Body-Mass-Index (BMI)

Vermessung der menschlichen Körperwelt: Gewicht, Länge, Knochendichte

Er berücksichtigt weder Muskeln noch Statur und doch gilt der Body-Mass-Index (BMI) vielen Ärzten und Behörden als Maßstab für einen gesunden Körper. Wie aussagekräftig ist der BMI? Brauchen wir überhaupt solch eine Norm?
Ich bin gesund, das heißt, ich bin nicht krank.“ So einfach schien die Welt im Zeitalter Johann Wolfgang von Goethes, zumindest legen diese Worte aus seinem Drama „Torquato Tasso“ es nahe. Krankheit erklärte sich von selbst, entweder man war wohlauf oder man spürte das Gegenteil. Nur gilt das Gespür in der modernen Medizin nicht immer als verlässlicher Ratgeber. Eher setzt man auf Messwerte. Und wenn es um die Bestimmung eines „gesunden“ Gewichtes geht, gibt es einen berühmten Messwert, den Body-Mass-Index, kurz BMI.
Er geht zurück auf den belgischen Mathematiker Adolphe Quetelet (1796–1874). Er war davon überzeugt, dass nahezu alle Phänomene des menschlichen Zusammenlebens einer numerisch erfassbaren „Normalverteilung“ entsprechen. Auch der Mensch selbst hat ein mathematisches Ideal: den „mittleren Menschen“, für dessen Gewicht Quetelet einen einprägsamen Rechenweg formulierte: Körpergewicht geteilt durch Körperlänge im Quadrat. Das Ergebnis wird in kg/m² angegeben.
Noch heute bemisst sich so der Body-Mass-Index, der seinen Namen 1972 in den USA erhielt und bald einen Siegeszug als meistgenutztes Instrument zur Definition gesunder Körper antrat. Nach Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt das Normalgewicht bei 18,5 bis 24,9 Kilogramm pro Quadratmeter. Ab 25 sei man übergewichtig, ab 30 fettleibig. Teilweise wird nach Geschlecht und Alter unterschieden. Der Bundesverband zur Gesundheitsförderung beziffert das männliche Normalgewicht auf 20 bis 25 Kilogramm pro Quadratmeter und das weibliche auf 19 bis 24.

Aussagekraft der BMI ist wissenschaftlich  gering

Da der BMI weder Knochendichte oder Muskelmasse noch die Fettverteilung berücksichtigt, ist seine Aussagekraft begrenzt. Und doch findet er Verwendung in Arztpraxen und Kliniken, Krankenversicherungen und zur Selbstdiagnose in Lifestylemagazinen. Ingrid Mühlhauser, emeritierte Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg, betont: „Für Bevölkerungsgruppen mit ausgeprägtem Leichtgewicht oder Schwergewicht markiert der BMI ein erhöhtes Sterberisiko.“ Auch bei Personen, die eine familiäre Veranlagung für Diabetes haben, könne der BMI die Risikovorhersage für eine frühe Erkrankung verbessern.
Diese einfache Messung macht den BMI attraktiv, zugleich aber auch unterkomplex. „Im Vergleich zu persönlichen Eigenschaften wie Alter, Risikobereitschaft, Suchtverhalten oder sozialen Parametern wie Armut und Bildung hat der BMI eine nur sehr geringe Aussagekraft bei der Beschreibung des Gesundheitszustands und Risiken eines vorzeitigen Todes“, so Mühlhauser.
Zwar könne der Index die Gewichtszunahme in der Bevölkerung abbilden, sagt der Soziologe Friedrich Schorb von der Universität Bremen, doch über die Gesundheit sage dies nichts aus. „Obwohl ein erhöhter BMI vor allem im Übergewichtsbereich nicht mit einer erhöhten Gesundheitsgefahr einhergeht, bildet er die Grundlage für alle Schreckensszenarien, dass die Bevölkerungsmehrheit in den wohlhabenden Ländern schon heute ‚zu dick‘ ist und dies bald auch global sein wird“, sagt Schorb.
Zur Diagnose von Adipositas seien weitere Risikofaktoren relevant wie Bluthochdruck und erhöhte Blutfett- und Blutzuckerwerte. „Wenn Menschen mit einem BMI größer 30 keine weiteren metabolischen Risikofaktoren aufweisen, sind sie gesund“, sagt Schorb. Auch Mühlhauser, die als Fachärztin für innere Medizin und Diabetologie tätig war, sieht keine direkte Verbindung zwischen BMI und Gesundheit. Abhängig vom Alter ließen sich lediglich Messwertbereiche für einen optimalen BMI definieren, für ein Individuum sei ein idealer Wert gar nicht ermittelbar.

„Wer einen hohen BMI aufweist, ist nicht zwangsläufig krankt“

„Abhängig von verschiedenen Lebenslagen scheinen Personen mit Übergewicht, solange es sich nicht um massive Adipositas handelt, sogar Vorteile zu haben“, fügt die Medizinerin hinzu. Beispielsweise bei schweren und langwierigen Erkrankungen oder intensivmedizinischen Behandlungen. Soziologe Schorb betont: „Den BMI halte ich grundsätzlich nicht für sinnvoll als individualmedizinisches Maß. Im Vordergrund sollte die individuelle Anamnese stehen, und da gilt: Wer einen hohen BMI aufweist, ist nicht zwangsläufig krank und umgekehrt.“
Unter Slogans wie „Body Positivity“ wurde generelle Kritik an der numerischen Vermessung einer „gesunden Körpernorm“ erhoben. Gesundheit und Körperform seien zu vielfältig, um sie sinnvoll mittels einer Norm zu erfassen, vielmehr befördere dieses Vorhaben soziale Stigmata und Diskriminierung. Mühlhauser entgegnet: „Die Vermessung und Normierung des Körpers ist das Wesen der modernen Medizin.“
Gemessen werde nicht nur der BMI, sondern auch der Blutdruck, der Blutzuckerspiegel, der Cholesterinwert und Hunderte andere Parameter. „Die Medizin beansprucht für sich die Definitionsmacht von körperlicher Gesundheit. In diesem Bestreben ist sie jedoch schon oft gescheitert und Irrwege gegangen.“ Daher befürwortet Mühlhauser die Kritik von Aktivisten und Sozialforschern: „Es ist gut, wenn sich gesellschaftliche Gruppen gegen die medizinische Normierung von Gesundheit wehren.“

Essen „nach Lust und Laune und ohne schlechtes Gewissen“

Unter Kritikern des BMI kursiert ein Ansatz, der eine Alternative bieten will, ohne weitere Indizes oder Grenzwerte zu propagieren: „Health at every size“ (HAES), also „Gesundheit bei jedem Gewicht“. Damit sei, erläutert Schorb, eine Gesundheitsförderung gemeint, die ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung mit körpergerechten Bewegungsangeboten und den Prinzipien des Intuitive Eating verbindet. Letzteres meint ein Essen „nach Lust und Laune und ohne schlechtes Gewissen“, bei dem ein natürliches Gleichgewicht zwischen Hunger und Sättigung angestrebt wird. Weder dient Essen hier als Mittel der Gewichtsabnahme noch zur Kompensa-tion negativer Gefühle. Auch Bewegung hat hier nicht den Zweck, das Gewicht zu reduzieren, sondern soll einzig das körperliche Wohlbefinden steigern. „HAES soll Risikofaktoren, die mit hohem Körpergewicht korrelieren können, bekämpfen, ohne dabei Gewichtsabnahme zur Voraussetzung zu erklären und damit letztlich wieder Enttäuschungen zu produzieren“, erklärt Schorb. Auch Essstörungen soll so vorgebeugt werden. Ansätze wie HAES leugnen also nicht die gesundheitlichen Risiken starker Fettleibigkeit oder krankhaften Essverhaltens. Doch sie würden laut Schorb eine Tatsache anerkennen, die eine Fixierung auf den BMI verdecke: „Ein gesundes Leben und ein hohes Körpergewicht schließen einander nicht aus.“


Quelle: Timm Lewerenz in RN (DZ) vom 21. Oktober 2024

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