Adelssitz, Garnison, Kriegsgefangenenlager, Handwerker-Akademie
Die Geschichte der Anlage reicht bis in die Anfänge des 12. Jahrhunderts zurück. Ende des 16. Jahrhunderts kam die Ritterburg der Herren von Raesfeld in den Besitz derer von Velen. Mitte des 17. Jahrhunderts ließ der Reichsgraf Alexander II. von Velen die Burg zum Residenzschloss im Stil der Renaissance ausbauen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts starb das Geschlecht der von Velen zu Raesfeld aus; das Schloss wurde nur noch unregelmäßig bewohnt und verfiel allmählich. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Teile der Anlage abgerissen bzw. bis ins 20. Jahrhundert als landwirtschaftlicher Gutshof genutzt.
Die Schlossanlage besteht aus der Oberburg, der Vorburg und der umgebenden Schlossfreiheit mitsamt der Schlosskapelle. Eine Gräfte trennt die einzelnen Teile, die ursprünglich nur über Zugbrücken verbunden waren. Von den ehemals vier Flügeln der Oberburg stehen heute noch der Westflügel mit dem markanten stufenförmigen Turm und der nördlich angrenzende Altbau mit einem wiederaufgebauten Rundturm. Wassergräben trennen die Oberburg von der Vorburg und der dörflichen Schlossfreiheit mit der Schlosskapelle. Der angrenzende Tiergarten gehört zu den wenigen erhaltenen aus der Zeit der Renaissance. Eine natur- und kulturhistorische Ausstellung im modernen Informations- und Besucherzentrum Tiergarten Schloss Raesfeld wird dieser Sonderstellung gerecht. Der Tiergarten ist eingebunden in das European Garden Heritage Network.
Bündische Jugend „Neudeutschland“ pachtete 1930 das Schloss
Während der Befreiungskriege im Winter 1813/14 quartierten sich kosakische Soldaten, welche die französischen Truppen nach der Völkerschlacht bei Leipzig verfolgten, im Raesfelder Schloss ein. 1822 kaufte Freiherr Ignaz von Landsberg-Velen das Schloss. Der neue Herr nutzte die Gebäude als landwirtschaftliches Gut. Der verwilderte Park wurde in Ackerland umgewandelt und der Wall zum Verfüllen der versumpften Gräfte genutzt. Baufällige Gebäude wie die Harnischkammer und das Torhaus fielen dem Abriss zum Opfer. Auch der nördliche Rundturm der Anlage wurde mit Ausnahme von Resten des Sockels abgebrochen. Im altehrwürdigen Rittersaal lagerten nun die Kornvorräte und die Räume der Vorburg wurden zu Viehställen. Zwischen 1879 und 1895 ließ der Oberverwalter Friedrich Bonhof die Vorburg renovieren. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs belegten im Dezember 1918 Teile einer bayerischen Division die Räume des Schlosses und machten Raesfeld für Wochen zur Garnison. Im März 1920 kam es während des Vormarschs der Roten Ruhrarmee im Zuge des Ruhraufstandes zu einem Gefecht mit dem Freikorps Loewenfeld, bei dem 50 Kämpfer der Roten Ruhrarmee ihr Leben verloren. 1927 pachtete der Landwirt Heinrich Albermeier das Gut Raesfeld. Mit finanzieller Unterstützung der Provinzialregierung ließ der Schlossbesitzer Max von Landsberg-Velen dringend nötige Reparaturen erledigen. Der Bund „Neudeutschland“, die bündische Organisation katholischer Schüler an höheren Lehranstalten, pachtete 1929 das Schloss Raesfeld. Nach Renovierungsarbeiten und Neueinrichtung im Frühjahr 1930 fand die Einweihungsfeier der Bundesburg am Pfingsttag 1930 statt. Auf den umliegenden Wiesen wurde dazu eine Zeltstadt für 500 Besucher errichtet. Regelmäßig zu Pfingsten trafen sich mehrere hundert Jungen der Jugendbewegung vor dem Schloss. Die Gleichschaltung der Jugendverbände mit der Hitler-Jugend 1936/37 führte jedoch zur Auflösung des Bundes Neudeutschland.
