Fußgängerzone II

Ab 2018 werden die Essener, Recklinghäuser und Lippestraße aufgemöbelt

Lippestraße Richtung Innenstadt 2016; Foto: Wolf Stegemann

Lippestraße Richtung Innenstadt 2016; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann – Eine kritische Betrachtung. Im vorangehenden Artikel ist unter „Fußgängerzone I“ die Geschichte dargestellt, unter welchen Geburtswehen 1978 die Fußgängerzone entstand und welche Vorstellungen  Verwaltung, Kommunal- und Parteipolitiker mit ihr verknüpften. 2018 wird sie 40 Jahre alt. Im übertragenen Sinne eigentlich eine Dame in den besten Jahren. Doch nicht die Fußgängerzone. Sie ist frühzeitig gealtert, schlampig geworden, verdreckt und überhaupt nicht mehr attraktiv. Waren in den frühen 1980er-Jahren nach Geschäftsschluss noch Ehepaare und andere beim Schaufensterbummel unterwegs, hat sich das geändert. Die Schaufenster sind heute weder attraktiv noch bietet die Fußgängerzone andere Attraktionen an. Bei näherem Hinsehen sieht man überall Ecken und Flächen, die der Verschmutzung überlassen sind. Da hilft auch nicht das Grünzeug aus Plastik, das die Fenstersimse des Alten Rathauses schmückt bzw. schmücken soll, um ein Beispiel von Niveaulosigkeit zu nennen. Gut gemeint! Und wer durch die Fußgängerzone geht, der wird erschlagen von bunter Werbung links und rechts und mitten in den Straßen, muss Slalomgehen, um den vielen Reklameaufstellern, Verkaufsständen und Ähnlichem aus dem Weg zu gehen.

Vor 40 Jahren: Keine Konsumstraße, sondern Straße der Begegnungen

In Erinnerung gebracht: Vor 40 Jahren lehnten die Sprecher der Dorstener Kaufmannschaft die Ansiedlung eines Verbrauchermarktes am Lippetor mit der Begründung ab, aus der Fußgängerzone dürfe keine Konsumstraße gemacht werden, vielmehr müsse sie Einkaufs- und gleichzeitig Begegnungs- und Freizeitstätte sein. Fachgeschäfte seien erstrebenswert, Boutiquen, Spezialitätenrestaurants mit internationaler Küche, eine Diskothek, eine Tanzschule und ein Kino wünschenswert, um das Image zu verbessern und dazu beizutragen, dass hier noch abends Betrieb herrsche. Soweit die Stimmen von 1978. Das Konzept klappte nicht. Die Fußgängerzone wurde zur Einkaufsmeile, wozu immer mehr eigentümergeführte Geschäfte zugunsten von Filialketten aufgaben. Der Niedergang der Attraktivität der Fußgängerzonen durch Häufung von Leerständen und Billiganbietern bedingt, ist auch verursacht durch innenstadtnahe Ansiedlung von Einkaufszentren, wie beispielsweise in Dorsten das Mercaden am Lippetor. Wie auch immer: die Attraktivität der Innenstadt ist verschwunden. Lediglich die Gastronomie in der Fußgängerzone und vor allem am Markt hat Aufschwung genommen. Dennoch: Insgesamt kein gutes Gesamtbild der Fußgängerzone im Jahr 2016, die mehr urbane Durchmischung verlangt.

