Studie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von NRW im Jahr 2024“
Das Land NRW hat untersuchen lassen, wie tief Antisemitismus in der Gesellschaft verwurzelt ist. Die Ergebnisse sind erschreckend. Antisemitische Einstellungen und Vorurteile gegenüber Juden sind einer Dunkelfeldstudie zufolge in NRW weiterverbreitet als erwartet. Je nach Erscheinungsform weisen acht Prozent bis zu fast einem Viertel der Bevölkerung gefestigte antisemitische Einstellungen auf. Das geht aus der Studie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“ hervor, die NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorlegten. Diese sprach von „erschreckenden Erkenntnissen“. Nach Ansicht der beteiligten Wissenschaftler Lars Rensmann und Heiko Beyer zeigt die Untersuchung, dass antisemitische Einstellungen in der Gesellschaft stärker verbreitet seien als bisher in anderen Studien nachgewiesen. Demnach stimmten acht Prozent der Befragten religiös-antisemitischen Aussagen zu. So glauben etwa 12 Prozent, dass die jüdische Religion grundsätzlich Gewalt gegen Kinder legitimiere. Rund ein Viertel schloss sich der offenen Version der Verschwörungstheorie vom angeblich übermäßigen Einfluss „der Juden“ an.
Fast die Hälfte fordert einen „Schlussstrich unter die Vergangenheit“
Rund ein Viertel der Befragten glaubt auch, dass der Zentralrat der Juden Unfrieden in Deutschland schüre und darum abgeschafft werden sollte. Fast die Hälfte (46 Prozent) stimmte verklausulierten Aussagen von einem übermäßigen jüdischen Einfluss in der Welt zu. Ebenfalls fast die Hälfte (47 Prozent) fordert, einen „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ des Holocausts zu ziehen. Im Holocaust wurden in Europa rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden von den Nationalsozialisten umgebracht. Weitere Erkenntnisse der Wissenschaftler: Die Landbevölkerung ist weniger antisemitisch eingestellt als Menschen in der Stadt. Der Bildungsgrad hat nur einen schwachen vorurteilsmindernden Effekt. Signifikante Unterschiede gibt es zwischen Befragten mit oder ohne Migrationshintergrund. Auffälliger ist jedoch die Rolle der Religion: So liegen die Antisemitismus-Werte von Muslimen über denen von evangelischen oder katholischen Befragten.
Für Schulen Konzepte gegen antisemitische Ressentiments gefordert
Die Wissenschaftler forderten angesichts der hohen Anfälligkeit Jugendlicher für antisemitische Ressentiments eindringlich pädagogische Konzepte für die Schule, vor allem aber auch „regulierende Maßnahmen“ bei sozialen Medien. Plattformbetreiber müssten für antisemitische Inhalte und Hassrede verantwortlich gemacht werden. „Derzeit sind soziale Medien wie Tiktok im Prinzip die Propagandaform des 21. Jahrhunderts, die quasi als erste Sozialisationsinstanz neben den Eltern direkt ins Kinderzimmer wirken“, so Rensmann. Der jüngste NRW-Verfassungsschutzbericht verzeichnet für 2023 einen drastischen Anstieg bei antisemitischen Straftaten um 65 Prozent auf einen Höchststand von 550 Taten. Vor allem seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober schnellte die Zahl hoch. Hinzu kommen Hunderte antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. – Innenminister Reul sagte, die Studie zeige aber den „Zündstoff“ in den Köpfen der Menschen. Fakt sei auch: „Die sozialen Medien sind so etwas wie die Sendemasten von Hass und Hetze.“
Siehe auch: Antisemitismus im Kreis Recklinghausen
Quelle: RN (DZ) vom 25. September 2024