Gerüchte über atomare Sprengköpfe hielten sich eine lange Zeit
In Dorstens unmittelbarer Nachbarschaft befand sich von 1963 bis 1983 ein Nato-Stützpunkt mit abwechselnd niederländischen und belgischen Soldaten unter Befehl der Amerikaner mit Kaserne, Wohnsiedlung, Radarstation und Raketendepots. Jahrelang stand diese militärische Einrichtung im Focus Dorstener Atomwaffengegner, denn sie vermuteten, dass die dort gelagerten „Nike/Hercules“-Raketen mit atomaren Sprengköpfen ausgestattet waren. Regelmäßig wurde dies behauptet und dementiert.
Als der Kalte Krieg zwischen Ost und West seinen Höhepunkt erreichte, rückten 1963 rund 300 Soldaten der 221e Sqadron der Niederländischen Luftwaffe mit auf Tiefladern transportierten Raketen an und bezogen auf einem 40.000 Hektar großen Areal im Süden von Erle ihren Stützpunkt. Unter dem Oberbefehl der US-amerikanischen Streitkräfte, es waren auch 30 amerikanische Soldaten in Erle stationiert, bauten sie mit „Nike“- und „Ajax“-Raketen ein Luftabwehrsystem auf, das Tag und Nacht in Bereitschaft stand. Bekannt war, dass solche Raketen auch mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden konnten. Das Areal wurde zum Sicherheitsbereich erklärt. Die Arbeiter der Dorstener Baufirma Bolmerg, die Betonfundamente für Häuser und Rampen bauten, wurden zum Stillschweigen verpflichtet und Segelflieger durften das Gelände nicht überfliegen. 1966 besuchte Prinz Bernhard der Niederlande für zwei Stunden die Kaserne. Von der Radarstation in Erle wurde der Luftraum im Umkreis von 200 Kilometern mit fünf Radarschirmen überwacht. Im Ernstfall wäre es möglich gewesen, die Raketen von der Radarstation zu starten. Ein Nachrichtenkabel führte zur hochgesicherten Raketenabschussstation in der Uefter Mark, wo drei Raketenhallen standen. Dort lagerten je neun Nike-Hercules-Raketen, die angeblich mit Atomsprengköpfen ausgestatten waren.
Die Niederländer unter ihrem letzten Kommandanten Pannekoek blieben bis 1975 und machten belgischen Soldaten Platz (57. Raketengeschwader). Diese verließen Erle 1983. Ihr letzter Kommandant war Oberst Vangehluwe. Vorgesehen war die darauf folgende Stationierung von amerikanischen Soldaten. Diese fiel allerdings dem Rotstift in Washington zum Opfer. Der Stützpunkt wurde aufgegeben und die Gebäude leer gezogen, in denen unter Leitung des Roten Kreuzes ab 1989 Aussiedler und Asylbewerber untergebracht waren. Das Gerücht über dort gelagerte Atomsprengköpfe verstummte nie. Die frühere Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, die Dorstenerin Agnes Hürland-Büning, beantwortete 2008 die privat gestellte Frage nach Atomraketen in Erle mit einem klaren Nein. „Dort waren nie atomare Sprengköpfe gelagert.“ 2008 kaufte die Gemeinde Raesfeld die Kasernen vom Bund und 2009 wurden die verbliebenen Gebäude abgerissen, ein Teilbereich von 10.000 Quadratmetern für Wohngebäude erschlossen und private Wohnhäuser gebaut. Im Bereich der versteckten Raketenstellungen, die zur DDR-Grenze ausgerichtet waren, gibt es heute einen Hundeplatz und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Wo früher Soldaten martialisch in Kampfbereitschaft lagen, spielen heute Kinder.
2015 brachte der Erler Heimatverein ihre 13. Geschichtsstation in Erle an der Rhader Straße an, die auf die Nato-Zeit hinweist.
Quellen:
Gespräch Wolf Stegemann mit Agnes Hürland-Büning im September 2008 und mit Gregor Duve 2009. – Ursel Beier/Jo Gernoth „Kalter Krieg: Als das Dorf Erle Raketenstützpunkt war“ in WAZ vom 15. April 2009.