Fußgängerzone soll „unverwechselbares“ Dorstener Profil vermitteln

Daher wollen Verwaltung und Politik die Stadt im Jahr 2018 die Fußgängerzone der Altstadt umgestalten. Finanziert werden soll das Großprojekt im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms „Wir machen Mitte“. Der Bedarf wurde in einer ersten Bürgerbeteiligung Mitte Mai, an der rund 50 Personen teilnahmen, festgestellt und beschlossen,  die Qualitäten der Dorstener Innenstadt gemeinsam mit den Bürgern herauszuarbeiten und Handlungsbedarfe zu bestimmen. Die Verwaltung hat das europaweite Ausschreibungsverfahren eingeleitet, um ein geeignetes Architektur- bzw. Raumplanungsbüro für die Planung des Umbaus zu finden.
Die Vorgaben der Stadt knüpfen an die von vor 40 Jahren an, sind mit anderen Worten fast identisch: „Mit der Umgestaltung soll die Innenstadt als Ort der Begegnung und des sozialen Austausches gestärkt werden.“ Zudem soll der Umbau die regionale Baukultur spiegeln und der Fußgängerzone ein unverwechselbares, nicht austauschbares Profil vermitteln. Wörtlich: „Er soll dabei die Identität der Stadt Dorsten als mittelzentrale, kleinteilig strukturierte Stadt abbilden.“ Eine Fußgängerzone mit unverwechselbarem Profil? Da müssen sich die zukünftigen Architekten und Raumplaner was einfallen lassen, denn die Fachliteratur stellt fest und beklagt, dass Fußgängerzonen eigentlich keine „unverwechselbare Identität“ darstellen. Sie seien überall gleichermaßen den baulichen Gegebenheiten einer Innenstadtstraße angepasst und die Geschäfte heute auch alle gleich! Somit auch das, was es da zu kaufen gebe.

Erst einmal ein Stadtplanungsbüro für die Umgestaltung finden

So könnte die Fußgängerzone aussehen. Animation: Planungsbüro Lohaus + Partner

So könnte die Fußgängerzone aussehen. Animation: Planungsbüro

In dem zweistufigen Vergabeverfahren können nun zunächst Architekten, Freiraumplaner und Stadtplaner ihr Interesse an dem Auftrag bekunden. In der zweiten Stufe geht die Stadt dann mit fünf Büros in ein Wettbewerbsverfahren, in dem die Büros erste Vorentwürfe zur Umgestaltung exemplarischer Bereiche wie dem Raum vor dem Franziskanerkloster erarbeiten müssen.
In der Euphorie, etwas schaffen zu wollen, das „unverwechselbar“ ist, hat sich bereits öffentlich der Begriff für die neue Fußgängerzone in der Innenstadt gebildet: „Flaniermeile“ (DZ vom 14. Juni 2016). Flanieren ist ein müßiges Umherschlendern, entlehnt dem „ziellosen Herumlaufen“, und die, die das dann zwischen Recklinghäuser Straße und Lippestraße tun, sind „Flaneure“, ein veralteter Begriff für „Müßiggänger“ und „Pflastertreter“. Diese Begrifflichkeiten decken sich ja mit den Vorstellungen der Stadt, eine Fußgängerzone der Begegnungen und des „sozialen Austausches“ zu schaffen. Dem steht allerdings das gedrängte und eindringliche Konsumverhalten, die offensive Werbung zum Kaufen und Verkaufen gegenüber. Daran scheiterte auch die politisch und wirtschaftlich gewollte Kommunikations- und Begegnungskonzeption von 1978. Das Erneuerungsprogramm von 2018 soll in zwei Phasen etwa drei Jahre dauern. Zuerst wird die Lippestraße umgestaltet, danach, etwa 2019, der Marktplatz, die Essener und die Recklinghäuser Straße.

Verschönerungsplanungen vorgestellt

Ende 2016 stellte das von der Stadtverwaltung beauftragte Planungsbüro „Lohaus + Carl“ (Hannover) das Vorhaben den Bürgern vor. Zu den Verschönerungen gehören u. a. eine neue Pflastergestaltung des Marktplatzes und die Fortführung eines geplanten Leitsystems für Menschen mit Handycaps über die Recklinghäuser Straße in Richtung der Bushaltestellen am Platz der Deutschen Einheit. In den Einkaufsstraßen solle ein Mittellaufband frei von Hinternissen gelegt, links und rechts davon neu gepflastert werden und eine Reihe Bäume gepflanzt werden.

