Wörter – ausgewandert

Deutsche Wörter werden seit Jahrhunderten von anderen Sprachen benutzt

Ein Lexikon hat vortrefflich mit Wörtern und deren Erklärungen zu tun. So auch dieses Dorsten-Lexikon. Daher ist sicherlich auch ein Blick  auf die Wörter informativ, die schon seit dem Mittelalter „ausgewandert“ sind. Neben des Rufes, schwer erlernbar zu sein, gilt Deutsch als besonders präzise. Das nutzen auch andere Sprachen. Und so kann man im Ausland auf Begriffe wie „potschtamt“ oder „arubaito“ nicht mehr verzichten. Wenn Feuerwerkskörper bunte Lichter in den Nachthimmel zaubern, freut man sich in Polen über das schöne „fajerwerki“ und in der Türkei fährt man mit seinem Wagen auf die „otoban“. Neben niedlich klingenden Wörtern wie diesen wurden in den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche deutsche Begriffe in andere Sprachen übernommen. „Wenn ein Wort erst einmal hundert Jahre in einer Sprache ist, dann kann man wohl davon ausgehen, dass es auch in irgendeiner Form bleiben wird“, sagt der Sprachwissenschaftler und Journalist Matthias Heine.
Bereits im späten Mittelalter hätten Kaufleute deutsche Ausdrücke in andere Länder gebracht. Heine zufolge verbreiteten sich die Begriffe durch Handel, Kolonialismus und Kriege, aber auch durch die zeitweise herausragende Rolle deutscher Kultur und Wissenschaft. „Am allermeisten verbreitet ist der chemische Wortschatz.“ Die deutsche Chemie ist im späten 19. Jahrhundert und noch lange Zeit später weltführend gewesen. Deswegen findet sich das Wort „Zink“ nicht nur im Englischen und Französischen („zinc“) oder im Italienischen („zinco“) wieder, sondern zum Beispiel auch im Chinesischen („xin“).
Nach Angaben der Bundesregierung sprechen weltweit 130 Millionen Menschen Deutsch als Mutter- oder Zweitsprache. Rund 15,4 Millionen lernten es als Fremdsprache (Stand 2020). In der Europäischen Union sei Deutsch nach Englisch die meist gesprochene Fremdsprache. Eine Besonderheit des Deutschen liegt der Gesellschaft für deutsche Sprache zufolge in der Möglichkeit, ein Wort aus mehreren anderen Wörtern zusammenzusetzen. In vielen Sprachen der Welt sei das nicht möglich. Deswegen würden Germanismen benutzt, um Bezeichnungslücken zu füllen. Ganz selbstverständlich verwendet man im Englischen Wörter wie „schadenfreude“ oder „zeitgeist“, wie Matthias Heine in seinem 2022 erschienenen Buch „Ausgewanderte Wörter – Von Deutschland in die ganze Welt“ erklärt.

Durch Zeichentrickserie „Die Simpsons“ in die USA

Die Schadenfreude, heißt es darin, sei durch die Zeichentrickserie „Die Simpsons“ nach Amerika gekommen. Hauptfigur Homer Simpson ist begeistert, als seine Tochter Lisa ihm erklärt, dass die Deutschen einen eigenen Begriff für die boshafte Freude am Unglück eines anderen hätten. „Junge, Junge, diese Deutschen haben für alles ein Wort“, zitiert Heine den dickbäuchigen Familienvater in seinem Buch. Nach der Ausstrahlung der Folge sei der schriftliche Gebrauch des Wortes in den USA gestiegen und heute in englischsprachigen Medien allgegenwärtig.
Die meisten der aus Deutschland ausgewanderten Wörter fänden sich im Englischen wieder, schätzt der Autor. Doch auch weit über europäische Grenzen hinaus sind deutsche Worte gekommen, um zu bleiben. In Tansania, einer ehemaligen deutschen Kolonie, heißt „Schule“ auf Swahili „shule“, einen Teilzeitjob bezeichnet man in Japan als „arubaito“ und in Russland bringt man seinen Brief aufs „potschtamt“.
Wenn sie über Grenzen hinweg gereist und nicht mehr fortgegangen sind, klingen die ausgewanderten Wörter vielleicht sogar noch etwas schöner als hierzulande – etwa wenn in Kamerun bei Dunkelheit die „tosilam“ (von „Taschenlampe“) eingeschaltet wird, oder wenn sich ein britischer Kletterer beim „abseiling“ langsam die Felswand heruntergleiten lässt.

  • Matthias Heine (* 1961 in Kassel) ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Nach dem Abitur 1983 studierte in Braunschweig Germanistik und Geschichte. Unter der Leitung von Helmut Henne war er als wissenschaftliche Hilfskraft an der Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuchs“ von Hermann Paul beteiligt. Nach einem Volontariat bei der „Braunschweiger Zeitung“ lebt Heine seit 1992 in Berlin, wo er von 1993 bis 1998 stellvertretender Leiter des Kulturteils der B. Z. war. Von 1998 an schrieb er als freier Journalist u. a. für die „Die Welt“, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Seit 2010 ist er Redakteur im Feuilleton der Welt. Zu seinen bevorzugten Themen gehören Sprachgebrauch und Sprachwandel.
    Werke (Auswahl):Seit wann hat geil nichts mehr mit Sex zu tun? 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2016, Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsland. Wie der Erste Weltkrieg die deutsche Sprache für immer veränderte. Hoffmann und Campe, Hamburg 2018. – „Mit Affenzahn über die Eselsbrücke. Die Tiere in unserer Sprache“,  Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. – „Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht. Duden, Mannheim 2019. – „Das ABC der Menschheit. Eine Weltgeschichte des Alphabets“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2020. – „Eingewanderte Wörter. Von Anorak bis Zombie“, Dumont, Köln 2020. – „Krass. 500 Jahre deutsche Jugendsprache. Eine Kulturgeschichte. Duden, Berlin 2021. –„Ausgewanderte Wörter. Von Deutschland in die ganze Welt. Dumont, Köln 2022. – „Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache. Duden, Berlin 2022. – „Kluge Wörter. Wie wir den Bildungswortschatz nutzen können – und wo seine Tücken liegen“, Duden, Berlin 2024.

Siehe auch: Wort des Jahres
Siehe auch: Wort des Jahres in Dorsten
Siehe auch: Unwort des Jahres

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