Dorstener machte als Schweizer Psychoanalytiker Karriere
Von Wolf Stegemann – Geboren 1957 in Dorsten; Schweizer Psychoanalytiker und Kolumnist. – Er ist Privatdozent, Sozialpsychologe, Satiriker und Gesellschaftkritiker in Zürich. In den 1970er-Jahren war er als Schüler des Gymnasium Petrinum freier journalistischer Mitarbeiter der Ruhr-Nachrichten, heute Dorstener Zeitung.
Dem Schreiben ist er treu geblieben
In Dorsten wurde er 1957 geboren und war Schüler des Gymnasium Petrinum, bis ihn das Studium und seine Karriere von Dorsten wegführten. Jetzt lebt er in der Schweiz. Die Schweizer sind ja bekannt für ihre Beständigkeit. Die zeigt auch der Wahl-Schweizer aus Zürich, Dr. Peter Schneider, denn er ist dem Schreiben treu geblieben. Als Kolumnist verschiedener Blätter hat er sich überregional einen Namen gemacht. Regelmäßig macht er sich als Satiriker öffentlich bemerkbar.
Günter Opitz war ein großartiger Lehrer
Peter Schneider studierte Germanistik, Philosophie und Psychologie in Bochum, Münster und ab 1983 in Zürich, schloss die Fächer Philosophie, Literaturwissenschaft, und Sozialpsychologie mit dem Magister ab, promovierte und habilitierte in Bremen in Psychologie. Als er von seiner Schulzeit sprach, kamen dann doch Erinnerungen. Er besuchte in Holsterhausen die Bonifatiushauptschule, dann das Gymnasium Petrinum, wo er 1976 das Abitur machte. Aus heutiger Sicht war für ihn Günter Opitz der „wichtigste“ Lehrer: „Ein großartiger Mann; gebildet, charmant, ironisch – er hat mich sicher sehr geprägt.“ Sport war Schneiders „Lieblingshassfach
Kinder- und Jugendjahre in der Altstadt, Feldmark und in Holsterhausen
In seinen Kinderjahren, die er in der Altstadt, in Holsterhausen und in der Feldmark verbrachte, war sein Großvater Alois Beste der wichtigste Mensch. Seine Mutter war während seiner Kindheit schwer krank. Daher wuchs er bei den Großeltern auf. Im Kindergarten gab er nur ein kurzes Gastspiel. „Während man heute Kinder vor den Fernseher setzt, saß ich früh vor dem Radio und habe Schulfunk gehört: Neues aus Waldhagen u. a. – wunderbare Geschichten.“ Der Vater war Elektriker auf der Zeche Fürst Leopold und „hat furchtbar viel gearbeitet“. Augenzwinkernd meint er, dass er seine Disziplin wohl von seinem Vater habe. „Zweimal habe ich in den Schulferien selber unter Tage gearbeitet. Das gehört zu meinen besten Jugenderinnerungen.“ Die Mutter lebte schon länger in Dorsten, übrigens im Bahnhofsgebäude, bevor seine Eltern sich kennen lernten. Sie starb im Jahr 2000, der Vater lebt 81-jährig noch in Dorsten.
Er wollte Journalist oder Psychoanalytiker werden – jetzt ist er beides
Peter Schneider hat aber nicht nur vor dem Radio gesessen. „Ich habe gelesen wie ein Verrückter“, sagt der Psychoanalytiker. Zuerst Enid Blyton, später Tucholsky, Schiller und ähnliche, alles was ihm „nach Bildung aussah“, dann Freud und immer wieder Enid Blyton. Mit dem Chemiekasten dokterte der Schüler bis zu seinem zwölften Jahr herum, tauschte später den Chemiekasten mit dem Herumhängen auf Partys aus, konsumierte munter Alkoholisches, was Schüler nun mal so machen, griff aber erst mit 25 Jahren erstmals zur Zigarette. Längst hat er die aber auch schon gegen stärkeren Tobak eingetauscht: „Drei Zigarren am Tag sind es mindestens.“ Was wollte der Gymnasiast Peter Schneider beruflich werden? Im Fragebogen, den er kurz vor dem Abitur ausfüllen sollte, hatte er doch tatsächlich „Journalist oder Psychoanalytiker“ als Berufswunsch geschrieben. Wenn er, wie bereits angemerkt, dem Schreiben treu geblieben ist, dem Tagesjournalismus nicht, wohl aber der Satire und Gesellschaftsanalyse.
