Tisa-Preis 2023

Preisträgerin Katharina Reich aus Berlin – Kunstwerk „Depot“ im Tisa-Archiv

Die heutige Kunst, so Eugène Ionesco, „ist zum großen Teil ein Abstellraum, ein Museum der Verzweiflung”. Da mag er Recht haben. Über des Kunstprojekt, das die Stadt Dorsten 2024 mit dem „Tisa-Preis 2023“ ausgezeichnet hatte, würde Ionesco sagen: „… ist ein Abstellbrett für Gegenstände, die der Mensch im Alltag benutzt. Ähnlich formulierte Prof. Ferdinand Ullrich das Katharina Reich-Projekt „Depot“, eine Sammlung von Alltagsgegenständen auf umgedrehten Plastikkisten, dass das Sammeln von Objekten des täglichen Lebens, die diesem täglichen Leben entrissen sind, eine fürsorgliche Rettung sei. „Ein Entreißen ist es, weil die Dinge nun ohne Zusammenhang und ohne Zweck sind: nutzlos.“ So sahen es auch etliche der Besucher bei der Ausstellungseröffnung. „Ich stell meine Schuhe dazu, das würde niemandem auffallen!“ meinte ein Besucher. Bei den sogenannten Alltagsgegenständen, die nebeneinandergestellt als „Kunstwerk“ gezeigt werden, gibt es zusammengebundene Nudelhölzer, Schuhauszieher, zusammengebundene Knöpfe, Schaumstoffgegenstände, einen Spitzendeckenturm in einem Plastikregal, Schnürsenkel, Buchseiten im Miniformat in Plastikboxen, Mitren (Geodreiecke aus aus Fahrradschläuchen) und anderes mehr. Das alles steht auf Böden von 30 umgedrehte Plastikkästen vor Reihen von Grabvasen aus Plastik, die Aussehen wie Panzermunition.

 Stockhoff: „Der Tisa-Preis soll Offenheit und Toleranz … fördern“

Organisator dieser Katharina Reich-Ausstellung im Tisa-Archiv in Hervest ist die Tisa von der Schulenburg-Stiftung, deren Vorsitzender Lambert Lütkenhorst bei der Begrüßung der Gäste über die Stiftung, über Tisa von der Schulenburg und über den Bergbau sprach. Erstmals wurde der 10.000 Euro-Preis online ausgeschrieben. 430 Bewerbungen waren eingegangen, aus denen das Modell der Berlinerin Katharina Reich ausgewählt wurde. Für ihn ausschlaggebend waren die von Katharina Reich verwendeten Ausschnitte aus den Briefen der Geschwister Scholl gewesen. Der nächste Redner, Bürgermeister Tobias Stockhoff, meinte, dass der Tisa-Preis „aktueller denn je“ sei, sprach dann über Verbindung von Tisa von der Schulenburg mit der Kunst und dem Bergbau. Der Tisa-Preis soll, so Stockhoff, Offenheit und Toleranz im Künstlerischen fördern. Dann überreichte er der Künstlerin Reich ein Centstück, das er vor dem Haus auf der Straße gefunden hatte uns es als „Glücksbringer“ bezeichnete. Der Applaus war ihm sicher. Anschließend sprach noch Prof. Dr. Ferdinand Ullrich von der Kunstakademie Münster über das Sammeln von Alltagsgegenständen, die eigentlich auf den Müll gehörten: „Die Sammlung allein ist aber noch kein Werk. Dieses entsteht erst mit der Kombination und dem Arrangement der heterogenen Gegenstände in der konkreten Ausstellungssituation. Es wird ein neuer, rein ästhetischer Zweck geschaffen, eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck.“ Er zitierte damit Immanuel Kant (1790). Im Ausstellungskatalog schrieb er:

„Im Werk von Katharina Reich wird der Gegenstand nicht nur abbildhaft repräsentiert wie in einem Gemälde, sondern es ist da Ding selbst, das den Raum des Betrachters einnimmt. Die hier präsentierte Welt ist nicht lediglich eine Konstruktion, sie ist vielmehr eine Setzung. Ihre Dinge repräsentieren nicht die Außenwelt, sie sind und bleiben die Außenwelt in der Innenwelt der Kunst, ihre Freiheit ist bedingt. Die Dinge verwandeln sich, ohne sich zu verwandeln. Ihre singuläre, rein äußerliche Erscheinung – bleibt mehr oder weniger – unverändert. Dagegen ändern sich der Ort, die Sphäre und das Zusammenspiel mit den anderen, bisher fremden Objekten. In dem Maß wie Verbindungen zerschnitten werden, entstehen neue, höchstüberraschende Beziehungen zwischen den Partikularen zu einer durchaus prekären Ganzheit. … Das Werk selbst ist ein fortlaufender, nicht endender Erkenntnis- und Aufklärungsprozess. So dass man bei Katharina Reich mit einem gewissen Reicht von sozialer Plastik sprechen kann, die den Geist der Tisa von der Schulenburg aufs Beste weiterträgt.“

Ob das den Besuchern durch den Kopf geht, wenn sie dieses Werk „Deponie“ im Tisa-Archiv betrachten? Leider kann Tisa von der Schulenburg, deren Namen oft in Zusammenhang mit den Haushaltsgegenständen der Sammlung gebracht wurde, nichts dazu sagen. Zur Verleihung des Tisa-Preises und zur Ausstellung (bis 28. April 2024) hat die Tisa von der Schulenburg-Stiftung einen 32 Seiten umfassenden farbig gestalteten Katalog herausgeben, in dem einzelne Ausstellungsstücke erklärt werden.

  • Katharina Reich wurde 1987 in Tjumen/Westsibirien geboren, kam 1996 nach Deutschland und zählt zu den sogenannten Risslanddeutschen. Mit Elementen aus Kitsch, Machtphänomenen und geometrischen Körpern baut sie raumgreifende „Soziale Plastiken“. Sie studierte von 2010 bis 2016 Bildende Kunst an der Kunsthochschule Kassel bei Prof. Norbert Rademacher, von dem sie zur Meisterschülerin ernannt wurde. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Siehe auch: Schulenburg-Archiv – städtisch
Siehe auch:
Schulenburg-Stiftung
Siehe auch:
Tisa von der Schulenburg (Artikelübersicht)


Quellen: Katalog „Katharina Reich – Tisa- Preis 2023“, hg: Tisa von der Schulenburg-Stiftung 2023.

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