Aphasie-Gruppe Recklinghausen

Die Krankheit trifft Tausende: Die Sprache verloren, aber nicht den Verstand

Wer kaum spricht oder nicht auf Anhieb versteht, wird als dumm abgestempelt. Aphasiker haben jedoch eine Sprach- und keine Denkstörung. – Schlaganfall, Hirnblutung, Tumor, Kopfverletzung, Demenz, Multiple Sklerose – das sind nur einige Gründe, warum jedes Jahr rund 70.000 Menschen von heute auf morgen ihre Sprache verlieren. Sprechen, andere verstehen, lesen, schreiben – all diese Fähigkeiten, die wir uns von Kindheit über Jahre hinweg mühsam erwerben, sind von heute auf morgen weg. Samira Klaho aus Recklinghausen weiß seit 2004, was das bedeutet. Hirnblutung, Schlaganfall, langes Koma. Und als sie erwachte, war sie sprachlos.
Dass Samira Klaho heute mit einem großen Wortschatz redet, verdankt sie ihrer Disziplin in den Anfangsjahren: Training mit Karteikarten, Klebezettel in der Wohnung und laute Selbstgespräche. Was das Umfeld nicht wahrnimmt ist, dass sie in jedem Gespräch hoch konzentriert ist. Nebengeräusche, Stress, Zeitdruck – jede Kleinigkeit kann sie aus dem Takt bringen. „Und am schlimmsten ist es, wenn alle durcheinanderreden“, sagt sie, „dann verstehe ich nichts mehr.“ Was wollte ich noch sagen? Gesunde kennen diesen Moment, wenn ein Gedanke, ein Name, ein Satz durch Ablenkung plötzlich in einem Loch verschwindet. „Aphasiker haben ständig solche Löcher“, erklärt Samira Klaho. Ihre Mission seit vielen Jahren: Über Aphasie aufklären, Vorurteile abbauen und Betroffene aus der Isolation holen. Noch recht jung ist die Aphasie-Gruppe, die sich auf Klahos Initiative siebenmal im Jahr in Recklinghausen trifft.

Recklinghausens Bürgermeister informierte sich über die Krankheit

Große Unterstützung bekam sie dabei von Sebastian Flecken, Mitarbeiter in der Selbsthilfe-Kontaktstelle im Netzwerk Bürgerengagement. Mit einem von der Kontaktstelle zur Verfügung gestellten Infostand ging die Gruppe am 7. September 2024 auf dem Altstadtmarkt Recklinghausen in die Öffentlichkeit. Dort gab es viel Infomaterial, aber vor allem die Möglichkeit, in Ruhe über das sensible Thema zu sprechen. Besonders freute sich Samira Klaho, dass Recklinghausens Bürgermeister Christoph Tesche den Stand besucht, um sich über die zwar weit verbreitete, aber dennoch unbekannte Krankheit zu informieren. Denn zu all den direkten Folgen, die diese mit sich bringt, sind es vor allem Vorurteile und Rücksichtslosigkeit durch Unkenntnis der Nicht-Betroffenen, die Aphasikern das Leben so schwer machen. „Wir werden für dumm gehalten und auch so behandelt. Aber Menschen verlieren durch eine Aphasie weder ihre Intelligenz, noch ihre emotionalen Fähigkeiten“, sagt Samira Klaho. Sie kennt viele Betroffene, die durch die Aphasie vereinsamt sind.
Sie selbst hat sich sehr oft für ihre Sprachlosigkeit geschämt und kommt bis heute immer wieder in Situationen, die sie überfordern. „Ich habe zum Beispiel ein Problem mit Zahlen. Wenn ich an der Kasse lesen kann, wie viel ich zahlen muss, geht das. Aber wenn mir etwa im Restaurant oder beim Bäcker der Betrag gesagt wird, kann ich damit nichts anfangen.“ Ihr Trick: Mit einem Schein bezahlen, der größer ist als die Summe, die sie zuvor kalkuliert hat.

Blicke, Gesten, Laute, Körperhaltung – es gibt viele Wege, sich mitzuteilen

In der Aphasie-Gruppe sind keine Tricks erforderlich: „Wir tauschen uns in Ruhe und ohne Druck aus. Wenn jemand nicht reden möchte, ist das okay.“ Blicke, Gesten, Laute, Mimik, Körperhaltung – schließlich gibt es viele Wege, sich mitzuteilen. Für Samira Klaho, die gerade ihr Studium zur Kunsttherapeutin und Sozialpädagogin abgeschlossen hatte, als die Aphasie sie traf, war und ist die Kunst ebenfalls ein Sprachrohr. Ihre viel beachtete Fotoausstellung „Schlagseite Aphasie“ hat dazu geführt, dass sie als Referentin zu den Aphasie-Tagen nach Würzburg eingeladen wurde. Vor einem großen Publikum sprach sie darüber, wie gerade auch Mediziner und Therapeuten den Betroffenen helfen können.

Siehe auch: GrippeWeb 2024
Siehe auch: Seuchen, Epidemien
Siehe auch: Medizinalwesen (Essay)
Siehe auch: Corona


Quelle: DZ vom 4. September 2024

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