Plastiksteuer

Einführung 2024 verschoben – soll die Kunststoff-Verschwendung bremsen

Es dürfte nur wenige Menschen geben, die das modernes Leben so stark prägten wie Leo Hendrik Baekeland. Der 1863 in Gent geborene Sohn eines Schusters erfand 1907 das Verfahren zur industriellen Kunststoff-Herstellung. Ein Leben ohne seine Erfindung ist kaum noch vorstellbar. Alle Menschen haben permanent mit Kunststoffen zu tun und sind von ihnen umgeben. Versorgungsleitungen sind ebenso aus Kunststoff wie große Teile unserer Autos, Bankkarten, Taschen, Handys, Verpackungen aller Art, medizinische Produkte, Gartenstühle und hunderttausend andere Dinge. Diese Erfindung scheint eine einzige Erfolgsgeschichte zu sein. Aber Kunststoff hat auch Schattenseiten. Die sind so groß, dass im kanadischen Ottawa die Mitgliedsstaaten der UN Ende April 2024 eine Woche lang diskutierten, wie die weltweite Plastikflut gestoppt werden kann. Eine Lösung gab es auch in dieser vierten Verhandlungsrunde nicht. Fortsetzung folgt. Wie wichtig das Thema ist, dazu sieben Punkte, die nachdenklich stimmen sollten.

Kunststoff ist Segen und Fluch zugleich

  1. Eine Studie des US-Energieministeriums rechnet vor, dass schon jetzt fünf Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen auf die Plastik-Produktion entfällt. Das ist etwa so viel wie der Anteil des weltweiten Luftverkehrs am Schadstoff-Ausstoß.
    2. Die Kunststoffproduktion verschlingt gewaltige Mengen fossiler Brennstoffe: 12 Prozent des Öls und 8,5 Prozent des Erdgases. Ist es wirklich sinnvoll, fossile Brennstoffe in Autos und Heizungen einfach zu verbrennen statt sie für wirklich wichtige Produkte zu verwenden?
    3. Wir alle nutzen Plastik so achtlos, als wären die Rohstoffe grenzenlos verfügbar. 39,1 Prozent aller Kunststoffe in Europa werden zu Verpackungen. Von dort aus fliegen sie nach dem Auspacken gleich in den Müll. Jeder Deutsche produzierte 2021 stattliche 236,8 Kilo Verpackungsmüll.
    4. Wir Deutsche rühmen uns als Müll-Trenn-Meister. Stimmt und stimmt nicht. Laut Bundesumweltamt fielen 2021 5,67 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. 99,4 Prozent davon wurden verwertet. Das klingt vorbildlich, aber: Verwertung bedeutet nicht „Recycling“, sondern: 64,4 Prozent der Abfälle werden schlicht verbrannt, in Müllverbrennungsanlagen, Zement- und Kraftwerken. 0,6 Prozent des Mülls wird deponiert und nur 35 Prozent der Rohstoffe in den Abfällen werden wirklich genutzt, nicht nur „verwertet“.
    5. Und diese 35 Prozent werden laut Umweltbundesamt zwar genutzt, aber nur selten wirklich recycelt. Als Recycling zählt nur, wenn etwa eine PET-Flasche geschreddert und wieder zu einer PET-Flasche verarbeitet wird. Meistens ereilt Plastikmüll das Schicksal des „Downcycling“: Aus den Abfällen wird weniger hochwertiges Plastik – etwa für die Bauindustrie.
    6. Die größten Hindernisse für eine höhere Recycling-Quote listet eine Studie des Büros für Technologiefolgen-Abschätzung des Bundestags auf. Die Probleme begännen damit, dass beim Design zu wenig auf Wiederverwertbarkeit des Produkts, seiner Komponenten und Rohstoffe geachtet werde. Zudem seien Kunststoffe vor allem in Verpackungen oft durch Produktreste, Etiketten, Klebstoffe und Lackierungen verunreinigt. Sortenreine Trennung als Voraussetzung, Rohstoffe hochwertig wieder nutzen zu können? Fast unmöglich oder extrem aufwändig.
    7. Bis zu 20 Jahre dauert es, bis sich eine Plastiktüte im Meer zu Mikroplastik zersetzt, eine PET-Flasche benötigt 450 Jahre. „Zersetzen“ heißt nur: Man sieht den Müll nicht mehr. Weg ist er damit aber noch lange nicht. Als Mikroplastik treibt er im Meer, gelangt über den Fisch in unsere Nahrungskette. Am Ende holen uns unsere Abfallsünden wieder ein. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Fest steht: Keiner kann allein die Welt retten. Aber jeder kann beispielsweise Plastikverpackungen meiden. Ein kleiner Beitrag wäre es da schon, wenn wir nur unverpacktes Obst und Gemüse kaufen würden. An den großen Stellschrauben muss die Politik drehen, etwa, indem sie nur noch recycelte Verpackungen erlaubt. An einer Stelle hat sie schon versucht zu handeln: Zum 1. Januar 2025 sollte eine Plastiksteuer eingeführt werden. Für jedes Kilo nicht recyceltem Kunststoff müssten Hersteller 80 Cent zahlen. Dass sie die Zusatzkosten weitergeben und die Preise steigen würden, ist wahrscheinlich. Jetzt aber scheint es mit der Einführung 2025 nichts zu werden.

Wieder bleibt es vorerst nur bei einem Versuch – ist das typisch deutsch?

Wobei: Eigentlich zahlen wir alle schon seit Jahren eine Plastiksteuer. Wir wissen es in der Regel nur nicht. Denn bereits seit 2021 zahlen die EU-Mitgliedsstaaten eine Abgabe von 80 Cent je Kilo produzierten Plastiks an die EU. Deutschland zahlt rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr. Noch kommt das Geld aus der Anonymität des Bundeshaushalts. Künftig sollen die Hersteller zur Kasse gebeten werden. Das wäre transparenter und daher richtig so. Dann würden wir alle an der Kasse merken: Plastik hat seinen Preis.

Siehe auch: Abgaben (Essay)
Siehe auch: Kommunalsteuern
Siehe auch: Steuern
Siehe auch: Steuern in Dorsten
Siehe auch: Grundsteuer B
Siehe auch: Grundbesitzabgaben 2025


Quelle: DZ vom 15. August 2024

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