NSDAP-Ortsgruppenleiter schlich 1945 in die Kirche zurück und in die CDU
Von Wolf Stegemann – 1897 in Bad Wildungen bis 1978 in Reinertshausen; NSDAP-Ortsgruppenleiter. – „Mein Vater war sicher nicht einer der bösen Nazis, er hat aber das Böse mitgetragen“, beurteilte in den 1980er-Jahren die Tochter des früheren Dorstener NSDAP-Ortsgruppenleiters Ernst Heine ihren Vater, der von 1933 bis 1942 der mächtigste Mann in der Lippestadt gewesen war: nett, bieder, gefährlich, freundlich, kumpelhaft, kalt-glatt, bierselig und bösartig. Ernst Heine saß neun Jahre lang im „Braunen Haus“ in der Lippestraße, die Schaltstelle allgewaltiger Parteimacht. Bürgermeister und Stadtverordnete respektierten ihn genauso wie die Milchfrau an der Ecke. Über seinen Schreibtisch ging alles, was Partei- und Volksgenossen, Junge und Alte, Hausfrauen und Hitlerjungen, Geistliche und Kinderreiche, Beamte und Juden anging. Er war es auch, der so manche Anzeige an die Gestapo weiterreichte – oder im Papierkorb verschwinden ließ. Er gehörte zu den vielen kleinen Provinz-Vasallen des Hitler-Regimes, auf die es sich stützen konnte. – Der in Bad Wildungen geborene Ernst Heine war Schreiner und stammte aus einer streng evangelischen Familie. 1923 heiratete er und zog mit seiner Frau Käthe von Bochum nach Dorsten. Das Ehepaar hatte drei Töchter: Margret (1926), Gisela (1930) und Brunhilde (1937). 1925 machte er sich an der „Glashütte“ selbstständig und verbrachte seine Freizeit im Evangelischen Gesellenverein. 1932 trat er in die NSDAP ein und aus der Kirche aus. 1935 wurde er Ratsherr und 1938 Obermeister der Handwerkskammer. 1942 verlor er den Posten des mächtigen NSDAP-Ortsgruppenleiters, weil eine intime Verbindung zu einer Partei-Mitarbeiterin fruchtbare Folgen hatte. Daraufhin wurde er Soldat an der Ostfront. Er überlebte den Krieg, wurde bei der Entnazifizierung in Bochum zuerst als „geringer Übeltäter“ eingestuft, dann als „Mitläufer“ weiß gewaschen, nachdem ihn Dorstener Geistliche, Nonnen, Kommunisten und Geschäftsleute mit „Persilscheinen“ entlastet hatten.
Ernst Heine blieb auch nach dem Krieg seiner Sucht nach Posten und Pöstchen ergeben. Als Funktionär der Entrechteten (BHE) fand er kurz darauf (1955) in der CDU von Bad Wildungen seine neue politische Heimat, wurde Stadtverordneter, Kreistagsmitglied und Obermeister der Schreiner-Innung, wobei er seine braune Vergangenheit und seine Konfessionslosigkeit geflissentlich verschwiegen hatte. Erst durch eine von Dorsten ausgehende Recherche im Jahr 1996 wurde der CDU in Bad Wildungen lange Jahre nach seinem Tod seine NSDAP-Vergangenheit bekannt, was die CDU-Kreisleitung erschüttert zur Kenntnis nahm.
Nach 1945 in Dorsten wie einen alten Kumpel empfangen
Nach Dorsten kehrte er nur einmal kurz in den ersten Nachkriegsjahren für wenige Stunden besuchsweise zurück. Der ehemalige Ortsgruppenleiter wollte seinen von den Engländern beschlagnahmten Besitz retten. Wie seine Tochter als Augenzeugin berichtete, wurde er von Dorstenern mit Schulterklopfen wie „ein alter Kumpel“ empfangen. – Ernst Heine starb 1978 in Reinertshausen. In den Schoß der Kirche kehrte er gleich zu Beginn einer CDU-Karriere mit Hilfe seines Schwiegersohns, eines Pfarrers, klammheimlich zurück. Schließlich sollte niemand wissen, dass er in der NS-Zeit die Kirche verlassen hatte.
Quellen:
Wolf Stegemann „Im Glanz der Macht ein biederer Handwerker geblieben“ in „Dorsten unterm Hakenkreuz“, Band 3, 1985. – Derselbe Gespräch mit der Tochter Heines 1994 in Kassel. – Ders. Gespräch mit CDU-Kreisverband Wildeshausen 1997.