„Orgel-Bennad“ war über 60 Jahre Organist an St. Laurentius in Lembeck
1931 in Lembeck bis 2023 ebda; Landwirt, Organist, Dirigent und Rentner. – In seiner Person waren zwei grundlegende Strömungen vereinigt, die nur auf den ersten Blick gegensätzlich erschienen, doch wichtig für sein Leben waren, vor allem für seine Lebenszufriedenheit. Die Rede ist von Bernhard Wolthaus, der seit über 60 Jahren Tag für Tag in der Lembecker Laurentiuskirche die Orgel spielte. Dabei ist die Redewendung Tag für Tag keineswegs übertrieben angebracht, denn bis auf einen Krankenhausaufenthalt saß Wolthaus seit 1952 fast jeden Tag auf dem Orgelboden und spielte zur täglichen Messe und zu Gottesdiensten die Orgel. „Nur einen Tag habe ich gefehlt“, sagt er einst mit Stolz. Neben der Orgel hatten es ihm auch die kirchlichen und weltlichen Chöre der Kirche in Lembeck und im Stadtteil Deuten angetan, die er dirigierte. Die heilige Cäcilia, unter deren Schutz landauf landab Chöre entstanden sind, hätten ihre Freude an Bernhard Wolthaus gehabt. Bis in die 1970er-Jahre dirigierte er noch drei Chöre, die sich mittlerweile aus ursprünglich sechs Choren zusammengetan haben.
Er stand im Dienst von acht Pfarrern
Bei so viel Musik in und um Bernhard Wolthaus muss konstatiert werden, dass der mit 92 Jahren verstorbene Organist, der Jahrzehntelang seine Laurentius-Orgelpfeifen auch technisch in Schuss hielt, kein klassisch-studierter Musiker war. Er stammte aus dem Bauernstand und bewirtschaftete von jung an den elterlichen kleinen Hof und lernte „so nebenbei“ Musik. Sein Vater starb, als er elf Jahre alt war. Aufgewachsen mit vier Geschwistern kam ihm die Rolle des Familienvorstands zu. Er unterstützte die Mutter beim Bewirtschaften des Hofes Krampe, noch mit Pferd und Wagen.Tägliches Orgelspiel und jeden Tag das Vieh zu versorgen sowie Felder und Äcker zu bestellen, wie passte das zusammen? Er schmunzelte bei dieser ihm einst gestellten Frage, denn er erinnerte sich an so manche heikle Situation, als er beispielsweise in derben Holzklumpen mit erdverkrusteten Hosenbeinen die Orgelpedalen bediente oder er auf dem Pferd direkt vom Acker zur Kirche ritt, es vor der Kirche anband, die Messe spielte, danach mit dem Pferd wieder auf dem Acker weiterpflügte.
Nach sechzig Jahren tägliches Orgelspiel und Chordirigat ehrte ihn die Gemeinde 2014 mit einem in der Kirche am Aufgang zur Orgelbühne eingelassenen Stein, auf dem eingemeißelt steht: „60 Jahre Bernhard Wolthaus – Organist in St. Laurentius.“ Wer den Geehrten damals in seiner geistigen und körperlichen Gelenkigkeit vor sich sah, wusste, dass in zehn Jahren ein weiterer Stein fällig sein könnte. Mit dem Pfarrer seiner Taufe stand er in St. Laurentius bis zuletzt im Dienst von acht Pfarrern.
