Heming, Ludwig

Als Eiferer widersprach er dem Bischof genauso wie den Belgiern

Grabstätte Ludwig Hemings auf dem Friedhof an der Gladbecker Straße (1940)

Von Wolf Stegemann – 1872 in Coesfeld bis 1940 in Dorsten; Pfarrer an St. Agatha. – Den 15. Februar 1922 hat Pfarrer Ludwig Heming sicherlich sein Leben lang nicht vergessen. Bischof Johannes Poggenburg kam nach Dorsten, um die neue Ausmalung der St. Agathakirche zu besichtigen. Pfarrer Heming, bereits ahnend, dass das neue Werk nicht den Geschmack des Bischofs getroffen haben könnte, sorgte vor: Echter Bohnenkaffee und westfälischer Schinken sollten den Bischof milde stimmen und ein durch ausgeknipste Lampen diffuses Licht die Fresken nicht allzu deutlich werden lassen. Dennoch urteilte der Bischof, wie die Chronik berichtet: „Überstreichen, Überstreichen, Herr Pastor!“ Doch der Pastor setzte mutig entgegen: „Hochwürdigster Herr, das ist das Schönste in unserer Kirche!“ Pfarrer Hemings Amtszeit als Pfarrer an St. Agatha von 1913 bis 1940 war geprägt von den wirren Zeiten während des Ersten Weltkriegs und den politischen Unruhen danach, sowie vom Dritten Reich. Heming widersprach nicht nur seinem Bischof, auch der weltlichen Obrigkeit, den Machthabern, woher sie auch immer ihre Macht bezogen. Er blieb unerschütterlich gegenüber den Spartakisten 1919, den Rotarmisten 1920 und den Offizieren der belgischen Besatzungsmacht 1925, die er mit seinen Mitteln bekämpfte.  Auch bekämpfte er das, was er als „schamlos“ hielt. 1925 appellierte er erstmals an Frauen und Mädchen seiner Gemeinde, die an der Fronleichnamsprozession teilnahmen, „in geziemender, ehrbarer Kleidung mitzumachen“. Denn Heming stellte fest, dass seit einigen Jahren Moden aufgekommen waren, die „wirklich unehrbar waren: Kurze Kleider, tief ausgeschnittene Blusen, ärmellos etc.“ Trotz des Appells musste er bei Prozessionen einige Mädchen wegen ihrer von ihm angesehenen „schamlosen Kleidung scharf rügen“.

Er glaubte anfangs fest an eine positive Erneuerung des Reiches

Heming im Pressebild …

Als die Nationalsozialisten kamen, glaubte Heming – getreu des Konkordats – an die Erneuerung des Reiches. Doch bald merkte er, dass die neuen Herren nicht das hielten, was sie vermeintlich versprochen hatten. An Karfreitag 1934 wurde ihm vertraulich mitgeteilt, dass die Ortsgruppe der NSDAP bei der Staatsanwaltschaft Essen eine Anzeige gegen den Pfarrer erstattet hatte. In ihr wurde Heming beschuldigt, das Dritte Reich öffentlich herabgesetzt zu haben. Dazu der Beschuldigte: „Ich habe ein reines Gewissen und wüsste auch nicht, dass ich in dieser Hinsicht mich verfehlt hätte.“ Später wurde die Anzeige zurück genommen. Noch 1937 ließ Heming einen von der Gestapo beschlagnahmten Sportplatz, der dem Katholischen Jungmänner-Verein gehörte, heimlich umgraben, um ihn für die Hitlerjugend unbenutzbar zu machen. In den darauf folgenden Jahren erkrankte Heming und wurde immer stiller, seine Eintragungen in die Chronik immer kürzer und inhaltsloser. 1872 in Coesfeld geboren, erhielt Heming 1896 die Priesterweihen, war Kaplan in Lüdinghausen, Liesborn und Stromberg, Vikar in Telgte und Münster. 1913 kam er als Pfarrer nach Dorsten. Seine besondere Sorge und Freude galt der oben erwähnten Ausmalung der Kirche (sein Nachfolger Westhoff über ihn: „Ein Eiferer für die Zierde des Hauses Gottes“), dem Bau der Kaplanei mit drei Wohnungen, der Kauf des Rensingschen Patrizierhauses, Errichtung der Kirche in Altendorf-Ulfkotte, Beschaffung des silbernen Reliquienschreins und die wesentliche Erweiterung des Friedhofs.

Ludwig Heming war ein durch und durch politisch gesinnter Pfarrer

Wer Hemings Agatha-Chronik liest, der kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass Heming noch zu den katholischen Geistlichen gehörte, die ihre katholische Moral- und Glaubensanschauung für alle bindend in die Politik hineinzutragen versuchten, als hätte es den „Kulturkampf“ und eine zunehmende religiöse Toleranz und Liberalität nicht gegeben. Den Protestanten stand er ablehnend, manchmal sogar feindlich gegenüber. Beispielweise kritisierte er Dorstener Geschäftsleute, die ihre Schaufenster schmückten, als die evangelische Gemeinde den 450. Geburtstag Martin Luthers mit einem Umzug zum Marktplatz feierte, und das direkt vor seiner Agathakirche. Ein anderer Fall ist ebenso für seine Abneigung evangelischer Gläubiger symptomatisch, als der Dorstener Bernhard Kolanczyk am 29. Juni 1931 Primiz hatte und den Pfarrer fragte, ob er diese in Dorsten feiern könne. Dazu schrieb Pfarrer Ludwig Heming in seine Chronik: „Stets erbaute ich mich an seiner Frömmigkeit und Bescheidenheit. Die Familienverhältnisse aber waren die denkbar schlechtesten. Eine Tochter hatte ein uneheliches Kind, der älteste Sohn heiratete eine Protestantin mit protestantischer Trauung und Kindererziehung; ein anderer Sohn hatte ein Zigarrengeschäft, dazu eine Leihbibliothek, die ein Schulbeispiel einer schlechten Bibliothek war.“

