Geehrt, geachtet, gemieden, verfolgt, beraubt, ermordet
Moyses David, dessen Familie später den Namen Perlstein annahm, kam zusammen mit dem Schermbecker Juden Michael Samuel (später Grünebaum) 1808 nach Dorsten. Diese beiden Kaufleute waren die ersten Juden, die sich nach einem Jahrhunderte langen Juden-Verbot aufgrund einer Erlaubnis der Regierung Arenberg wieder in der Stadt Dorsten niederlassen durften. Die Kölner Erzbischöfe, die bis 1803 Dorsten Landesherren waren, hatten die Ansiedlung von Juden in ihren Städten verboten, was zur Folge hatte, dass „Landjudenschaften“ entstanden waren. Erst in der Franzosenzeit und durch das Toleranzedikt durften Juden wieder in Städten siedeln und arbeiten. Der von Frankreich beeinflusste neue Landesherr der Stadt, Herzog von Arenberg, genehmigte am 24. März 1808 in einem Schreiben an den Dorstener Bürgermeister den Zuzug von Juden mit der Auflage, dass sie jährlich Schutzgeld zu zahlen hätten.
Moyses David bezog ein Haus am Ostgraben
Der ansiedlungswillige Moyses David, damals 29 Jahre alt, bat den Dorstener Bürgermeister Gahlen am 7. Februar 1808 um eine Niederlassungsgenehmigung und reichte eine Vermögensaufstellung nach. Jeweils für zwölf Taler bekamen er und sein Handelspartner aus Wesel die Zuzugsgenehmigung. Nachdem die noch offenen Fragen über die Handelsgenehmigung, Zunftfreiheit und Leibzoll-Zahlungen geklärt waren, konnte er sein Vieh auf der städtischen Weide grasen lassen. Moyses David bezog ein Haus am Ostgraben, das er als Eigentum erwarb. 1837 starb er an „Wangenfieber“, seine Frau Else 1855 an Altersschwäche. Das Ehepaar hatte acht Kinder, von denen etliche in Dorsten verblieben und Familien gründeten. Aufgrund des Emanzipationsediktes von 1845 mussten alle Juden einen vererbbaren Namen annehmen. In den Unterlagen heißt es im Januar 1846:
„Die hier erschienenen Gebrüder Moses, Isaac und Elias erklärten folgendes: Unser Vater, Moyses David, welcher hierselbst gestorben ist, hat 28 Jahre hier gelebt und sein Domicil gehabt […]. Wir wollen den Familien-Namen Perlstein führen, womit unser abwesender Bruder einverstanden seyn wird.“
Die Perlsteins entwickelten sich zu einer großen, angesehenen und vermögenden Familie in Dorsten. Sie waren in der Synagogengemeinde aktiv und hatten Häuser, Grundstücke und für das Vieh Weidewiesen. Die Perlsteins waren Metzger (Essener Straße und Klosterstraße), Viehhändler, Stuhlbinder, Schuster und Kaufleute, bis die Familienmitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus entweder auswanderten oder 1942 und später in den Gettos und Konzentrationslagern ermordet wurden: in Riga, in Auschwitz, in Stutthof. Einige entkamen durch Auswanderung, einige überlebten die Todeslager. Zurück nach Dorsten kam niemand von ihnen. – Als 1933 die jüdischen Geschäfte boykottiert wurden, dekorierte Amalie Perlstein in der Essener Straße das Schaufenster ihrer Metzgerei mit dem Bild ihres Sohnes Otto, der im Ersten Weltkrieg für sein deutsches Vaterland gefallen war. Von außen klebten SA-Männer Schilder an die Scheibe, die darauf hinwiesen, dass dies ein jüdisches Geschäft sei.
Nachkommen besuchten Dorsten
Die Erbengemeinschaft Perlstein strengte 1949 ein Wiedergutmachungsverfahren für den Verlust von Grundstücken und beweglichem Vermögens beim Landgericht Essen an, das bis 1952 dauerte (siehe Beraubungsakt 1942). Lotte Tennenbaum, Enkelin des Metzgers Salomon Moises (1852 bis 1933), besuchte in den 1980er-Jahren die Stadt ihres Großvaters und wurde hier von Mitgliedern der Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ betreut (siehe nebenstehendes Bild mit Wolf Stegemann). In Holsterhausen wurde eine Straße nach der Dorstener Familie benannt: Perlstein-Ring.
Ausraubungspraxis der Bischöfe: Kosten der Niederlassungsrechte
Im Fürstentum Münster wurden Juden 1682 neu zugelassen, weil Bischof Christoph Bernhard von Galen sie als günstige Geldquelle brauchte. Nach diesem Edikt wurden Juden immer nur für zehn Jahre zugelassen („verleitet“). Sie durften Handel treiben, wurden gegen unrechte Angriffe in Schutz genommen, durften allerdings nur an bestimmten Orten wohnen. Jährlich hatten Landjuden bis zur Auflösung der beiden Fürstentümer Münster und Köln jährlich 1.100 Taler zu zahlen und alle fünf Jahre zusätzlich 5.000 Taler. Die Niederlassungsgenehmigung erbte vom Vater nur ein Kind. Die Umschreibung kostete ebenfalls Geld. Starb ein Bischof, musste an dessen Nachfolger eine Sonderzahlung zwischen 20 und 100 Friedrichsdor gezahlt werden. – Wer sich niederlassen wollte, hatte zudem 1.000 Reichstaler reines Vermögen nachzuweisen. Erst in der Franzosenzeit wurden die Gebühren auf ein normales Maß gebracht und Juden auch in den Städten das Wohn- und Arbeitsrecht genehmigt.