Grundsteuerreform

Ernüchternde Bilanz: Einspruch und Klage bringen Frust für Hausbesitzer

Blick in die Nachbarschaft Marl: Die Experten Timm Brunster und Jan Koch vom Verband Wohneigentum ziehen eine ernüchternde Bilanz. Wer die Zahlung einer überhöhten Grundsteuer verweigern will, muss hohe Hürden überwinden. Die „völlig missglückte Grundsteuerreform“ hat bei Hausbesitzern schon für reichlich Ärger gesorgt. Seit Zustellung der festgesetzten Steuermessbeträge für ihre Immobilie ahnen auch in Marl viele Bürger, dass mit dem nächsten Grundsteuerbescheid eine erhebliche Mehrbelastung auf sie zukommt. Viele Eigentümer wollen sich das nicht bieten lassen und denken an eine Klage. Und genau das fürchten die Städte, warnen vor drohenden Einnahmeverlusten. Doch können Eigentümer überhaupt klagen? Wie und gegen wen eigentlich? Und macht das überhaupt Sinn? Darüber sprachen wir mit zwei Fachleuten vom Verband Wohneigentum NRW e.V., dem Marler Kreisverbandsvorsitzenden Timm Brunster sowie dem designierten Geschäftsführer des Landesverbandes NRW Jan Koch.

40 Prozent Steigerung bei Einfamilienhäusern

Jan Koch hat in mehreren Expertenanhörungen im Düsseldorfer Landtag den Abgeordneten als Sachverständiger Rede und Antwort gestanden. Der 35-jährige Gladbecker wartet für Marl mit den neuesten Zahlen des NRW-Finanzministeriums auf. Demnach steigt die Grundsteuerbelastung ab 2025 für Wohnimmobilieneigentumer um durchschnittlich 19 Prozent. Besitzer von Einfamilienhäusern in Marl trifft es besonders hart: Hier liegt die Steigerung bei durchschnittlich 40 Prozent. Besitzer von Vorkriegsimmobilien sollen häufig das Vielfache ihrer bisherigen Grundsteuerlast tragen. Die Voraussetzung: Marl geht den einfachen Weg und setzt den vom Land NRW vorberechneten, einheitlichen und aufkommensneutralen Hebesatz von 833 Prozent um. Dagegen wehrt sich der Verband Wohneigentum NRW, der aus den alten Siedlervereinen hervorgegangen ist. In Marl etwa vertritt der Verband die Interessen der Besitzer von 700 Eigenheimen. „Wohnen darf durch die Reform nicht grundsätzlich teurer werden“, verlangt Jan Koch.
Viele Marler Hausbesitzer haben aufgepasst und gegen die Festsetzung von Grundsteuerwert und Steuermessbetrag fristgerecht Einspruch beim Finanzamt Marl eingelegt. „Das war absolut sinnvoll, so behält man einen Fuß in der Tür“, sagt Jan Koch. Allerdings: Heute, im Nachhinein, ist kein Einspruch mehr möglich, die Frist ist um. Vor allem: „Wenn der Grundsteuerbescheid für 2025 kommt, muss man trotzdem seine Steuerschuld begleichen“, so Koch: „Da hilft der Einspruch nicht.“

Aussetzung der Vollziehung ist kaum möglich

Immerhin: Wer sich von Vater Staat ungerecht behandelt fühlt und absolut nicht zahlen will, kann beim Finanzamt Marl die Aussetzung der Vollziehung beantragen. „Tatsächlich gibt es in NRW bereits erste Fälle, bei denen der Bundesfinanzhof die Aussetzung der Vollziehung gebilligt hat, aber die Bedingungen sind hart“, so Jan Koch: „Wenn der vom Finanzamt für die Immobilie festgesetzte Grundsteuerwert den realen Verkehrswert um 40 Prozent oder mehr übertrifft und man das mit einem Gutachten auf eigene Kosten nachweisen kann, kann man den niedrigeren Wert geltend machen.“ Allerdings: Ein derartiges Gutachten kostet nach Kochs Angaben mehrere Tausend Euro. Und dass der festgesetzte Grundsteuerwert über dem am Markt erzielbaren Preis für eine Immobilie liegt, kommt in der Praxis selten vor.

Beim Grundsteuerbescheid wird Stadt kaum einlenken

Auch gegen den Grundsteuerbescheid für 2025 können Hausbesitzer Widerspruch beim Marler Steueramt einlegen. „Zahlen muss man trotzdem“, sagt Koch und stellt fest: „Auch hier ist der Rechtsweg bislang immer aussichtslos gewesen, es sei denn, man kann der Stadt einen Rechenfehler im Bescheid nachweisen, etwa bei der Multiplikation von Steuermessbetrag und Hebesatz, aber solche Fehler kommen in der Praxis nicht vor.“ Grundsätzlich ist nach einem abgelehnten Widerspruch gegen den Grundsteuerbescheid auch eine Klage beim Verwaltungsgericht möglich. „In der Praxis lohnt sich das aber kaum“, so Jan Koch: „Das Gericht stellt sich fast immer auf die Seite der Kommune, die ja das Recht hat, die Hebesätze anzuheben.“

Private Klagen sind keine Bedrohung für die Stadt

Solange alles beim Alten bleibt, solange es als einheitliche Hebesätze gibt, müssen sich die Städte kaum Sorgen vor einer privaten Klagewelle und Grundsteuerausfällen machen, glaubt Koch: „Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht etwa bei der Neuberechnung der Grundsteuerwerte eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes feststellt, könnte das Gericht trotzdem eine Weitergeltung des bestehenden Rechts billigen und dem Gesetzgeber eine Frist zur rechtskonformen Neuregelung einräumen.“ Der Sickingsmühler Timm Brunster ist daher fest davon überzeugt, dass nur politisches Handeln vor Ort die Situation der Wohneigentumbesitzer in Marl verbessern kann. Für ihn zählen Fakten: Das Land NRW hat sich endgültig geweigert, differenzierte Steuermesszahlen einzuführen. Es hat die Möglichkeit differenzierter Hebesätze in den einzelnen Städten ins Gesetzbuch geschrieben. Also muss die Stadt handeln.

Verband Wohneigentum fordert geteilte Hebesätze

„Für Marler Hausbesitzer, die erwägen zu klagen, ist die Ausgangslage absolut frustrierend“, so Brunster: „Wir begrüßen deshalb, dass die Stadt Marl zumindest versucht, schon ab 2025 differenzierte Hebesätze einzuführen, die zu einer Entlastung von Wohneigentumsbesitzern führen würde.“ Nach Angaben des Marler Kämmerers Daniel Greb sorgt fehlende Software aktuell dafür, dass im Marl differenzierte Hebesätze noch nicht berechnet und später als Grundsteuerbescheid zugestellt werden können. Timm Brunster bilanziert: „Es wäre schon bitter, wenn in Marl Steuergerechtigkeit an technischen Problemen scheitern würde.“


Quelle: RN (DZ) vom 28. November 2024

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