Herrath Beckmann, Hedwig

Als Kind von Nonnen missbraucht und gequält – vom Papst empfangen

Hedwig Herrath Beckmann überreicht in Begleitung von Dr. Leidegeld von Bistim Münster ihr Buch.

Die Dorstenerin Hedwig Herrath Beckmann überreicht Papst Franziskus in Rom ihr Buch

„Die Autorin nimmt uns mit auf eine bittere Reise durch ihr junges Leben. Ihre im Buch geschilderten Erlebnisse erschüttern. Bis ins kleinste Detail gewährt sie uns Einblicke, die unfassbar scheinen. Und dennoch glaubhaft ist dieses Buch ein geschichtliches Dokument, welches das große Versagen einer schwarzen Pädagogik jener Zeit ausgiebig und facettenreich beschreibt. Im letzten Kapitel ihres Buches wird deutlich, dass durch die vielen Lehren des Erlebens und Verhaltens die Autorin zwangsweise das Haben dem Sein vorzieht. Verständlich, wenn man in den wichtigen Jahren einer Persönlichkeitsentwicklung selbst mit Liebesentzug auf der Strecke bleibt. Für mich ein sehr empfehlenswertes Buch, welches viele Selbst-Reflexionen zulässt. – Prof. Klaus-Peter Dreykorn

„Hilifi – die vermaledeite Brut Gottes“ – Kindliches Leiden auf 500 Seiten

Interview im WDR

Interview im WDR

W. St. Geboren 1944, aufgewachsen in Dorsten, gestorben 2019 in Montril/Spanien; ihr Leben gemeistert trotz… – Heute fragt sie sich, wie sie ihr Leben damals überhaupt weiterführen konnte, nachdem sie als Kind in einem Kloster von katholischen Nonnen seelisch und körperlich missbraucht, misshandelt und gedemütigt worden war. Sie fragt sich das auch, nachdem sie es geschafft hatte. Denn Hedwig Herrath Beckmann schwieg nicht mehr und führte einen langen und ermüdenden Kampf, um sich von der dunklen Seite ihres Lebens, wie sie sagt, zu befreien. 40 Jahre hatte sie gebraucht, um ihre  traurige Kindheit aufzuarbeiten. In ihrem 2013 im Verlag united vorgelegten Buch „Hilifi – Gottes vermaledeite Brut“ hat sie auf 450 Seiten dargestellt, was sie mit er dunklen Seite ihres Lebens meinte, und setzte damit ein Zeichen dass Kindesmisshandlung stärker und ohne Rücksicht auf die Täter bekämpft werden muss. ein Zeichen zu setzen, dass Kindesmissbrauch in kirchlichen Institutionen stärker bekämpft werden müsse und mutmaßliche Täter aus ihren Reihen nicht mehr geschützt werden, sondern den Staatsanwaltschaften gemeldet und vor weltliche Gerichte bebracht werden.
Ihr Schicksal, schwarz auf weiß nachzulesen, ließ aufhorchen. Hedwig Herrath Beckmann stellte ihr Buch im September 2016 im Alten Rathaus den Dorstenern mit einer Lesung vor, die auch vom Bistum Münster mitgetragen worden war. Der stellvertretende Generalvikar des Bistums Münster, Dr. Jochen Reidegeld, gab Auskunft über die Maßnahmen der Bischöfe zur Aufklärung und Aufarbeitung des Kindermissbrauchs durch Kirchenmänner in den Diözesen.

Der Bischof von Münster entschuldigte sich für die Misshandlungen

Hedwig Herrath Beckmann

Hedwig Herrath Beckmann

Auch die Kirchenoberen konnten das anklagende Buch nicht einfach am Regal verschwinden lassen. Hedwig Herrath Beckmann wurde als Missbrauchsopfer anerkennt. Der Bischof von Münster, Felix Glenn, leistete in einem Filmbeitrag des WDR Abbitte für alle Grausamkeiten, die ihr im Namen des Herrn durch die katholische Kirche widerfahren sind. Er bezeichnete ihr Buch als ein „bleibendes Mahnmal einer gequälten Kindheit“. Auch versicherte er, dass zukünftige Verbrechen durch Geistliche vor Gericht gebracht werden und sie aus der Kirche ausgeschlossen werden. Der Vizegeneralvikar des Bistums Münster, Dr. Reidegeld, kam sogar persönlich bis nach Andalusien, weil Hedwig Herrath Beckmann darauf bestand, dass es eine Bringschuld sei, um Verzeihung zu bitten. Ihr Buch wurde auf der Homepage des Bistums respektvoll als bleibendes Mahnmal einer gequälten Kindheit benannt. Auch ein anderer Kirchenvertreter wurde auf die Ex-Dorstenerin aufmerksam gemacht. Ende Oktober 2016 empfing Papst Franziskus die Buchautorin in Rom und nahm ihr Buch entgegen.