Sein Lehrer nannte ihn nur „Musik“ – und Musik gehörte zu seinem Leben
Dass Musik zu seinem Leben gehören würde, erkannte bereits sein Lehrer in der Volksschule, der den kleinen Bernhard ab dem 5. Schuljahr nur „Musik“ nannte, denn sein kribbeliger Hang zur Musik blieb vielen nicht verborgen. Gerne wäre er Berufsmusiker geworden, doch die heimischen Zustände auf dem Hof ließen das nicht zu. Er verlor seinen Wunsch, Musiker zu werden, nie aus den Augen. Als 12-Jähriger nahm er Klavierunterricht bei Seidemann in Dorsten. Von 1948 bis 1952 brachte der Lembecker Organist Weichselbaum ihm das Orgelspielen bei, dessen Stelle Bernhard Wolthaus danach übernehmen konnte, als Weichselbaum versetzt wurde. Ab 1954 dirigierte er den MGV Frohsinn, der sich später mit dem Kirchenchor zusammenschloss. Fast zehn Jahre lang war Wolthaus Klavier- und Harmonielehrschüler bei dem Komponisten A. Berghorn in Gelsenkirchen-Buer, übernahm in Deuten den Chor und begann selbst Schüler auszubilden. Ihnen gab er Trompeten-, Gitarren-, Querflöten-, Klavier- oder Akkordeonunterricht.Zuvor hatte Bernhard Wolthaus noch 1970 die C-Prüfung als Organist abgelegt, war auch Musiklehrer an der Lembecker Hauptschule, legte dann auch noch die Jugendmusiklehrerprüfung an der Hochschule für Musik in Münster und arbeitete auch als Musiklehrer an der Dorstener Musikschule. Die Folgen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965), auf dem u. a. die Liturgie von Gottesdienst und Messen reformiert wurde, bemerkte auch der Organist in Lembeck. Auch wenn der sonntägliche Choral und Troitus weiterhin in Latein gesungen wurden, so fanden sich immer weniger Sänger für den Chor, um die schwierigen Choräle zu singen. Dennoch wurde die Messe zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und an anderen Hochfesten weiterhin in Latein gesungen.
Zum 65. Geburtstag gratulierte ihm die Königin Elizabeth II. von England
Zu seinem 65. Dienstjubiläum gratulierte ihm sogar die Queen von England. Der Vorstand des Vereins „1000 Jahre Lembeck“ kam 2017 auf die Idee, nach England zu schreiben, verbunden mit dem Hinweis, dass Bernhard Wolthaus genauso lange seiner Berufung treu ist wie Queen Elizabeth auf dem Thron: „Daraufhin kam postwendend ein Brief vom Buckingham Palace, in dem die Hofdame der Königin Bernhard Wolthaus gratulierte und ihm ihre Anerkennung für seinen hingebungsvollen Dienst (dedicated service) aussprach.
Ludwig Drüing, Mitglied im Kirchenvorstand der Pfarrei St. Laurentius, schrieb in der Lembecker Dorfchronik, dass Wolthaus weder ein Handy noch ein Telefon besaß, dafür hilfsbereite Nachbarn. Sobald die Kirchenglocken läuteten, sah man ihn schnellen Schrittes zur Sakristei eilen, um dort seinen obligatorischen Liederzettel vom Pfarrer abzuholen und dann damit zur Orgelbühne zu rennen. „Einmal meinte er mit seinen gut 80 Jahren, dass es wieder mal an der Zeit sei, das Dach seiner Scheune zu reparieren. Er stellte eine lange Leiter an die Dachrinne der Scheune und kletterte hoch. Dummerweise fiel die Leiter um und er konnte nicht mehr herunter. Da kam Hilfe in Gestalt von ,Doc Fritz‘, wie der Mediziner Dr. Fritz Geisthövel genannt wurde. Er stellte die Leiter wieder auf, und Bernhard konnte beruhigt herunterklettern. Für solche Gelegenheiten braucht Bernhard einen Arzt. Normalerweise ist er nämlich kerngesund und braucht keinen medizinischen Beistand.“ 1996 wurde er Rentner, behielt allerdings alle Arbeitsverhältnisse lange Zeit aufrecht.
Er hatte die Stimmgabel in seinem Kopf
Bernhard Wolters hatte zwar nicht das absolute Gehör – doch eine Stimmgabel im Kopf. Er konnte mit einem tinnitusähnlichen Effekt seine Stimmlage so erzeugen, dass er wie auf Knopfdruck den richtigen Ton traf. Vieles an ihm war eben phänomenal. Bernhard Wolthaus starb nach längerer Krankheit in der zweiten Dezemberwoche 2023 und wurde in Lembeck bestattet.