer wieder gesagt, dass sie bei der Mutter wohnen möchte. Der Mutter wurde Manipulation vorgeworfen. Das Sorgerecht bekam der Vater. Auch heute, nach mehreren Jahren, sagte die älter gewordene Tochter weiterhin, dass sie bei der Mutter wohnen möchte, so die Mutter.

Hammer unterlegte die beklagten Missstände durch mehrere Studien

Laut einer neuen Studie handelt es sich bei Annas Fall nicht um einzelnes Versagen eines Familiengerichts. Erstellt hat sie der Hamburger Soziologe Wolfgang Hammer. Er engagiert sich im Netzwerk „In Dubio pro Infante“, das sich für eine bessere Qualifikation von mit Kinderschutz befassten Berufen einsetzt und die in Sorgerechtsprozessen verwendeten psychologischen Zuschreibungen anzweifelt. Nun hat er Medienberichte über 154 Familienrechtsfälle aus dem Zeitraum 2008 bis 2024 untersucht und erneut festgestellt: Es gibt ein Muster. Es zeigten sich „deutschlandweit gefährdende Mechanismen und Wirkweisen in familienrechtlichen Verfahren“, heißt es in der Studie. Im Zentrum der Studie steht der Umgang mit einer Annahme, die als wissenschaftlich überholt gilt und etwa in Leitfäden für Ärzte nicht mehr empfohlen wird: die absichtliche Entfremdung eines Elternteils vom Kind (Parental Alienation Syndrome, PAS). In der Studie heißt es, das PAS könne nach wie vor „einen zentralen Stellenwert bei Jugendämtern und in familienrechtlichen Verfahren haben“. Mütter würden dabei als „Störfaktor in der Beziehung des Kindes zum Vater“ dargestellt, die Kontakte zum Vater aus egoistischen Motiven einschränkten.

Kaum eine Chance, dem Verfahren zu entkommen

In 147 der 154 analysierten Fälle werde beim Streit ums Sorgerecht von „Mutter-Kind-Symbiose“ oder von „psychischen Störungen der Mutter“ gesprochen, um etwa die Inobhutnahme von Kindern zu begründen. „Sobald die PAS-Vorannahme in familienrechtlichen Verfahren angewandt wird, besteht für Kinder und Mütter kaum eine Chance, dem zu entkommen“, heißt es in der Studie. Mit diesen Mechanismen sah sich auch Marie* konfrontiert. Sie trennte sich vom gewalttätigen und trinkenden Vater ihrer Kinder. Erst habe der Vater keinen Kindeskontakt gewollt, doch als sie einen neuen Partner fand, sei er vor Gericht gezogen, erzählt sie am Telefon. Zunächst habe der Vater begleiteten, dann unbegleiteten Umgang mit den Kindern gehabt. Irgendwann habe eine Tochter von Schlägen berichtet, sie habe Hämatome am Körper gehabt.

Nun geht Marie vor Gericht, um die Aussetzung des Umgangs zu erreichen

Sie habe Zuspruch vom Jugendamt und Kindergarten bekommen, sagt sie. Doch vor Gericht habe die Verfahrensbeiständin, die Minderjährige automatisch bekommen, gegen sie ausgesagt. Auch hier sind die Vorwürfe: Manipulation und Bindungsintoleranz. „Ich wurde vor Gericht sogar einmal als geistig behindert beschimpft“, erzählt sie. Dem Vater wurde das Sorgerecht zugesprochen. Erst das Oberlandesgericht gab Marie recht und stellte fest, dass das Urteil der ersten Instanz nicht mit den Unterlagen und Gutachten übereinstimmte. „Es ist ein Skandal, dass frauenfeindliche, unwissenschaftliche Annahmen in unserem Rechtsstaat verwendet werden“, kritisiert Studienautor Hammer. Auf diese Weise werde Täter-Opfer-Umkehr betrieben. „Gewalt in Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und Frauen und Männern wird dabei legitimiert.“


Quelle: Ina Johannsen in RN (DZ) vom 19. November 2024

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