12.000 Menschen gingen am 20. Januar 2024 Für Demokratie auf die Straße
Die Recklinghäuser/innen haben ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt. Die Altstadt war so voll, wie sie es sonst nur an Rosenmontag ist, der Rathausplatz noch voller als beim WM-Finale 2014. Männer und Frauen, Kinder und Großeltern, Freundesgruppen, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien: Alle standen sie gemeinsam Seite an Seite bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, um sich lautstark gegen eine Wiederholung der deutschen Geschichte zu wehren. Friedlich, aber bestimmt. Recklinghausen hat mit diesem „friedlichen und freundlichen“ Protest ein Zeichen gesetzt. In Zeiten, in denen Pläne geschmiedet werden, die die Deportation von Millionen Mitmenschen zur Folge haben. Die Zeit des stillen Protests ist vorbei, auch in Recklinghausen. Immer wieder waren Stimmen von Demonstrierenden zu hören, die am Samstag zum ersten Mal in ihrem Leben auf die Straße gegangen sind. Wir können stolz auf unsere Stadt sein, die einmal mehr gezeigt hat, wie bunt sie ist.
12.000 Menschen standen Schulter an Schulter auf dem Rathausplatz in Recklinghausen. Sie mochten die unterschiedlichsten politischen Meinungen vertreten haben, aber sie wollten nicht länger schweigen. In ganz Deutschland gingen Samstag Menschen auf die Straße. Nachdem das Recherche-Netzwerk Correctiv aufgedeckt hatte, dass bei einem Geheimtreffen von AfD-Vertretern und Gleichgesinnten Pläne für eine „Remigration“, also eine zwangsweise Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurde, sind viele Menschen hellhörig geworden. „Wir sind Eltern, Großeltern, Frauen und Männer ohne Kinder… Wir sind alle Menschen. Als Menschen stehen wir hier gemeinsam, um zu signalisieren, dass es keine Wiederholung der Geschichte gibt“, betonte Sprecher Peter Gerwinat. Mit dem Bündnis „Es REicht!“ hat der Recklinghäuser die Demonstration organisiert.
Demonstration in friedlicher und familiärer Atmosphäre
Schon beim Start auf dem Altstadtmarkt in Recklinghausen war abzusehen, dass sehr viele Leute aus dem ganzen Kreis Recklinghausen Flagge zeigen wollen. Der Platz füllte sich von Minute zu Minute, sämtliche Zugangsstraßen in der Fußgängerzone sind voller Menschen. Es herrschte bei dieser Großdemonstration eine rücksichtsvolle, freundliche Atmosphäre. Obwohl es sehr eng war, gab es kein Drängen, Murren oder Schubsen. Diesen Eindruck bestätigte auch die Polizei. „Es war friedlich und familiär“, fasst Einsatzleiter Martin Wilhelm zusammen, als die Demonstration um 14.10 Uhr beendet war.
Vom Altstadtmarkt aus zog diese riesige Gemeinschaft aus dem gesamten Kreis geduldig und gelassen über die Kunibertistraße auf den Wallring. Autofahrer, die rechts ranfahren und warten müssen, signalisieren ihre Unterstützung mit Winken, „Daumen hoch“, Lächeln und spürbar wohlgesonnenem Hupen. Hektik und Ungeduld, sonst Alltag im Verkehr, legen eine Pause ein. In den Redebeiträgen, unter anderem von Bürgermeister Christoph Tesche, Landrat Bodo Klimpel und Ruhrfestspiel-Intendant Olaf Kröck, wird vor der „braunen Gefahr“ gewarnt. „Wir wollen keine Nazis im Kreis Recklinghausen“, ruft der Landrat und erntet viel Applaus. Tesche mahnt: „Solange wir schweigend auf dem Sofa sitzen, macht es den Eindruck, als ob wir wenige wären. Aber wir sind mehr.“ Am Lohtor bog der Demonstrationszug wieder in die Stadt, querte die City, kam am Steintor zurück auf den Wall und ging runter zum Rathaus. Die Polizei muss den Wall zwischen Erlbruch und Viehtor für gut zwei Stunden den Verkehr sperren.
