Zollwesen (Essay)

Mit dem Lembecker Schlossherren gab’s Streit ums Brückengeld

Früheres Zollamt in der Katharinenstraße in Dorsten

Früheres Zollamt in der Katharinenstraße in Dorsten um 1914

Von Wolf Stegemann – Zölle waren Abgaben zur Benutzung von Verkehrswegen (Straßen, Brücken, Hafenanlagen) und von besonderen Handelseinrichtungen (Märkten), die für Personen oder für transportierte oder im Handel angebotene Waren geleistet werden mussten und derjenigen Herrschaft zukamen, welche die Sicherheit des örtlichen oder überörtlichen Verkehrs und des Marktlebens garantierte. Das Zollrecht stand immer in enger Verbindung mit dem Marktrecht. Im Frühmittelalter gehörten die Zollrechte (auch die Regalien) zu den Königsrechten, die an geistliche, später auch an weltliche Würdenträger verliehen wurden, was zu einer höchst unübersichtlichen Zoll- und Abgabenordnung führte. Um die Kassen der Herrschenden zu füllen, wurden immer neue Zollstätten errichtet und damit Wirtschaftspolitik und vor allem Schuldentilgung betrieben. Mit Zöllen füllten die Territorien ihre fürstlichen Kammern. Für Städte wie Dorsten waren Zölle nicht nur fiskalisch wichtig, sondern sie bildeten Ausgangspositionen für die urbane Entwicklung des Handelsplatzes an der Lippe. Mit dem Privileg der Zollfreiheit an fremden Handelsplätzen und Zollstätten förderten die Zollherren den Fernhandel, der ihnen wiederum zugute kam und ganze Wirtschaftszweige zum Blühen brachte.

Lippezoll für die Schifffahrt

Entgegen allen Interessengegensätzen waren sich die drei souveränen Lippe-Anrainerstaaten darin völlig einig, aus dem Lippehandel durch die Erhebung von Zöllen Einnahmen zu erwirtschaften. Bereits 1362 erhob der erzbischöfliche Zöllner von jedem bei Dorsten vorbeifahrenden Boot Zoll, auch die Stadt bekam von jedem Schiff einen Albus (Weißpfennig, silberne Groschenmünze zu 12 Heller). Im 16. Jahrhundert musste jedes Stück Holz, jede Planke und alles, was auf der Lippe transportiert wurde, verzollt werden. Beispielsweise passierten 1768 die Dorstener Zollstation 33 Schiffe mit Salz, 19 mit Weizen, 18 mit Holz, vier mit sonstigen Waren.

1559 beschwerten sich beim kölnischen Kurfürsten Gebhard Truchsess von Waldburg 13 niederländische Städte über die Erhöhung des kurkölnischen Lippezolls bei Dorsten. Die Eingabe der Städte Nimwegen, Deventer, Zutphen, Dordrecht, Wesel, Arnheim, Tiell, Bommel, Cleve, Embrick, Kalkar, Xanten, Zwolle und Rees blieb aber ohne Erfolg. Im 16. und 17. Jahrhundert erhoben auf kurkölnischem Gebiet neben Dorsten auch das Haus Vogelsang ein Passagegeld, daneben das Fürstbistum Münster bei Ostendorf, Haltern und Rauschenberg und schließlich Kleve bei Wesel, Crudenburg und Barnum, so dass insgesamt acht Abgabestellen den Lippehandel belasteten. Erst 1866 erfolgte die völlige Aufhebung aller Zollschranken auf der Lippe durch die preußische Regierung. Doch da war der Transporthandel schon weitgehend auf die Straße verlegt worden.

Wegegeld

Zöllnerstreife am Freudenberg um 1920

Zöllner auf Streife am Freudenberg um 1929

Wer Dorstener Straßen und Wege passieren wollte, musste Wegegeld für sich und seine Waren, für Pferde und Wagen, für Lebensmittel und Holz zahlen. Im 15. Jahrhundert kassierte die Stadt dafür zwischen einem halben alten Pfennig und einem „Kurfürsten Weißdeut“ (silberne Münze, eigentlich Weißpfennig). Noch Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Stadt jährlich an Wegegeld rund 400 Reichstaler ein. An so genannten Barrieren, das waren die Durchlässe der Landwehren, wurde Barrieregeld erhoben.

Brückengeld

Eine nicht unwesentliche Einnahmequelle der Stadt Dorsten war, von Einheimischen und Durchreisenden neben Wegegeld, Barriere, Zoll u. ä. bis 1927 auch Brückengeld zu verlangen, was bis Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Schlossherren von Lembeck führte, zu deren Herrschaftsgebiet das andere Lippeufer gehörte (siehe Lippebrücke). Dabei beriefen sich die Lembecker auf einen Vergleich aus dem Jahre 1444, wonach die Lippe die Grenze zwischen Münster und Kurköln bildete, und jedem die Hälfte der Brückeneinnahmen zufallen sollte. Obwohl die Brücke von der Stadt Dorsten, also von Kurköln unterhalten wurde, ließen die Schlossherren im 16. Jahrhundert in der Mitte der Brücke ein Zollhäuschen aufstellen. Daraufhin machten die Dorstener dem Hervester Pastor die Fischereigerechtigkeit streitig und ließen seine Boote und Fischfangvorrichtungen pfänden. Im Gegenzug ließ der Schlossherr auf dem Markt am Katenberg, der in seinem Gebiet jenseits der Lippe lag, von Bewaffneten „mit gespannten Haken und Feuerröhren“ die Dorstener Bürger aussondern und ihre Waren wegnehmen.