Im Emmelkamp wurden der Mutter die Kinder gewaltsam entzogen

Vater, Mutter und Hedwig im Emmelkamp

Vater, Mutter und Hedwig im Emmelkamp

Als Hedwigs Mutter in den letzten Kriegsmonaten mit ihr schwanger war, ließ der Ehemann die Mutter seiner vier Kinder im Stich. Für die alleinstehende Mutter, die in einem Haus im Emmelkamp wohnte, waren die ersten Nachkriegsjahre schwer. Der Emmelkamp gehörte  damals gemeindlich noch zu Altschermbeck, kam erst 1975 zu Dorsten, kirchlich gehörte er zu Holsterhausen. Als Hedwig vier Jahre alt war, drangen Polizisten auf Veranlassung der Fürsorge-Behörde in das Haus am Emmelkamp ein. Die Kinder schrien und versteckten sich. Ihr Bruder wurde von Polizisten an Händen und Füssen gepackt und weggeschleppt. Sie selbst wurde einer Fürsorgerin übergeben, die sie auf dem Fahrrad wegbrachte. Sie fand sich in einem Kinderheim in Dortmund wieder. Hedwig fürchtete sich vor den fremden Leuten, weinte, ihr Hals war wie zugeschnürt. Da wurde sie angeschrien und eingeschüchtert, was zur völligen Verweigerung führte. Daraufhin wurde sie auf behördliche Anordnung zunächst in das Coesfelder Vinzenzheim gebracht. Die Zeit dort hat sie wegen der Unerträglichkeit ausgeblendet. Das Mädchen wurde zur Adoption freigegeben und auf einen Bauernhof weitergegeben. Die Fürsorge nahm sie von dort aus wieder wortlos weg, als sie bei einer Kontrollvisite sah, dass das kleine verunsicherte Kind völlig verheult war. Bei den Bauern und ihrem Knecht, sah das ca. fünfjährige Mädchen sexuelle Szenen, die es schockieren mussten. Sie schlief auf Brettern im Schlafzimmer der Bauern. Nie wusste sie, was mit ihr geschah, wohin man sie brachte oder warum. So wurde sie regelrecht von einem Ort zum anderen verschleppt.

Hedwig verweigerte Essen und Sprechen: drastische Strafen der Nonnen  

Buchtitel

Buchtitel

Die Fürsorge nahm sie mit nach Coesfeld zu katholischen Nonnen, den „Schwestern der göttlichen Vorsehung“ in das Kinderheim Kloster Marienburg, dem heutigen Haus Hall. Dort wurde die inzwischen etwa fünfjährige Hedwig gedemütigt, misshandelt und missbraucht. Dort entstand bei den dort untergebrachten Schutzbefohlenen der Begriff, den Hedwig dem Titel ihres Buches gab: „Gottes vermaledeite Brut“, ein heute veralteter Begriff für „Gottes verfluchte Brut“.
Als die Vierjährige immer noch essensgestört war, wurde sie mit Gewalt gezwungen. „Eine keifende Nonne versucht, mir das Brot mit Gewalt in den Mund zu stecken und als ich meine Lippen fest zusammengepresst hielt schnitt sie mir mit der harten Brotkante die Lippen auf. So dass das Blut warm an meinem Kinn herunterlief.“ Trotz vieler anderer Quälereien aß Hedwig nicht mehr. Ihre Schmalzstullen warf sie heimlich in ein Wasserklosett, das dann überlief. Daraufhin wurde sie von einer Nonna an den Haaren zur Toilette gezerrt und ihr Kopf solang in das Klo gesteckt, bis sie glaubte, zu ertrinken. Die katholischen Schwestern ließen sich noch andere „demütigende, schauderhafte und sexuell abartige sadistische Erziehungsmethoden“ einfallen. Beispielsweise beim samstäglichen Baderitual in völliger Kälte. Sie wurde u. a. mit der Wurzelbürste oder einem Spiralschwamm am Geschlechtsteil geschrubbt oder in einem dunklen Raum ohne Bett, Klo, Essen und Trinken einfach vergessen. Auf diese schrecklichen Erlebnisse hin verstummte Hedwig. Beispielhaft schilderte die Autorin, wie sie Hirsebrei mit Heringsschwänzen habe essen sollen, in dem sich Erbrochenes eines anderen Kindes befunden habe. Wiederholt hätten ihr die Nonnen dies vorgesetzt, ohne dass sie es habe anrühren können. Als Strafe habe man sie in eine dunkle, leere Kammer gesperrt – nur eine von unzähligen drastischen Maßnahmen. Die Erinnerung an solche Qualen ist für Hedwig Herrath Beckmann eigentlich keine Erinnerung, sondern bleibt Gegenwart. „Bis heute kann ich manchmal Gerichte nicht essen, weil sie aussehen, wie sie aussehen, und sei es in einem Vier-Sterne-Restaurant“, sagte sie.