An diesem Demonstrations-Samstag ging es nicht nur gegen rechts, sondern um nicht weniger als den Erhalt unserer Demokratie. Seit zwei Jahren gehen die Organisatoren des Bündnisses „Es REicht“ eben dafür auf die Straße, sehr oft blieben sie unbemerkt von der Öffentlichkeit. Wenn wir weiter in Freiheit leben wollen, dürfen wir nicht wieder in die Zuschauerrolle zurückkehren, sondern müssen immer wieder dafür aufstehen.
Das Bündnis „Es REicht“ wurde vor zwei Jahren gegründet
Vor zwei Jahren gründete sich das Bündnis als Contrapunkt gegen die „Montagsspaziergänger“, die gegen Corona-Maßnahmen protestierten und bald von rechtsextremen Strömungen unterwandert worden waren. Seitdem gehen die Aktivisten von „Es REicht!“ auf die Straße, haben dabei Höhen und Tiefen erlebt. „Wir standen auch mal nur zu zweit da“, blickt Gerwinat zurück. Und vor einem Jahr, als die AfD ihren Neujahrsempfang im Kreishaus Recklinghausen ausrichtete, wurden die Demonstranten auf den Konrad-Adenauer-Parkplatz verbannt: „Da standen wir allein knöcheltief in den Pfützen. Aber wir machen das ja nicht für uns, sondern wollen wahrgenommen werden.“
250 Menschen demonstrierten vor dem Kreishaus gegen die AfD
Die AfD kam nicht zur Ruhe: Am Montag, 22. Januar 2024 hatten knapp 250 Menschen gegen den Neujahrsempfang der AfD-Kreistagsfraktion im Kreishaus Recklinghausen demonstriert. Angemeldet wurde die Demonstration vom Bündnis „Es REicht“, das bereits zum großen Protest am Samstagzuvor in der Recklinghäuser Altstadt geladen hatte, zu dem bekanntlich 12.000 Menschen gekommen waren. Diesmal waren „nur“ rund 250 Menschen vor dem Kreishaus erschienen, doch der Anlass war auch vergleichsweise gering: Die AfD-Kreistagsfraktion veranstaltete einen Neujahrsempfang, bei dem auch der NRW-Landesvorsitzende der AfD, Dr. Martin Vincentz, sprechen sollte. Die im Vorfeld erwarteten 120 Gäste kamen letztlich nicht zu der AfD-Zusammenkunft, möglicherweise hatten sich einige auch vom angekündigten Protest abschrecken lassen. „Wir sind mehr“, skandierten die Demonstranten mehrfach – und das stimmte auch in diesem Fall. Die AfD-Mitglieder oder -Gesinnungsfreunde wurden durch einen anderen Eingang ins Kreishaus geleitet, vielen von ihnen schlugen lautstarke Buhrufe und „Haut ab“-Chöre entgegen, als sie in der ersten Etage hinter der Glasfassade durch den Flur gingen. Der Tenor der Demonstration war eindeutig: Für Faschismus gibt es keinen Platz.
Einer der Organisatoren war einmal mehr Peter Gerwinat, der allerdings einräumte, dass der Kampf gegen allzu rechte Strömungen kein Sprint, sondern ein Marathon sei. Mit dem Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ klang die Proteststunde schließlich aus. Am Dienstag, dem 23. Januar, ist die Gruppe „Es REicht“ ab 17 Uhr erneut im Einsatz, im Bürgerhaus Süd will die AfD über die „Remaskulierung“ informieren.
Siehe auch: Demonstrationen 2024 / 3. und 4. Februar
Siehe auch: Demonstration 2024 gegen Rechts in Dorsten
Siehe auch: Demonstration 2024 / Schermbeck
Siehe auch: Demonstration 2024 / bundesweit
Siehe auch: Demonstrationen 2024 / 20. und 21. Januar
Quellen: Silvia Stimetz, Tobias Weckenbeck, Janine Jähnichen in DZ vom 22. Jan. 2024. – wiet in DZ vom 23. Jan. 2024. – Foto: Jörg Gutzeit (DZ)