Politik und Gesellschaft mit der Feder aufgespießt
In Zürich betreibt Peter Schneider seit 1988 eine eigene Praxis als Psychoanalytiker. 2004 wurde er habilitiert und lehrt an den Universitäten Zürich und Bremen Psychoanalyse. Einem breiten Publikum ist er als Autor und Sprecher beim Schweizer Radiosender SRF 3 (täglich in „Die andere Presseschau“) bekannt. Daneben erscheinen in etlichen Schweizer Zeitungen wöchentliche Kolumnen von Peter Schneider, u. a. in der „Sonntags-Zeitung“ und „Leser Fragen, Peter Schneider antwortet“ im Tages-Anzeiger. Seine Themen sind stets aktuell und haben eine breite Palette: Mal spricht er im Rundfunk oder schreibt über Moral und Politik (TV-Kulturplatz), Schuld und Schulden (Tages-Anzeiger), Jugend und Gewalt (Swissinfo), über die Bildungsfeindschaft der Gesellschaft (TA), gegen Denk- und Redemüll (Interview) und „Ob es wirklich so schlimm steht mit unserer Jugend“ (Tages-Anzeiger), um einige Beispiele zu nennen.
Buchprojekte zur Psychoanalyse
Im Jahre 2008 erhielt PD Dr. Peter Schneider den Preis des Schweizerischen Berufsverbandes für Angewandte Psychologie. Zusammen mit Bruno Deckert ist er Verleger der kulturwissenschaftlichen Buchreihe „Sphèressays“. Auf die Frage, wie er die verschiedenen Tätigkeiten unter einen Hut bringe, sagt er: „Einen Spagat zwischen meinen verschiedenen Tätigkeiten gibt es eigentlich nicht. Wissenschaftliche Arbeit, Psychoanalyse, Satire und sonstige Publizistik gehen gut aneinander vorbei und auch manchmal miteinander. Leider hat der Tag aber nur 24 Stunden.“ Langfristige Projekte, wie derzeitig zwei größere Buchprojekte zur Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse einerseits und zur Geschichte des Autismus andererseits, kommen da zu kurz. Die Frage nach seiner Freizeit erübrigt sich eigentlich. Dennoch: Freizeit? „Freizeit habe ich tatsächlich keine außer in Fällen des Schreibstaus oder sonstiger Arbeitsunlust.“ Dann surft Peter Schneider im Internet, liest irgendwas und entspannt sich am liebsten mit Filmen; Wein, Whisky und Zigarren gehören dann dazu.
Er lebt seit nunmehr über 30 Jahren am schönen Zürichsee
In Zürich lebt der einstige Dorstener nunmehr seit 30 Jahren, also länger als er in Deutschland gewohnt hat. Seit 20 Jahren hat er den Schweizer Pass, den deutschen hat er durch seine Einbürgerung verloren. Er fühlt sich wohl an der Limmat und am Zürichsee, denn „hier bin ich zuhause“. Dazu gehören auch seine Frau Patricia Kunstenaar, Psychoanalytikerin und Übersetzerin, und ein 23-jähriger Sohn, der inzwischen in einer eigenen Wohnung lebt und Populäre Kulturen, Filmwissenschaft und deutsche Literatur studiert. Ist Peter Schneider ein arbeitwütiger Mann? Die berufliche Variante seines Zuhauseseins ist vielfältiger und sieht derzeit so aus: Satiren und Kolumnen; etwa 25 Stunden in der Woche Arbeit in seiner Psychoanlayse-Praxis; Privatdozentur in Bremen sowie Lehrveranstaltungen auch an anderen Unis; ziemlich viele Vorträge auf diversen Veranstaltungen (wissenschaftliche und populäre) und zwischendurch mal ein Buch schreiben. Das ergibt eine 70-Stunden-Woche. „Ich hätte allerdings auch keine Mühe, das auf zehn Stunden zu reduzieren, wenn ich den Euromillionen-Jackpot knackte. Ich spiele allerdings nicht mit, und daher ist es unwahrscheinlich.“