Mutter heiratete, um ihre Kinder von der Fürsorge zurückzubekommen

Schließlich kam das Kind in die Taubstummenschule bis die Nonne Vincentin ihr das nötige bisschen Liebe gab, das ihr dazu verhalf, ihre Sprache wiederzufinden. Die Mutter, die noch im Emmelkamp wohnte, kämpfte darum, ihre Kinder zurück zu bekommen. Doch hierfür musste sie zuerst heiraten, denn als Alleinerziehende wollte man ihr die Kinder nicht zurückgeben. Leider war der zweite Mann der Mutter von Hedwig ca. 12 Jahre jünger, alkoholsüchtig und brutal. Von der Schwester ihres Stiefvaters wurde die kleine Hedwig zu allem Übel zwei Jahre lang sexuell missbraucht unter der Drohung, würde sie etwas verraten, käme sie zurück ins Heim. Mit 15 Jahren, nach Abschluss der Volksschule, erlernte Hedwig den Beruf der Einzelhandelskauffrau und machte die Bekanntschaft ihres zukünftigen Mannes. Nachdem der Stiefvater die Mutter unter ein fahrendes Auto geprügelt hatte und sie im Sterben lag, machte er sich an die Tochter heran. Hedwig floh mit Kleid und Pantoffeln und 20 Pfennig in der Tasche, schlief in offenen Autos bis nach sechs Wochen der Berufschullehrer ihr ein Zimmer in seiner Villa anbot, das sie dankend etwa ein Jahr lang bewohnte.

Sie heiratete erneut und richtete sich in Spanien ein

Hedwih Herrath Beckmann widmete sich der Malerei

Hedwig Herrath Beckmanns Malerei

Als sie 19 Jahre jung war, heiratete sie, zog mit ihrem Mann zunächst in den Stuttgarter Raum und später Richtung Frankfurt am Main, wo sie mit 22 Jahren Mutter eines Mädchens wurde. Durch ihre bitteren Kindheitstraumata litt Hedwig bereits als Kind unter schweren Zwängen, Phobien und Essstörungen, die sie in zwei mehrjährigen Gesprächstherapien überwand. Sie war politisch engagiert, bildete sich in verschiedenen Fernstudiengängen weiter und bereiste die Welt. Nach ihrer Scheidung machte sie Karriere und nahm drei Kinder aus einem von Nonnen geführten Heim zu sich. Zudem nahm sie eine misshandelte und missbrauchte Jugendliche an, um sie vor weiteren Übergriffen seitens ihres Vaters zu schützen. Sie half allen vier angenommenen Kindern und ihrem eigenen auf den rechten Weg, betrieb ein Restaurant und ein Heiratsinstitut in Aschaffenburg. Mit 52 Jahren heiratete sie zum zweiten Mal und verließ gemeinsam mit ihrem Mann Deutschland. „Ich wollte ein neues Leben im Süden Spaniens starten, um endlich vergessen zu können.“ Im andalusischen Ambiente fand sie Ruhe und Geborgenheit. Hedwig Herrath Beckmann begann die Malerei als ihr neues Talent zu entdecken, malte großflächige und ausdrucksstarke Bilder, die sie auf Ausstellungen präsentierte und gab Mal- und Kunstunterricht.

Nach dem Tode ihres Mannes blieb sie in Almuñecar und entschloss sich zur Niederschrift ihrer Erinnerungen an ihre schicksalhafte Kindheit. „Bis zum heutigen Tag kämpfe ich für die Anerkennung und Wiedergutmachung der Leiden, die so viele Kinder in den Nachkriegsjahren in kirchlichen Heimen und Klöstern durchlebt haben.“ – Aktuelle schreibt sie an einem Drehbuch für die Verfilmung ihrer Kindheit mit. Drehtermin 2017. Durch ihren Tod am 22. Juni 2019 konnte die Filmherstellung nicht beendet werden.