Pastoren waren von der Zahlung des Brückengelds befreit

1592 wollte Dorstens Bürgermeister Palen an der Spitze seiner Stadtknechte die Lembecker mit Gewalt von der Lippebrücke vertreiben, wurde dabei verprügelt und ins Gefängnis nach Lembeck gebracht. Dort starb er an den ihm zugefügten Verletzungen. 1616 ließ der Schlossherr Dorstens Bürgermeister vor sein Gericht nach Lembeck laden und münstersche Soldaten, die vom Bruder des Lembeckers befehligt wurden, begingen gegenüber Dorstenern Gewalttätigkeiten, um Druck auszuüben. Noch Ende 1777 ließ Graf von Merveldt den überlippischen Zehnten pfänden, weil die Stadt während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) das Brückengeld erhöht hatte. 1791 kam es zwischen der münsterschen und der kurkölnischen Regierung zum Vergleich, wonach die Stadt an Brückengeld Stüber in klevischer Währung erheben sollte: pro Person ½, pro Person mit einem Pferd 1 ½, pro Person mit einer Kuh 2 ½, für einspännige Karren 2 ½, für jedes an einen beladenen Karren gespanntes Pferd 1 ½, für Koppelpferde 1, für Kleinvieh ¼, für Personen in Postwagen 1 Stüber. Wenn Hochwasser war, durfte die Stadt das Brückengeld verdoppeln. Alle vestischen Adeligen, der Syndikus, die kurfürstlichen Bedienten und die Pastoren der Herrlichkeit waren von der Zahlung des Brückengeldes befreit, ebenso die Bewohner der Stadt. 1822 nahm die Stadt an Brückengeld 487 Reichstaler, 2 Silbergroschen und 4 Deut ein. Nach den Einnahmen aus den beiden Mühlen (733 Rtlr.) war dies der nach den Steuern der höchste Betrag aller Einnahme-Posten. Zusätzlich kassierte die Stadt noch 213 Reichstaler als Lippepassagegeld. Die Summen blieben in jenen Jahren in etwa konstant. Da die Brücke städtisches Eigentum war, musste die Stadt auch für deren Haltbarkeit und für Ersatz sorgen, wenn die Brücke baufällig oder in Kriegszeiten zerstört wurde, was mehrmals geschah.

Reformen im heruntergewirtschafteten Kurfürstentum

Carl Spitzwegs Thema: Zollrevision

Carl Spitzwegs Thema: Zollrevision

Der letzte regierende Kölner Erzbischof Maximilian Franz (1784 bis 1801) versuchte, das von seinem Vorgänger heruntergewirtschaftete Kurfürstentum (mit den Nebenlanden Vest Recklinghausen und Herzogtum Westfalen) durch eine Vielzahl von Reformen zu stabilisieren. Dazu gehörten die Erhöhung des Geldumlaufs und die Errichtung von Schutzzöllen, um die heimische Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz zu bewahren. Auch sollte eine Vereinheitlichung und bessere Transparenz der Zolltarife erreicht werden. Das Vest exportierte in der Hauptsache Roggen, Schinken, Speck, Schweine, Rinder und Pferde. Eingeführte Güter waren Kohle (Bochum), Kalk und Glas (Essen), Eisenwaren (Dortmund), Salz (Königsborn) und Wein (Rhein- und Moselgebiet). Die Verbesserungen sahen vor: Bei Einfuhr nur einmal Zoll zu erheben, die Rückeinfuhr verzollter Ausfuhr sollte zollfrei sein und Binnenzölle entfallen. Einheimische Erzeugnisse, die auf ausländischen Jahrmärkten angeboten wurden, waren zollpflichtig, die Rückeinfuhr unverkaufter Waren aber zollfrei.

In der Herrlichkeit Lembeck

In der Herrlichkeit waren die Zölle verpachtet oder wurden gegen Tantiemen für Rechnung der Herrschaft erhoben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden folgende Zölle: Brückenzoll an der Midlicher Mühle, Wegezölle in Lembeck, bei Flunkert in der Bauerschaft Specking, in Rhade, bei Kock in der Bauerschaft Lasthausen, in Wulfen, in Hervest, bei Heckmann in Hervest, bei Ammenwert in Holsterhausen, am Böckenhoff, in Altschermbeck, in Üfte, an der Pliesterbecke. Der Wegezoll musste an den Schlagbäumen (Heck) entrichtet werden.

Zollgebäude an der Katharinenstraße

Von 1915 bis 1964 waren in dem Haus Katharinenstraße Nr. 13 das Dorstener Zollamt und danach Justizämter untergebracht. Vor 1915 befand sich das preußische Zollamt in der Innenstadt. Im Zollgebäude an der Katharinenstraße befanden sich auch Dienstwohnungen für Zollbeamte. Nach 1964 wurde das Zollamt Gelsenkirchen für Dorsten zuständig und die Dorstener Dienststelle aufgelöst. 2011 wurde das geschichtsträchtige Gebäude an der Katharinenstraße kernsaniert und mit Eigentumswohnungen ausgebaut.


Quellen:
Von Amtmann Franz Brunn 1847 geführte „Chronik der Herrlichkeit Lembeck bis 1880“, vom Heimatverein Wulfen 1988 veröffentlicht. – Von Bürgermeister Luck 1822 aufgeschriebene „Chronik der Stadt und Bürgermeisterey Dorsten“ (unveröffentlicht). – Dr. Werner Koppe „Das vestische Zollwesen gegen Ende des 18. Jahrhunderts“ in VK 1984.

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