… und als Gemälde

Heming lehnte die Bitte des Primizianten, die Priesterweihe in Dorsten feiern zu können, wegen dessen Familienverhältnisse ab. „Schweren Herzens antwortete ich ihm, dass es wegen der Vorgänge in der Familie besser wäre, wenn er die Primiz nicht in seiner Heimat feiern würde.“ Der neu geweihte Priester Bernhard Kolanczyk war einverstanden. Allerdings ließen die evangelischen Verhältnisse in der katholischen Familie des Primizianten Ludwig Heming keine Ruhe. Er räumte die „Ärgernisse hinweg“ mit dem Ergebnis: „Die gemischte Ehe wurde katholisch geschlossen und die katholische Erziehung der Kinder sichergestellt, die Bibliothek für einige Mark angekauft und dann konnte ich dem guten Bernhard mitteilen, dass wir es doch noch möglich gemacht hätten, seine Primizfeier hier abhalten zu lassen.“
In der Festpredigt erwähnte Pfarrer Heming die Familie „nur mit einem Satz“. Er schreibt erzürnt weiter: „Zum Mittagessen war ich selbstverständlich eingeladen. Es war ein großes Fest mit vielen fremden Gästen, Pater Guardian nahm auch teil, wir haben beide geredet. Ich habe mich frühzeitig empfohlen. Wie ich später hörte, sollen die Anverwandten sehr angeheitert zur Bahn gegangen sein. Der gute, heiligmäßige Bernhard hielt dann später noch ohne Predigt die heilige 11 Uhr-Messe und fuhr bald in die Mission nach China ab. Vom Schiff aus sandte er mir einen Kartengruß. Später tat es mir leid, dass ich die Primiz in Dorsten hatte abhalten lassen, denn wiederum war ein großer Skandal in der Familie vorgekommen.“

Ein Herzschlag beendete sein Leben

Über den Tod Pfarrer Ludwig Hemings am 27. Mai 1940 und über seinen Charakter berichtet die Agathachronik, die von Hemings Nachfolger Pfarrer Franz Westhoff weitergeführt wurde: „Als am frühen Morgen des 27. Mai die dumpfen Klänge der Totenglocke über die Dächer der Stadt hallten, horchten die Dorstener erschreckt auf. Was war passiert? [ … ] Still und unbemerkt von allen war er am frühen Morgen in die Ewigkeit gegangen. Als sich zur gewohnten Stunde – Pfarrer Heming stand immer sehr früh auf – in seinem Schlafzimmer nichts regte, wurde seine Haushälterin unruhig. Sie klopfte mehrmals, aber es kam keine Antwort. Voller Angst weckte sie den ganz in der Nähe schlafenden Kaplan Kompa. Dieser brach die Tür auf und nun fanden beide den Pastor tot im Bett. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Da, wie auch der bald herbeigerufene Hausarzt Dr. Fröhlig feststellte, der Tod vor nicht allzu langer Zeit erfolgt sein musste, spendete ihm der Kaplan noch die hl. Ölung. Ein tragisches und doch auch wieder leichtes Sterben! [ … ] So hatte Pfarrer Heming auf fast allen Gebieten des kirchlichen Lebens in der alten Lippestadt Dorsten Spuren hinterlassen, die auch der Sturm der Zeiten nicht so schnell verwehen wird. Trotz mancher körperlicher Leistung und Beschwerden verstand er es, sich bis in seine letzten Jahre eine bemerkenswerte Frische zu erhalten, die ihn auch für neue Wege der Seelsorge nicht ausgeschlossen sein ließ. [ … ]
Sein lebhaftes Temperament, seine impulsive Art gestaltete die Zusammenarbeit zwischen ihm und seinen Mitarbeitern bisweilen etwas schwierig. Hinter seinem glühenden Eifer, mit dem er an alle Probleme der Seelsorge heranging, trat manchmal die pastorale Klugheit, mit der man erreicht hätte, etwas zurück. Er war mehr für das ,fortiter in re’ als das ,suaviter in Modo’, das ihm oft abging. Aber wenn er einsah, dass er übers Ziel hinausgeschossen war und ungewollt einem wehe getan hatte, dann besaß er auch die Demut, sein Verhalten sofort zu revidieren, so dass ihm niemand böse sein konnte. Diese menschlichen Schwächen, unter denen er selbst litt, trüben nicht, sondern vollenden nur das Bild dieser wahrhaft lauteren Priesterpersönlichkeit. Vivat inter Sanctos!“

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