Garnison, Notunterkunft für Ostvertriebene und Raesfelder Volksschule
Der Zweite Weltkrieg verhinderte den Umbau des Schlosses für die Nutzung als Kreisschulungsburg der NSDAP. Als im Oktober 1939 Teile der Wehrmacht vom Überfall auf Polen zum Westfeldzug zogen, wurde Raesfeld Garnison für fast 1000 Soldaten. 1942 erwarb der Handwerkerverein Raesfeld e. V. das Schloss. Im Herbst 1944, zog sich die Wehrmacht von der Westfront zurück und Teile quartierten sich erneut im Schloss ein. Im März 1945 wurde das Schloss Raesfeld Hauptverbandsplatz der im Rückzug befindlichen Wehrmacht. Die Rote-Kreuz-Zeichen auf den Dächern verhinderte größere Schäden an dem Schloss durch Fliegerbomben der Alliierten. Mit der Operation Plunder bei Wesel rückte die Front auf wenige Kilometer an Raesfeld heran, bis die britische Armee das Schloss am 28. März schließlich übernahm. Der englische Militärstab richtete in der Vorburg eine Dienststelle ein, während im Haupthaus und im Turm aus den Städten des Ruhrgebiets geflohene Familien unterkamen. Der Rittersaal des Schlosses diente von April 1945 bis März 1946 als Kriegsgefangenenlager für eine Kompanie Wehrmacht-Soldaten. In den Nachkriegsjahren dienten die Schlossgebäude als Notunterkunft für Ostvertriebene und vier Klassen der Raesfelder Volksschule.
Seit 1952 Sitz der „Akademie des Handwerks“
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Handwerkskammern des Landes Nordrhein-Westfalen als neue Besitzer das Schloss restaurieren. Das Hauptschloss ist seit 1952 Sitz der staatlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung „Akademie des Handwerks“. Das Bildungsangebot richtet sich vor allem an Führungskräfte von Handwerksunternehmen. Die Vorburg wurde in den 1980er-Jahren restauriert und beheimatet ab 1982 das „Fortbildungszentrum für handwerkliche Denkmalpflege“ – auch Akademie des Handwerks. Handwerker aus dem Bau- und Ausbaugewerbe können dort historische Handwerkstechniken im Rahmen der Denkmalpflege erlernen. Insgesamt nutzen etwa 7000 Personen im Jahr die Angebote der Handwerkskammer. Der Sterndeuterturm der Vorburg wird seit der Restauration 2001 als Kompetenz-, Informations- und Beratungszentrum genutzt. Der Rittersaal wird seit 1956 vom Kulturkreis Schloss Raesfeld e. V. regelmäßig für Konzerte und literarische Veranstaltungen genutzt, kann aber auch für private Festlichkeiten wie Hochzeiten gemietet werden. Seit 2007 kann man hier standesamtlich heiraten. Das Kellergeschoss des Hauptschlosses wird als Restaurant genutzt. Seit 1. Januar 2022 ist die Gemeinde Raesfeld Eigentümerin des Schlosses. Die Kaufsumme wurde bislang nicht genannt. Die Gemeindeverwaltung war schon seit Jahren in Gesprächen mit der Akademie des Handwerks, was den Kauf des Schlosses anbelangte, so Bürgermeister Martin Tesing. „Nun hat der Rat einstimmig beschlossen, das Schloss inklusive des Grundstücks des Naturparkhauses, dem angrenzenden Wald mit Weinbergteich zu kaufen.“
Korte-Stiftung ist neue Besitzerin des Tiergartens am Schoss Raesfeld
Der Tiergarten am Schloss Raesfeld wechselt 2023 den Besitzer. Neue Besitzerin ist nun die Korte-Stiftung. Die Stiftung mit Sitz in Essen setzt sich für viele gesellschaftliche Zwecke ein. Unter anderem: Jugend- und Altenhilfe, Denkmalschutz und Denkmalpflege oder Naturschutz und Landschaftspflege. Letzterer Punkt bildet die grüne Säule der Stiftung und widmet sich fortan dem Tiergarten am Schloss Raesfeld. Raesfelds Bürgermeister zeigte sich erleichtert über den Verkauf, denn dadurch wurde ein jahrelanger Streit um die Nutzung dieses Tiergartens zwischen dem Eigentümer, Freiherr Thomas von Landsberg-Velen, und dem Tiergartenverein Schloss Raesfeld e.V. beendet. Zum Kaufpreis hielten sich die Akteure bedeckt. Nur so viel: Im Jahr 2021 rief Sascha Korte die Korte-Stiftung ins Leben, die seither pro Jahr rund eine Millionen Euro investiert. Damit gehört sie schon zu den etwas größeren Stiftungen.
