Sozialgericht Gelsenkirchen

Zuständig für Städte im Kreis Recklinghausen, Gelsenkirchen und Bottrop

Für Dorsten zuständiges Sozialgericht Gelsenkirchen

Über Dorsten hinaus machte ein Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen im Jahre 2013 Schlagzeilen, dessen Fall bereits acht Jahre zurücklag. Dem Sohn einer verstorbenen Patientin des Dorstener Krankenhauses standen als Erbe 50.000 Euro Schmerzensgeld zu. Klinik und Chefarzt hafteten, weil bei der Beurteilung der CT-Bilder der Mutter kein Neurologe zu Rate gezogen wurde. Dadurch blieb ein Hirnstamminfarkt zu lange unerkannt. Die versäumte Behandlung der Patientin sei geeignet gewesen, ihren späteren Tod zu verursachen. Dies hätten Sachverständige im Verfahren bestätigt. Sowohl Krankenhaus als auch Chefarzt hätten nicht dargetan, dass die Frau auch bei richtiger Behandlung verstorben wäre (Urt. v. 12. Aug. 2013, Az. 3 U 122/12).

Übergeordnetes Berufungsgericht ist das Landessozialgericht Essen

Das Justizzentrum an der Bochumer Straße in Gelsenkirchen ist seit 2016 Sitz des 1959 errichteten Sozialgerichts Gelsenkirchen, zu dessen Bezirk Dorsten gehört. Zum Gerichtsbezirk gehören noch die Städte Bottrop, Gelsenkirchen, Herne, Castrop-Rauxel, Datteln, Gladbeck, Haltern am See, Herten, Marl, Oer-Erkenschwick, Recklinghausen und Waltrop. Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen acht Sozialgerichte. Direkte übergeordnete Instanz ist das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen. Revisionsinstanz ist das Bundessozialgericht on Kassel.

Das Sozialgericht – Aufgaben und Zuständigkeiten

Grundsätzlich zählt das Sozialrecht zum öffentlichen Recht. Das Sozialgericht schreitet daher immer dann ein, wenn es zu Streitigkeiten zwischen Bürgern und einem Träger der öffentlichen Gewalt, beispielsweise einer Behörde, kommt. Die genauen Zuständigkeiten des Sozialgerichts beziffert § 51 des Sozialgerichtgesetzes. Demnach zählen unter anderem Fälle in Bezug auf die Grundsicherung von Arbeitslosen und Arbeitssuchenden, des Asylbewerberrechts oder auch Sozialversicherungs-Angelegenheiten zu den Arbeitsbereichen des Sozialgerichts. Örtlich zuständig ist dann immer das Gericht, in dessen Bezirk der der Kläger seinen Wohnsitz hat.

Hartz IV-Klagen bereiten dem Sozialgericht die meiste Arbeit

Die Richter am Sozialgericht in Gelsenkirchen, die auch Dorsten und den Kreis Recklinghausen zuständig sind, haben immer mehr zu tun. Existenznöte vieler Bürgerinnen und Bürger zeigen sich in der Jahresbilanz des Gelsenkirchener Sozialgerichts. Beim einstweiligen Rechtsschutz, über den die Kammern bei dringenden Fällen entscheiden müssen, entfallen fast 75 Prozent auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV). Eine Tendenz, die schon seit Jahren zu erkennen ist. Nachzulesen im Jahrsbericht 2021. Die gesamten Verfahrenseingänge (7352) lagen 2021 zwar deutlich unter denen des Vorjahres (8495), bewegten sich allerdings nach wie vor auf hohem Niveau. Auch bei den Hauptverfahren ist deutlich zu spüren, wo die Sorgen der Kläger am größten sind. In jedem dritten Fall geht es um die Grundsicherung für Arbeitsuchende. 17 Prozent der Verfahren betrafen das Rechtsgebiet Rentenversicherung, 14 Prozent die Krankenversicherung.
Die 27 Richterinnen und Richter konnten gemeinsam mit 63 Mitarbeitern in der Verwaltung 8218 Verfahren abschließen. 2020 waren es 10.071. Noch sei unklar, sagt Silvia Fleck, Präsidentin des Sozialgerichts, ob es sich beim Rückgang der Eingangszahlen um einen dauerhaften oder nur um einen vorübergehenden Effekt handelt. „Trotz Corona“, so Fleck, „mussten nur wenige Verfahren verlegt werden. Außerdem konnten wir vermehrt Videositzungen durchführen.“

Durchschnittliche Prozessdauer: 15,3 Monate

Den Bestand an Verfahren konnte das Gericht von 9003 im Jahre 2020 auf 8139 in 2021 reduzieren. Kläger mussten mit einer durchschnittlichen Prozessdauer von 15,3 Monaten rechnen. Damit lag das Gelsenkirchener Gericht leicht über dem Landesdurchschnitt von 14,7 Monaten. Die Sozialgerichte klären Sachverhalte nach dem Ermittlungsgrundsatz, ermitteln also von Amts wegen. Sie sind nicht an Beweisanträge der beteiligten Parteien gebunden. Kaum verändert haben sich die Laufzeiten bei den einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Nach 1,3 Monaten entschieden die Gerichte über den Rechtsstreit.

