1945 im Dorstener Gefängnis die Bombardierung überlebt
W. St. – Geboren 1927 in Delmenhorst; Überlebender der Bombardierung. – Zum 40. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Dorsten reiste Rudolf Schulz mit seiner Frau nach Dorsten, wo er 1945 als Soldat im Gefängnis saß, die Bombardierung des Gefängnisses und der Stadt erlebte. Mit tiefer Betroffenheit gedachte er bei seinem Besuch in Dorsten im Jahre 1985 seiner damaligen Kameraden, die im Dorstener Gefängnis am Ostwall unter tragischen Umständen ums Leben gekommen waren. Er selbst überlebte, weil er von einem Dorstener aus dem verschütteten Gefängniskeller herausgebuddelt wurde. Viele Jahre suchte er vergebens seinen Lebensretter in Dorsten. Erst durch einen Aufruf in den „Ruhr-Nachrichten“ meldeten sich zwei Personen, die nach der Bombardierung versucht hatten, eingeschlossene und verschüttete Gefangene zu befreien. Wer letztlich Schulz aus dem Schutt befreite, konnte nicht festgestellt werden, was allerdings auch ohne Belang ist. Mit einem von den beiden, dem Dorstener Adolf Axinger, traf sich Rudolf Schulz im März 1985 im Amtszimmer von Bürgermeister Heinz Ritter, um Erinnerungen auszutauschen. Der eine aus der Sicht des Eingesperrten, der andere aus der des von außen Helfenden.
Todesstrafe auf dem Gnadenweg in Zuchthausstrafe umgewandelt
Die Geschichte von Rudolf Schulz ist typisch für Erlebnisse in den Chaos-Monaten vor Kriegsende. Viele, die diese Zeit erlebt und erlitten hatten, schreiben ihr Überleben Glücksumständen zu. So auch Rudolf Schulz. Der junge, gerade 18 Jahre alte Soldat wurde in Holland von Partisanen überfallen, gefangen genommen und in ein Haus gebracht. Die Mutter eines der Partisanen war eine Deutsche. Schulz wurde wieder freigelassen, wusste nicht, was er machen sollte, und meldete sich bei der Feldgendarmerie in Appeldorn. Dort wollte man von ihm wissen, wo er gewesen war. Da er die holländische Familie nicht verraten wollte, handelte er sich ein Kriegsgerichtsverfahren ein. Das Feldgericht Nr. 427 in Utrecht verurteilte den jungen Gefreiten wegen unerlaubten Entfernens von der Truppe (Fahnenflucht) zum Tode. Auf dem Gnadenweg wurde die Todesstrafe in eine 20-jährige Gefängnisstrafe mit zehn Jahren Ehrverlust umgewandelt. In den letzten Kriegsmonaten hieß dies: Strafbataillon. Welches Ziel der Gefangenentransport hatte, mit dem Schulz und andere von Holland ins Reich gebracht wurden, wusste er nicht. Er glaubte aber, dass das Strafbataillon in Münster zusammengestellt werden sollte. Wegen Überfüllung des Gefängnisses in Münster, blieben Robert Schulz und 40 andere Gefangene im Dorstener Gefängnis.
Schulz stand im stabilen Türrahmen und überlebte die Bombardierung
Als am 22. März 1945 Bombenalarm ertönte, wurden er und weitere Gefangene in den Keller geführt. Andere Gefangene mussten in den Zellen bleiben. Als die Bomben fielen und ein Trakt des Gefängnisbaus getroffen wurde, stand Schulz im festen Türrahmen, was ihn rettete. Geröll und die schwere Eisentür klemmten ihn in sitzender Stellung ein. Durch einen Rohrbruch stieg das Wasser im Keller immer höher. Als es bereits Schulz’ Schultern bedeckte, kam jener unbekannte Helfer von außen und befreite Schulz aus der misslichen Lage. Schulz setzte sich sofort von Dorsten ab, versteckte sich einige Tage in Schermbeck-Bricht, danach stellte er sich den Amerikanern.
Hitlerjunge Axinger kam den Eingeschlossenen zu Hilfe
Der Dorstener Adolf Axinger war damals als 15-jähriger Feuerwehr-Hitlerjunge im Brandeinsatz. Als die Bomben fielen, saß er in einem Erdbunker gegenüber vom Gefängnis am Ostwall. Nach der ersten Angriffswelle bewaffneten sich Dorstener mit Hacken und Pickel, um die schreienden Gefangenen aus den Zellen und dem Keller zu befreien. Plötzlich umstellte eine SS-Einheit, die wahrscheinlich in der Bonifatiusschule in Holsterhausen lag, das Gefängnis und vertrieb die Helfer. Gefangene Offiziere wurden auf einen LKW verladen und im Wald am Freudenberg oder an der Steinhalde in Holsterhausen erschossen und auf dem Holsterhausener Friedhof begraben.
Keine Kino dort, wo einst das Gefängnis stand
Das Gefängnis brannte nicht gleich. Erst durch ein brennendes Nachbarhaus schlugen die Flammen gegen Abend auf das teilweise zerstörte Gefängnis über, das dann abbrannte. Nachbarn hörten die Schreie der durch den Wasserrohrbruch ertrinkenden und verletzten Soldaten. Zivilgefangene waren tagsüber nicht im Gefängnis. Sie arbeiteten in der Firma Koch an der Bochumer Straße. Nach dem Krieg sollte an der Stelle des Gefängnisses ein Kino errichtet werden. Aus Gründen der Pietät – die Todesschreie der Gefangenen waren damals noch frisch in den Ohren – wurde dies dann aber doch nicht gebaut (siehe Militärgefängnis in der Antoniusschule.