Rathaus-Beamter in nationalsozialistischer Verstrickung
1901 in Burgsteinfurt bis 1973 in Dorsten; Verwaltungsbeamter. – Er war 37 Jahre lang in der Amtsverwaltung Hervest-Dorsten bzw. im Dorstener Rathaus beschäftigt, bevor er 1966 als Oberverwaltungsrat nach Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand ging. Jobst erlebte somit „dienstlich“ die Umgliederung des hiesigen Industrie- und Kohlebezirk, die Notlage im Reich um 1930, den vermeintlichen Aufschwung im NS-Regime, dem er im Rathaus als leitender Beamter diente, und er war tätig beim Wiederaufbau sowie bei der Demokratisierung von Verwaltung und Politik in der Nachkriegszeit
Im Internierungslager Hillerheide inhaftiert
Für Dr. rer. pol. Ernst Otto Hermann Jobst dürfte die Internierung im Lager Hillerheide in Recklinghausen und das Entnazifizierungsverfahren am Ende des Dritten Reiches ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein. Jobst trat 1929 in die Verwaltung des Amtes Hervest-Dorsten bzw. der Stadt Dorsten ein. Von 1931 bis 1933 war er als Vorsitzender des „Landwirtschaftlichen Vereins für die Herrlichkeit Lembeck“ Nachfolger des verstorbenen Amtmanns Christoph Kuckelmann. Bis 1940 wohnte er in Wulfen, dann heiratete Jobst und zog mit seiner Frau ins Marienviertel nach Hervest-Dorsten. Bevor die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, war er Anhänger des republikanisch-parlamentarischen Regierungssystem, Mitglied der „bewaffneten Republikaner“ und nach eigenen Angaben im „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, aber auch im „Stahlhelm“, dessen Mitglieder 1934 in die SA überführt wurden. In der ersten großen Eintrittwelle in die NSDAP nach der Machtergreifung war am 1. Mai 1933 auch Dr. Jobst dabei.
Erst 1943 Planstelle als Oberinspektor
In den ersten Jahren gehörten zu seinen Amtsgeschäften die Vermietung und Verpachtung der im Besitz des Amtes oder von Gemeinden stehenden Immobilien, der Umgang mit Hypothekenverfahren und jahrelang die Leitung der Polizei im Amtsbezirk. 1938 beantragte Jobst in den mittleren Dienst übernommen zu werden. Die Entscheidung darüber wurde von der zuständigen Behörde hinausgeschoben. Als 1940 Vorbereitungen in der Verwaltung für die 1943 erfolgte Eingemeindung von Holsterhausen und Hervest-Dorsten getroffen wurden, wurde Dr. Jobst mit dieser Aufgabe betraut und ihm eine Amtmannstelle versprochen – aber nicht gegeben. Erst nachdem er sich persönlich im Innenministerium in Berlin beschwert hatte, bekam er 1943 die Planstelle als Oberinspektor.
Auf Jobst aufmerksam wurde 1945 die englische Militärregierung durch Anzeigen „und Mutmaßungen“ seiner Mitbewohner im Haus Marienstraße 81. Daraufhin brachten ihn die Engländer in das Internierungslager Hillerheide in Recklinghausen. Von dort wurde er am 21. Februar 1947 mit den Auflagen entlassen, sich bei der Polizei in Dorsten zu melden, keinen Wohnsitzwechsel vorzunehmen, aus Deutschland nicht auszureisen und sich politisch nicht zu betätigen – ganz gleich auf welcher Ebene. Über den Grund seiner Entlassung ist in einem „Leumundszeugnis“ des Vorsitzenden der Ortsgruppe Erle der Deutschen Zentrumspartei, Lammersmann, zu lesen: Die Internierung habe auf einer Verwechslung mit dem Sturmbannführer Joost aus Recklinghausen beruht. „Durch gemeine Verleumdung eines Berufsverbrechers, der heute schon wieder wegen neuer Verbrechen eine Freiheitsstrafe verbüßt, wurde Dr. Jobst zur Internierung gebracht.“ Nach dem die englische Militärregierung „diese Angelegenheit“ aufgeklärt habe, sei Dr. Jobst entlassen worden. Zu belegen ist diese Aussage allerdings nicht.
