Vernachlässigung? Missbrauch? In Datteln werden Verdachtsfälle abgeklärt
Für Dorstener ist in speziellen Fällen die Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln zuständig. Im Februar 2024 wurde ein neues Interdisziplinäres Kinderschutz-Haus eröffnet. Entstanden ist es mithilfe von Spenden. Es ist ein ernstes Thema. So sehr die Redner bei der Eröffnung ihre Freude über das neue Gebäude betonten, „so bedrückend empfinden wir doch zugleich die Notwendigkeit, dass es überhaupt entsprechender Einrichtungen in unserer Gesellschaft bedarf.“ So formulierte es beispielsweise der Aufsichtsratsvorsitzende der Vestischen Caritas-Kliniken, Dr. Thomas Hölscher.
Wird ein Kind vernachlässigt? Misshandelt? Erfährt es sexuelle Gewalt? Liegt ein solcher Verdacht vor, so muss dieser möglichst schnell abgeklärt werden. Und genau darum kümmert sich seit 2011 das Kinderschutz-Team der Kinder- und Jugendklinik Datteln. Die Ärzte, Psychologen und Therapeuten betreuen jährlich rund 1000 Kinder aus dem Kreis Recklinghausen und den umliegenden Regionen. Und das in Zukunft in einer neuen Umgebung, die Schutz und Wärme ausstrahlen soll, mit Gesprächs- und Therapieräumen für alle Beteiligten – und mit audio-visueller Dokumentationstechnik, um den Kindern Mehrfachaussagen zu ersparen. „Wir wissen aus Studien, dass die Umgebung und die Art der Untersuchung im Kinderschutz entscheidend dazu beitragen können, wie Kinder das Erlebte verarbeiten“, erläutert die Leiterin der Abteilung Kinderschutz, Oberärztin Tanja Brüning, die Vision hinter dem neuen Gebäude. Wichtig seien dabei kurze Kommunikationswege und Strukturen, die eine gute Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen ermöglichen – m – also etwa von Klinik, Jugendämtern und Strafverfolgungsbehörden. „Wenn Kinder ihre Geschichte immer und immer wieder erzählen müssen, beginnen sie nicht nur am System, sondern auch an sich selbst zu zweifeln. Auch das Risiko einer Re-Traumatisierung steigt“, so Brüning. Deshalb sei es der Wunsch gewesen, „einen Raum zu schaffen, in dem die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt stehen und der die Zusammenarbeit der Erwachsenen fördert – und es ist ein großer Schritt, dass das nun gelungen ist!“
NRW-Gesundheitsminister Laumann sprach zur Eröffnung
Und zu diesem hat eben Tanja Brüning selbst ganz entscheidend beigetragen. Die Medizinerin hat mit ihrer Arbeit „auch weit über Datteln hinaus Maßstäbe des Kinderschutzes im Gesundheitswesen gesetzt“, betont NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in seiner Eröffnungsrede. Tatsächlich habe Brüning das Thema Kinderschutz an der Kinderklinik erst etabliert, sagt Dr. Martin Meyer, Geschäftsführer der Vestischen Kinder- und Jugendklinik. Für medizinischen Kinderschutz habe es zunächst keine Strukturen, Konzepte oder Räume gegeben. Und kein Geld. Nach wie vor ist medizinischer Kinderschutz keine Regelleistung der Krankenkassen. So stammen die 1,5 Mio. Euro, die für Kauf, Um- und Ausbau des Kinderschutz-Hauses nötig waren, aus Spenden. Dass dieses Projekt in einer Zeit realisiert werden konnte, in der Krankenhäuser deutschlandweit unter finanziellem Druck stehen wie nie zuvor, findet Meyer auch deshalb mehr als bemerkenswert.
Staat und Zivilgesellschaft müssen sich um das Problem kümmern
Natürlich könne man sich bei der Einweihung eines solch besonderen Hauses fragen, warum der Staat das nicht alles finanziere, so Laumann. Andererseits sei es aber manchmal auch gut, wenn die Zivilgesellschaft sich auch um solche Fragen kümmere. Denn nur mit den offiziellen Strukturen werde man ein Problem wie den Missbrauch von Kindern nicht in den Griff bekommen, so Staatsminister Laumann. Jeder Einzelne müsse einen Blick für diese Fragen entwickeln. „Kinder brauchen den Schutz der Gesellschaft und des Staates, wenn sie Opfer von Straftaten werden oder ihnen diese drohen.“ Deshalb habe man den Kinderschutz in NRW deutlich gestärkt. Dabei denkt Laumann etwa an die Förderung des „Kompetenzzentrums für Kinderschutz im Gesundheitswesen“ mit den Standorten an der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Köln und eben der Abteilung Kinderschutz an der Klinik in Datteln – sowie an die Förderung der Kinderschutzambulanzen im Land.
Die Klinik bleibt weiterhin auf Spenden angewiesen
Mit dem neuen Haus setzt die Vestische Kinder- und Jugendklinik auch nach ihrer eigenen Wahrnehmung einmal mehr Standards in die Versorgung von Kindern und Jugendlichen. „Wenn die Gesellschaft sich verändert und daraus neue Fragen aufgeworfen werden, finden wir in Datteln eine Antwort darauf – das ist etwas, das diese Klinik schon seit ihren Anfängen ausgezeichnet hat“, so Meyer. Allerdings betont er auch, dass mit diesem Tag kein Schlusspunkt gesetzt werde. Das Problem, dass es keine nachhaltig geregelte Finanzierung für den medizinischen Kinderschutz an Krankenhäusern gebe, bestehe weiterhin. Die Klinik ist weiterhin auf Spenden angewiesen,
Siehe auch: Missbrauch (Artikelübersicht)
Quelle: Markus Gerling in DZ vom 7. Febr. 2024
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