Beirat aus Vertretern der Bürgerschaft und Vereine gegründet

Es wurde ein Beirat gegründet, der bei der Umgestaltung mitwirken soll. Ihm gehören  Vertreter der Bürgerschaft, der Kaufmannschaft, der Markthändler, des Vereins für Orts- und Heimatkunde, des Verkehrsvereins sowie der Senioren-, Behinderten- und Jugendvertretungen an. Er soll im ersten Halbjahr 2017 dreimal tagen und an den nächsten Planungsschritten beteiligt sein. Die endgültigen Pläne für die neue Fußgängerzone sollen im Sommer der Öffentlichkeit präsentiert werden. Im zweiten Quartal 2017 sollen zunächst die Gas- und Stromleitungen in der Fußgängerzone erneuert werden, mit Beginn am Lippetor. Dabei sollen die Einschränkungen so gering wie möglich sein. Zeitgleich beantragt die Stadt die Fördermittel für den 3,7 Mio. Euro-Umbau der Fußgängerzone. 2018 wird mit der Lippestraße begonnen, bis 2020 sollen auch der Marktplatz, die Recklinghäuser und Essener Straße fertiggestellt sein. Pläne hängen im Stadtteilbüro an der Gahlener Straße 9 aus.

Fußgängerzone: Umbau ist 700.000 Euro teurer geworden als geplant

Für die im Sommer 2020 abgeschlossene Sanierung der Fußgängerzone in Dorstens Innenstadt war bei Beginn der Arbeiten im Februar 2018 Baukosten in Höhe von 5,3 Millionen Euro festgelegt worden. Aus welchen Gründen auch immer stiegen sie um 700.000 Euro auf sechs Millionen. Die Stadt hatte daher einen Kostenerhöhungsantrag bei der Bezirksregierung Münster eingereicht, über den noch nicht entschieden wurde (Stand Dezember 2020). Die erheblichen Mehrkosten, so die Verwaltung in einer Umwelt- und Planungsausschusssitzung, seien „durch hohe abgerechnete Mengen der Baufirma“ zustande gekommen. Die Bezirksregierung hatte der Stadt für die Umbauarbeiten im Zuge von „Wir machen Mitte“ einschließlich der Planung, der Bauleitung und der Hochsicherheitspoller-Anlagen 5,3 Millionen Euro bewilligt. „Bereits im Bauablauf hatten sich Kosterhöhungen und Zusatzkosten ergeben“, so die Stadt. Daher steht die Stadt dazu in Gesprächen mit der ausführenden Baufirma über einzelne Positionen in den Rechnungen, die gegenüber der Kalkulation höher ausgefallen sind.

Angebots und Bewilligungsverfahren allgemein

Wegen des vorgeschriebenen Zwangs, dass in der Regel öffentliche Auftraggeber das preisgünstigste Angebot annehmen müssen, werden die Angebote der Unternehmen manchmal bewusst niedrig gehalten, um den Auftrag zu bekommen. Im Laufe der Ausführungen stellen sich dann „unvorhergesehene Verteuerungen“ ein, die verlangt werden. Auf diese Weise wurden Mitbieter, die das Angebot eben real ausgerechnet hatten, ausgestochen. In den letzten 40 Jahren mussten sich Politik und Verwaltung in Dorsten mehrmals mit solchen Verfahren befassen. Das soll aber nicht heißen, dass das aktuelle Abrechnungsverfahren „Fußgängerzone“ so gelaufen ist.

Siehe auch: Mitte machen – Dorsten 2020
Siehe auch: Fußgängerzone I
Siehe auch: Fußgängerzone III
Siehe auch: Fußgängerzone IV


Quellen: Städtische Website „Dorsten aktuell“ vom 13. Juni 2016 „Wir machen Mtte: Umgestaltung der Fußgängerzone“. – „Dorstener Zeitung“ vom 14. Juni 2016. – DZ vom 22. Dez. 2020.

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