Positives Gutachten zurückgenommen
Der Deutsche Gewerkschaftsbund Hervest-Dorsten setzte sich in einem Gutachten an den Kreisprüfungsausschuss Recklinghausen über Dr. Jobst für dessen Entnazifizierung ein, indem der DGB-Ortsausschuss-Vorsitzende Hahneiser dem Verwaltungsoberinspektor am 9. März 1948 das beste Zeugnis als Demokrat und Nazigegner ausgestellte (so genannter „Persilschein“). Doch schon drei Tage später, am 12. März 1948, widerrief Hahneiser sein eigenes Gutachten mit der Bemerkung: „Verschwiegene Gründe veranlassen uns zu diesem Schritt. Wir stehen in jener Sache ohne Stellungnahme. Wir bitten, dies zur Kenntnis zu nehmen.“ Dr. Jobst hatte wohl etwas verschwiegen, was seine Teilnahme am Nationalsozialismus betraf. In den folgenden Entnazifizierungsverfahren wurde nicht nur von den Betroffenen verständlicherweise gelogen, sondern auch von denen, die den Betroffenen durch „Persilscheine“ helfen wollten. So schrieb der Nachkriegsbürgermeister von Wulfen, Schonebeck, am 25. Juni 1947 ein mit dem Gemeindesiegel versehenen „Leumundszeugnis“, in dem er dem Verwaltungsbeamten bescheinigte, das Jobst „keine Funktion“ in der Partei bekleidete. „Die NSDAP hat ihm nicht getraut.“ Allerdings war Dr. Jobst nachweislich von 1933 bis 1945 nicht nur Mitglied in der Partei, sondern im gleichen Zeitraum auch Oberscharführer der SA und von 1934 bis 1945 Kreisschulungsleiter der NSDAP und aktiv im gleichgeschalteten Reichsbund Deutscher Beamten (RDB).
In Kenntnis dessen bescheinigten ihm dennoch die SPD („Stadtbezirk Dorsten“), die C.D.U.-Fraktion, gez. Norres, und die Bürgermeister von Erle, Rhade, Marl und Altschermbeck in teils übereinstimmenden Formulierungen, dass Dr. Jobst ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen war, auch die Bauernvorsteher der Herrlichkeitsdörfer wuschen Dr. Jobst weiß. Der gleich nach dem Krieg von den Engländern eingesetzte Amtsbürgermeister Philipp Desoi bescheinigte Jobst am 30. August 1947 u. a.: „Seine Verwaltungskenntnisse sind gut, sein Arbeitseifer und sein Fleiß sind vorbildlich. Er ist ein brauchbarer Beamter.“ Widerwärtig gelogen hat auch Kaspar Pier, Reichsbahn-Weichenwärter aus Wulfen, der in seinem Leumundszeugnis behauptete; „So hat er denn auch im Jahr 1938, als es anderwärts in Deutschland zu den berüchtigten Ausschreitungen gegen die Juden kam, verhindert, dass die örtlich ansässigen Juden irgendwie in Mitleidenschaft gezogen worden sind.“ Wie damals öffentlich sichtbar war, wurden die Dorstener Juden in den Herrlichkeitsdörfern und in Dorsten verprügelt, ihre Häuser teilweise verwüstet, sie durch die Straßen getrieben und die Synagoge in Dorsten zerstört, das Inventar auf dem Marktplatz verbrannt. Adele Moises wurde 1938 sogar halbnackt durch Wulfen gepeitscht.
Ob die offenkundigen Unwahrheiten in den „Leumundszeugnissen“ Dr. Jobst bei der Entnazifizierung geholfen oder geschadet haben, konnte nicht festgestellt werden. Fest steht aber, dass Jobst bei der Entnazifizierung nicht von der Stufe der Belasteten (IV) in die mindere Stufe der Entlasteten eingeordnet wurde, sondern als belastet in der Stufe IV b blieb. Allerdings konnte er danach wieder in den öffentlichen Dienst eintreten und wurde 1966 pensioniert. Er starb 1973 in Dorsten.