Prozesskostenhilfe klettert – mehr als eine Million Euro

Ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Sorgen zeigt sich sicherlich in der Entwicklung der Prozesskostenhilfe. Lag die genehmigte Summe im Jahr 2005 noch bei 173.000 Euro, kletterte sie im letzten Jahr auf über eine Million Euro.

Besonderheiten beim Sozialgericht

In der Regel fällt das Sozialgericht sogenannte Stuhlurteile. Das bedeutet, dass die Entscheidungsverkündung unmittelbar nach einer mündlichen Verhandlung erfolgt. Zudem fällt das Sozialgericht – sofern dies das Streitobjekt ist – Leistungsurteile. Sie entscheiden also nicht über die genaue Summe, die dem Kläger zusteht, sondern verpflichten den zuständigen Leistungsträger, die dem Kläger zustehenden Leistungen zu errechnen und zukommen zu lassen.

Scheidende Präsidentin Silvia Fleck fordert mehr Respekt vor Gericht

Nach 17 Jahren als Präsidentin des Sozialgerichts Gelsenkirchen ging Silvia Fleck in den Ruhestand. In Gelsenkirchen hat die gebürtige Essenerin 1984 als Referendarin ihre ersten juristischen Schritte unternommen. 1999 wurde sie Richterin. Sie war unter anderem am Sozialgericht Dortmund und beim Landessozialgericht, tätig. Im August 2005 wurde Fleck zur Präsidentin ans Sozialgericht in Gelsenkirchen berufen. In Gelsenkirchen, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist, will sie sich auch weiterhin sozial engagieren. Dass sie die Dauerkarten für ihren Lieblingsverein Schalke 04 weiter regelmäßig nutzen wird, ist Ehrensache. Ein Präsidentenamt bleibt ihr als Chef des rotarischen Fanclubs „Schalke rotiert“ auch nach der Pensionierung.

Soziale Kluft in der Gesellschaft ist größer geworden

Silvia Fleck  hat die Veränderung in der Sozialgerichtsbarkeit mitgestaltet, sah sich täglich mit den Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern konfrontiert. 17 Jahre lang war Silvia Fleck Präsidentin des Sozialgerichts Gelsenkirchen, das auch für den Kreis Recklinghausen und somit für Dorsten zuständig ist. Ihre Tätigkeit als Richterin fiel für Silvia Fleck in die Zeit der Sozialreform, als die Einführung von Hartz IV für viel politische Unruhe sorgte. Sie musste oft in Verhandlungen erleben, wie unklar die Gesetzauslegung war und wie häufig erst Gerichte mit ihren Entscheidungen für Klarheit sorgten. Nicht immer laufen Auseinandersetzungen vor Gericht gesittet ab. Die Rechtsgebiete, in denen sich die Sozialgerichte bewegen, so Silvia Fleck, hätten gezeigt, dass die soziale Kluft in der Gesellschaft größer geworden sei. Sie befürchtet, dass sie noch weiter wachsen werde und die Verfahren zunähmen.
Zu Klagefluten ist es im Bereich der Krankenversicherung gekommen. Die Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen haben nach Erfahrung der Gerichte massiv zugenommen. Mit Vergleichsvorschlägen versuchen die Kammervorsitzenden den Streit zu schlichten und den Rechtsfrieden herzustellen, was nicht immer gelingt. Etwas einfacher ist es nach Einschätzung von Silvia Fleck geworden, bei Unstimmigkeiten zwischen klagenden Hartz-IV-Beziehern und Jobcentern zu entscheiden. Mittlerweile hätten die Arbeitsagenturen dazugelernt, ihre Mitarbeiter besser ausgebildet und ihre Bescheide verständlicher erläutert. Die Gerichte sehen sich dennoch oft in der Rolle von Übersetzern. Die Sprache sei für juristische Laien oft schwer zu verstehen.

Personalmangel auch in der Justiz

Oberstes Gebot bei der Verhandlungsführung seien Neutralität und Sachlichkeit, betont die Juristin. Sie wünscht sich mehr qualifizierten Nachwuchs in der Justiz. Es sei problematisch, Personal zu finden, da viele Juristen in die Wirtschaft gingen, weil dort mehr verdient werde. Sie will künftig die Entscheidungen vor Gericht den Jüngeren überlassen. Ein Anliegen liegt ihr besonders am Herzen. Sie spüre eine gesellschaftliche Tendenz zu Diskriminierungen von Minderheiten. So müsse sich die Justiz stets der Verantwortung bewusst sein, sich mit dem zunehmenden Antisemitismus auseinanderzusetzen.


Quellen: Jahresbericht 2021 des Sozialgerichts Gelsenkirchen. – DZ vom 13. Juni 2022. – Klaus Johann in der DZ vom 6. August 2022

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