Dorsten hat er kaum noch im Blick
Zu seinen heutigen Beziehungen zu Dorsten gefragt, antwortet Peter Schneider: „Eigentlich gar keine!“ Seinen Vater trifft er anderswo, manchmal in Berlin, wo der schweizer Ex-Dorstener seit zwei Jahren eine Wohnung hat. „Früher waren meine Eltern oft in Zürich oder wir haben uns zu Kurzferien irgendwo getroffen. Ich bin mit achtzehn aus Dorsten weggezogen; habe also nur ein Drittel meines Lebens dort verbracht und war auch nachher selten mal länger als einen Tag dort.“
Publikationen (Auswahl): Alltag und Exotik. Aspekte einer Psychoanalyse der Ästhetik. Nexus, Frankfurt am Main 1988 (Diss. Bremen 1987). – Die Psychoanalyse ist kritisch, aber nicht ernst. Die Politik der Psychoanalyse der Politik. Nexus, Frankfurt am Main 1988; Psychosozial, Gießen 1999. – Hinter-Mir und Über-Ich. Das große Hausbuch der Psychoanalyse (als Co-Autor). Nexus, Frankfurt am Main 1989. – Freud, der Wunsch, der Mord, die Wissenschaft und die Psychoanalyse. Nexus, Frankfurt am Main 1991; Psychosozial, Gießen 2002. – Wahnsinn und Methode. Die Alzheimerisierung der öffentlichen Meinung. Edition Tiamat, Berlin 1993. – Freud-Deutung. Traum, Narzissmus, Objekt, Religion. Edition Diskord, Tübingen 1994. – Wahrheit und Verdrängung. Eine Einführung in die Psychoanalyse und die Eigenart ihrer Erkenntnis. Edition Tiamat, Berlin 1995. – Darf man am Sabbat psychoanalysieren? Oder die Ironie der Aufklärung. Edition Diskord, Tübingen 1996. – Sigmund Freud. DTV, München 1999. – Erhinken und erfliegen. Psychoanalytische Zweifel an der Vernunft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. – Das Deuten der Psychoanalyse (als Co-Autor). Turia und Kant, Wien 2003. – Soll man nackte Menschen grüssen? Antworten. Zytglogge, Oberhofen 2005. – Theorie an der Bar. Omega, Stuttgart 2008. – Soll man Freud in Rente schicken? Kolumnen. Zytglogge, Oberhofen 2008. – Das Sterben der Anderen und der eigene Tod. In: Daniel Wyler (Hg.): Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung. Zürich 2009. – Gleichheit und Furcht oder Die Zumutung des Nicht-Anderen. Thomas Hobbes: Leviathan, 13. Kap. In: Bulletin 1/2010 der Gesellschaft für hermeneutische Anthropologie und Daseinsanalyse. – Die Bildungsblase und der Verfall der universitären Autorität, Zürich 2010. – Cool Down. Wider den Erziehungswahn, zus. mit Andrea Schafroth, Oberhofen 2011. – Frühchinesisch. Kolumnen, Oberhofen 2011. – Zuviel des Guten. Über Pathologien des Moralischen. In: Christoph Ammann, Barbara Bleisch u. Anna Goppel (Hg.): Müssen Ethiker moralisch sein? Essays über Philosophie und Lebensführung. Frankfurt a. M., Campus 2011. – Ein ziemlicher Etikettenschwindel. In: Gottfried W. Locher (Hg.) Gretchenfrage. Wie hast du’s mit der Religion? Oberhofen 2012. – Das Gehirn und seine Psyche. Versuche über den neuroscientific turn, Zürich, Verlag Spheres 2012. – Abfuhr, Ausdruck, Sprache. Über psychoanalytische Traditionslinien der Ausdruckstherapien“, In: Wulf Rössler u. Birgit Matter (Hg.): Kunst- und Ausdruckstherapien, Stuttgart, Kohlhammer 2012.
Quellen:
Interview Wolf Stegemann mit Dr. Schneider (2013). – Homepage Peter Schneider (2014).