Sein Begräbnis wurde 1923 zum Protest gegen die belgische Besetzung
Von Wolf Stegemann. – Geboren in Gahlen-Hardt, erschossen am 12. Februar 1923 in Gelsenkirchen; Oberwachtmeister der Schutzpolizei Gelsenkirchen. – Trotz Belagerungszustand, den der französische General Degouette für Gelsenkirchen ausrief, blieb es in der Stadt ruhig. Die Bergarbeiterverbände, die Bürger und Politiker leisteten lediglich passiven Widerstand. Auch die französische Besatzungsmacht vermied jede Aktion, die zu einer Eskalation führen könnte. Dies änderte sich schlagartig am 12. Februar 1923. Frank Jochims schilderte in seinem Beitrag „Auf dem Weg zu einer demokratischen Polizei. Gelsenkirchener Schutzpolizei 1918-1928 in „Städtische Gesellschaft und Polizei“ wie es dazu kam:
Franzosen eröffneten das Feuer auf die Polizisten
„Am frühen Morgen des 12. Februar 1923 hielt Polizeioberwachtmeister Hutmacher von der 2. Polizeibereitschaft, Wachhabender der Zentrumswache, einen Personenwagen mit deutschem Kennzeichen an, der trotz Dunkelheit ohne Licht fuhr. Zwei uniformierte sprangen aus dem Wagen, eröffneten das Feuer und verwundeten Hutmacher tödlich am Hals. Eine herbeieilende deutsche Polizeistreife verwickelte die Franzosen in ein Feuergefecht, in dessen Verlauf die Franzosen schwer verwundet wurden. Warum die Franzosen das Feuer eröffneten, blieb unklar. Doch das französische Oberkommando fasste den Zwischenfall als Angriff auf und reagierte dementsprechend. Schon am nächsten Tag rückten von Panzern unterstützte Verbände in Gelsenkirchen ein. Diese forderten neben der Verhaftung der beiden Verantwortlichen, Polizeipräsident Stieler und Major Kulow, Kommandeur der Schutzpolizei, auch ein Bußgeld in Höhe von 100 Millionen Mark (Inflationsgeld) von der Stadt. Als sich sowohl der Oberbürgermeister als auch sein Stellvertreter weigerten, diese Zahlung zu leisten, wurden auch sie verhaftet und mit den beiden Polizisten nach Recklinghausen ins Gerichtsgefängnis gebracht. Gleichzeitig kam es zu einer Strafaktion gegen die Polizei. Die Armee umstellte die Bezirkswache in Bismarck und die Zentrumswache, auf der Oberwachtmeister Hutmacher zuletzt seinen Dienst versehen hatte, und stürmte sie. Die Besatzung beider Wachen, 31 Mann, wurden entwaffnet, mit Tritten und Kolbenschlägen misshandelt und dann im „Parademarsch“ nach Buer abgeführt. Von dort wurden sie in LKWs nach Recklinghausen gebracht und dort eingesperrt.“
Über die Stadt verhängten die Franzosen Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot, der Straßenverkehr wurde von 19 Uhr bis 7 Uhr morgens untersagt.
„Den Soldaten gelang es in nur drei Tagen, die Summe von 100 Millionen Mark einzutreiben. […] Zusätzlich hatten die Soldaten Leibesvisitationen an Passanten durchgeführt, und dabei größere Geldbeträge direkt beschlagnahmt. Nachdem die 100 Millionen eingetrieben waren, rückten die Soldaten, die im Volksmund nur noch die ,Inkassodivision’ genannt wurden, am 20. Februar wieder aus Gelsenkirchen ab.“
Unter den „Beutestücken“ der französischen Besatzer, die sie aus Gelsenkirchen gestohlen hatten, befanden sich auch Packen von städtischen Notgeldscheinen. Ende Februar wollten die französischen Soldaten ihren Geldraub im Amt Derne einlösen, doch die Stadt Gelsenkirchen hatte auf Grund dieses Raubes die Scheine bereits für ungültig erklärt und ließ in den Zeitungen vor der Annahme dieser Scheine warnen.
Überführung der Leiche nach Dorsten
Die Leiche des Schupo-Oberwachtmeisters Hermann Hutmacher wurde nach Dorsten überführt. Die Totenfeier in Gelsenkirchen, die Überführung nach Dorsten und die Beerdigung waren politische Demonstrationen der Bevölkerung und der Politiker gegen die Ruhrbesetzung.
„Nach einer Totenfeier wurde der aus Hardt bei Dorsten stammende Hutmacher in einer Prozession auf dem Landweg in seine Heimatstadt überführt. Tausende von Menschen säumten die Straßen, alle Geschäfte blieben geschlossen und aus Platzgründen musste die Trauerfeier auf einem Sportplatz abgehalten werden“ (Frank Jochims a. a. O.).
In Dorsten war es nicht anders, als Hermann Hutmacher am 17. Februar beerdigt wurde. Pfarrer Ludwig Heming schrieb in seine Chronik:
„Ein solches Begräbnis hatte Dorsten noch nicht gesehen. Die zahlreichen Leidtragenden wollten nicht nur ihre Teilnahme gegenüber der Familie bekunden, sondern gleichzeitig solle es ein flammender Protest gegen die Willkür unserer Feinde sein.“
In der Tat wurde dieses Begräbnis als Protest gegen die belgischen Besatzer in der Stadt benutzt. Alle Schulen wurden geschlossen, damit die Lehrer mit den Kindern – ganz gleich ob katholisch oder evangelisch – an der Beerdigung teilnehmen konnten. In den Trauerzug reihten sich auch die Seminaristen des Lehrerseminars, Kriegervereine der gesamten Umgebung mit Fahnen und Musikkapellen ein, die die Spitze des Zuges einnahmen. Dann folgten die Angehörigen, Stadtverordneten, Magistrat und die Bürger der Stadt und Umgebung. Die Geschäfte waren geschlossen, alle Werke und Betriebe in Dorsten hatten ihre Arbeit eingestellt. Die Agatha-Chronik berichtet:
„Die Glocken sämtlicher Kirchen läuteten. Ich nahm als Pastor die Einsegnung vor unter Assistenz der gesamten Geistlichkeit von Dorsten. Sängerbund und Gesellenvereinskapelle trugen Trauerweisen vor. Die ganze Handlung machte einen tief ergreifenden Eindruck. Zwischenfälle sind nicht vorgekommen, obschon die belgische Besatzung damit gerechnet hatte. Von auswärts hatten sie Panzerautos und mehrere Kompanien Soldaten herbeigeholt.“
Quellen:
Frank Jochims „Auf dem Weg zu einer demokratischen Polizei. Gelsenkirchener Schutzpolizei 1918-1928 in „Städtische Gesellschaft und Polizei“, hg. von Stefan Goch in der Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte – Beiträge, Band 12, Klartext 2002. – Chronik St. Agatha 1913 bis 1955, Dorsten (ungedruckt).