Planungen für den Tiergarten in Raesfeld gehen in die nächste Runde
Auf der jüngsten Mitgliederversammlung des Tiergarten-Trägervereins im Mai 2024 kam es zu einem inhaltlichen Austausch mit der Korte-Stiftung als neue Eigentümerin des Tiergartens. In der Diskussion zeigte sich schnell, dass es eine große Schnittmenge bei den Interessenlagen zur Nutzung des Tiergartens auf beiden Seiten gibt. Diese soll in den kommenden Monaten weiter konkretisiert werden. Im Sinne der Stiftung sei es sinnvoll, so wird Christian Große-Kreul, Vorstandsvorsitzender der Korte-Stiftung, in einer Pressemitteilung zitiert, „Wald, Wild und Mensch zusammen zu betrachten.“ Ziel sei es mittelfristig, wieder mehr Wild im Tiergarten anzusiedeln. Aktuell werden hierfür die Voraussetzungen geschaffen. Künftig sei geplant, die Zusammenarbeit zwischen Tiergartenverein und Korte-Stiftung in Form von Projekten oder Führungen zu intensivieren. „Für uns als Tiergarten-Trägerverein ist das eine Win-win-Situation“, so Wilfried Kersting, Vorsitzender des Trägervereins. Ein Planungsbüro sei mit der ökologischen Flächenkartierung der einzelnen Flächenabschnitte beauftragt worden. In Abstimmung mit der Naturschutzbehörde des Kreises Borken sollen nun „Maßnahmen zur Ertüchtigung der Flächen“ priorisiert und in den kommenden Jahren sukzessive umgesetzt werden. Bürgermeister Martin Tesing zeigte sich optimistisch, was die Zukunft des Tiergartens betrifft. „Nachdem der Tiergarten in den letzten Jahren aufgrund des rechtlichen Vakuums eine Art Dornröschenschlaf gehalten hat, können wir jetzt mit dem neuen Eigentümer voller Zuversicht in die Zukunft blicken. Tiergarten und Schloss sind für die Raesfelder Bürgerinnen und Bürger untrennbar miteinander verbunden“, so Tesing in der Mitteilung. Mit dem gemeindlichen Erwerb des Schlosses und dem Kauf des Tiergartens durch die Korte-Stiftung sei diese Verbindung nunmehr auch dauerhaft wieder gesichert.
Neuer Rundwanderweg am Schloss Raesfeld Ende 2023 fertiggestellt
„Auf den Spuren Graf Alexanders II“ heißt die neue Variante des Rundwanderwegs „Landstreifer“, die am Naturparkhaus Tiergarten Schloss Raesfeld startet. Mit einer Länge von gut sechs Kilometern ist der Weg perfekt für einen Sonntagsspaziergang oder einen unterhaltsamen Familienausflug. Der „Landstreifer“ führt durch die Schlossfreiheit des historischen Wasserschlosses Raesfeld mit seinem mittelalterlichen Flair. Anschließend gelangt man durch den Schloss- in den Renaissance-Tiergarten. Hier wechseln sich idyllische Landschaftsarchitektur mit Wasser-, Wald- und Offenlandflächen ab. Und eine artesische Quelle gibt es auch noch, mitten im Tiergarten entspringt die Wellbrockquelle mit besonders reinem Wasser.
Siehe auch: Familie von Raesfeld
Siehe auch: Ferdinand von Raesfeld
Siehe auch: Fehde Goswin von Raesfeld