Herrath-Muenster-zoegert-Freiburg-zahlt-Verdacht-sexuellen-Missbrauchs-beschaeftigt-zwei-Bistuemer_image_630_420f_wn

Zur Sache: Was Wissenschaftler über katholische Geistliche zu sexuellem Missbrauch zusammengetragen haben, klingt erschreckend: Persönlichkeitsstörungen, Unreife und pädophile Neigungen. Dokumentiert wurden mehr als 12.900 sexuelle Vergehen von Kirchenmännern in neun Staaten, neben Deutschland unter anderem Irland und die USA. Die katholische Kirche  hat 2002 Leitlinien veröffentlicht, nach denen bei Vorwürfen des Missbrauchs in katholischen Institutionen vorgegangen werden soll. Im Bistum Münster wurde für „Fälle des sexuellen Missbrauchs Minderjährige durch Geistliche“ eine Kommission zur Untersuchung eingerichtet. Von 1948 bis 2014 wurden 60 Täter und mehr als 106 Opfer bekannt. Entschuldigungen waren angesagt. Doch die Kirche tat sich anfangs schwer. Kirchenobere entschuldigten sich für das Verhalten ihrer Geistlichen bei Gott, nicht bei den Menschen, die von Kirchenmännern missbraucht worden waren. Erst nach Protesten entschuldigten sich Bischöfe auch bei den Opfern.

Inzwischen haben 1700 Menschen bei der katholischen Kirche in Deutschland Anträge auf Entschädigung für sexuellen Missbrauch gestellt und ihre Peiniger genannt. Oft gebe es in den Personalakten aber keine Hinweise auf sexuelle Übergriffe, sagt Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs. 2017 sollen die Recherchen in deutschen Diözesen beendet sein. Die Forscher vom Kriminologischen Institut der Universität Heidelberg wollen von Personalakten bis zu Geheimarchiven Dokumente zu sexuellem Missbrauch sichten. Dabei geht es um Erkenntnisse, welche Strukturen Missbrauch begünstigt haben, nicht um Namensnennung, Strafverfolgung oder Diözesen-Bashing. Das fordert die Kritik der Opferverbände heraus.

Die Bistümer in Deutschland haben in den vergangenen fünf Jahren (bis 2016) mehr als 6,4 Millionen Euro an Opfer sexuellen Missbrauchs gezahlt. Das ergab eine Umfrage der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ unter den 27 Diözesen. Die Summe wurde an mehr als 1000 Antragssteller ausgezahlt, die sich zwecks Anerkennung des erlittenen Leides an die katholische Kirche gewandt hatten, und beinhaltet neben reinen Geldzahlungen auch Kostenübernahmen für psychologische Behandlungen. Am häufigsten wurde die Leistung im Bistum Münster nachgefragt, das sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Niedersachsen beheimatet ist. 129 Anträge gingen hier nach Angaben der Pressestelle ein, 122 wurden anerkannt und 862.000 Euro ausgeschüttet.

Der Vatikan will im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegenüber Minderjährigen die Kirchenoberen mehr als bisher in die Pflicht nehmen. Bischöfe, die möglichen Fällen nicht nachgehen und somit nachlässig handeln, sollen künftig ihr Amt verlieren, bestimmte Papst Franziskus in einem neuen Rechtsdokument („Motu proprio“).

Siehe auch: Missbrauchsfälle
Siehe auch: Missbrauch bei den Franziskanern
Siehe auch: Missbrauch im Gymnasium
Siehe auch: Josef Veltrup
Siehe auch: Wilhelm Kompa


Quellen:
Homepage Hedwig Herrath Beckmann (Aufruf Dez. 2016). – Bistum Münster, Pressestelle „Bleibendes Mahnmal… (o. J.). – Buchtipp in „Literatur von Heimkindern“ (Aufruf Dez. 2016). – Costa del Sol-Nachrichten vom 16. Nov. 2016. – Dorstener Zeitung vom 13. Sept., 3. Okt., 8., 9. Nov 2016. – Wikipedia „Missbrauch in der Kirche“ (Aufruf Dez. 2016). – Westfälische Nachrichten vom 13. Sept. 2014.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone