Die tiefe Krise der deutschen Chemieindustrie hinterlässt Spuren auch in Marl
Blick in die Nachbarschaft: Der Spezialchemie-Konzern Evonik plant die Schließung oder den Verkauf weiterer Anlagen. Bereits im März 2024 kündigte er den Abbau von 2000 Arbeitsplätzen weltweit und 1500 Stellen in Deutschland an. Umgebaut wird die Verwaltung, das Superabsorber-Geschäft wurde samt Produktionsanlagen an die International Chemical Investors Group (ICIG) verkauft. Größter Produktionsstandort von Evonik ist der Chemiepark in Marl. Hier ist die C4-Chemie konzentriert und vom Umbau besonders betroffen. C4-Chemikalien sind Grundlage vieler Alltagsprodukte – vom Autoreifen bis zur Sportgetränkeflasche.
Evonik will die C4-Chemie verkaufen. Vor zwei Jahren wurden die Absichten bekannt. Der Konzern sucht einen Investor, der das Geschäft zunächst mit Evonik und später eigenständig im Chemiepark führt. Offenbar ist er noch nicht gefunden. In diesen Bereich soll das Geschäft mit Polyolefinen überführt werden. Das sind robuste, flexible Kunststoffe mit vielen Einsatzmöglichkeiten, Evonik macht damit einen Umsatz von etwa 100 Millionen Euro. Rund 140 Beschäftigte der Konzerntochter Evonik Oxeno werden nach der Umgestaltung unter dem Dach der C4-Chemie arbeiten, die dann am Standort Marl knapp 900 Beschäftigte hat. Teil des Umbaus ist auch das Polyester-Geschäft, dessen Verkauf Evonik plant. Betroffen sind 250 Beschäftigte aus der Produktion in Witten und 30 Mitarbeiter in Marl, die in der Anwendungstechnik, Forschung und Dienstleistung arbeiten.
Dienstleister werden ausgelagert
Auch die Technologie- und Infrastruktur-Aktivitäten (TI) will der Chemiekonzern nicht mehr selbst betreiben. Von der geplanten Auslagerung in neue Betreibergesellschaften sind rund 3000 Beschäftigte in Marl betroffen, darunter auch viele aus Dorsten . Sie stammen aus der Logistik, den Werkstätten, von Werkfeuerwehr, Werkschutz, Gebäudemanagement und technischem Service. „Das ist der größte Konzernumbau in der Geschichte von Evonik“, sagt die Betriebsratsvorsitzende des Gemeinschaftsbetriebs, Adriane Fährmeister: „Wir gestalten ihn für die Kolleginnen und Kollegen in Gesprächen und Verhandlungen sozialverträglich mit. Wir nehmen ihre Sorgen und Ängste auf.“
Keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2032
Der Terminkalender sei voll, ergänzt ihr Stellvertreter Ali Simsir: „Wir sind in Marl in einem absoluten Umbruch.“ Das Unternehmen hatte zugesagt, in den nächsten acht Jahren auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Auf Nachfrage der Dorstener Zeitung bestätigte ein Sprecher nochmals, dass bis Ende 2032 in Deutschland ein grundsätzlicher Schutz vor betriebsbedingten Beendigungskündigungen gilt. Personal soll größtenteils über natürliche Fluktuation, Abfindungen und Vorruhestandsregelungen abgebaut werden. Auch Evonik-Arbeitsdirektor Thomas Wessel versichert in einer Pressemitteilung: „Ob wir Geschäfte in neue Hände abgeben oder sie im Einzelfall einstellen – wir tun das immer sozialverträglich unter enger Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter.“
Die Strategie von Evonik: Durch die Trennung von dem als schwankungsanfällig geltenden Geschäft mit der Basischemie will sich der Konzern auf die Spezialchemie konzentrieren. Dazu gehört der weltweit knappe Kunststoff Polyamid-12, der beim Autobau und in der Medizintechnik verwendet wird. 400 Millionen Euro hatte Evonik in die neue Polyamid-12-Anlage in Marl investiert.
Quelle: DZ vom 15. Oktober 2024
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