In ihnen waren Unanständigkeit und Gewinnsucht ganz offen vereinigt
Gebehochzeiten waren in Westfalen eine alte Form der Bauernhochzeit, wo die Gäste der Braut am Gebetisch ihre Gaben darbrachten. Die inhaltliche Bedeutung ist viel weiter gefasst und hat sich im Laufe der Jahrhunderte auch von der Hochzeit weg verselbstständigt. Geldschneiderei, die nichts mehr mit Hochzeiten zu tun hatte, liefen lange Zeit immer noch unter dem Begriff.
Auf nur einer Hochzeit: 31 Schinken 161 Taler und 23 Stüber
Hochzeiten sind traditionell immer Feste des Schenkens. Gaben wurden und werden dem Brautpaar für die Gründung eines Hausstands gegeben. Früher gingen die Hochzeiten weit über den Rahmen enger Familienfeste hinaus. Nicht nur die Bauerschaft, das ganze Dorf oder Städtchen wurden eingeladen. In manchen Geberbriefen, das sind die Verzeichnisse, wie viel jeder Gast dem Hochzeitspaar geschenkt hat, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in kleinen Ortschaften manchmal über 200 Geber verzeichnet. Oft wurde der Kreis der Teilnehmer mit Absicht weit gezogen, denn viele Gäste brachten viele Einnahmen. Ein Taler war die übliche Gabe, die der Durchschnittsgast zu zahlen pflegte. Nahe Verwandte gaben drei bis acht Taler, Nachbarn brachten traditionell den obligatorischen Schinken. Eine Hochzeit aus einer Bauerschaft des Vests brachte 1850 neben 31 Schinken 161 Taler und 23 Stüber zusammen. Nicht selten wurde durch diese Gaben das Brautpaar in die Lage versetzt, ihre erste „tragende Kuh“ zu kaufen und damit den Grundstock für ein gutes Auskommen zu legen.
Diese Art von Hochzeiten wurde von den Herzögen Arenberg verboten
Gebehochzeiten hatten immer etwas mit Wiedergeben zu tun. Denn man achtete genau darauf, dass man bei den Gebern mit „gleicher Münze“ zurückzahlte, wenn dort eine Hochzeit anstand. Daher wurde der Gebe- oder Gabenbrief sorgfältig aufbewahrt. Hatte man sich seiner „Rückzahlung“ entledigt, dann wurde dies im Gebebrief vermerkt, damit man nicht doppelt zurückzahlt. Wer bei seiner Hochzeit eine möglichst hohe Einnahme erzielen wollte, der sparte an der Bewirtung. Ein solches knauseriges Verhalten des Brautpaares wurde manchmal sofort „bestraft“, indem man einen abgenagten Knochen an die Decke hing. Weit boshafter waren die Nachreden oder sogar verklausulierte Anzeigen in der Zeitung, die nur die Eingeweihten verstanden. So ist in einer Ausgabe des „Recklinghäuser Wochenblatts“ von 1875 die Anzeige zu finden: „Eine Bauernhochzeit in S. – Deh säggen et wähn deh Eier ahl“. Das heißt: Wir haben dort nicht genug zu essen bekommen!
Unanständigkeit mit Gewinnsucht
Gebehochzeiten haben eine Jahrhunderte alte Tradition, die aber ebenso früh als Unsitte empfunden wurde. Die Obrigkeit bekämpfte und verbot sie. Im Münsterland wurden die „Schenkhochzeiten“ schon 1684 und 1694 bei einer Strafe in Höhe von fünf Gulden verboten. Im Jahre 1792 wurden sie wieder erlaubt, „da die Gaben manchem jungen Ehepaare die beschwerliche erste Einrichtung der Haushaltung erleichtern können“. Nach Auflösung der bischöflichen „Krummstab“-Länder Münster und Köln wurden die Gebehochzeiten von den Herzögen von Arenberg im Vest als „hochzeitliche Prellereien“ erneut verboten. Auch die Preußen, die das Vest 1816 übernahmen, erließen 1829 ein Verbot, das Bestand hatte. Die zu bezahlenden Geldstrafen in Höhe von 25 Talern für das Brautpaar und 10 Taler für den Gästebitter flossen in die Armenkasse. Ortsvorstände, Landjäger und Polizeidiener sollten Gebehochzeiten, von denen sie hörten, schon vorher unverzüglich verbieten. War die Hochzeit im Gange, sollte sie nicht gestört werden. In diesem Falle wurde beim Landrat Anzeige erstattet. Gebehochzeiten verselbstständigten sich zu reinen Umsatz-Veranstaltungen auch ohne Hochzeit. Regierungsrat Franz Bracht auf Haus Dillenburg bei Datteln, der 1824 als Privatmann mit einer Anzeigen-Kampagne in den Zeitungen gegen die Gebehochzeiten zu Felde zog, meinte, dass sich in dieser Unsitte Unanständigkeit mit Gewinnsucht vereinige:
„Ich betrachte diejenigen, welche künftig noch Gebehochzeiten veranstalten, als solche, die darauf ausgehen, andere zu verführen, als schädliche, ihren Stand beschimpfende, der Achtung, sowie der Schonung der Uebrigen unwürdigen Mitglieder.“
Als im Jahr 1832 „unter dem Vorwande seines schon vor Jahr und Tag errichteten Hauses“ eine Gebehochzeit veranstaltet werden sollte, erfuhr es Bracht, und die Gebehochzeit wurde verboten.
Gerichte befassten sich mehrmals mit den so genannten Gebehochzeiten
Die Unsitte der Gebehochzeiten, die gar keine Hochzeiten mehr waren, wurden auch auf Kindstaufen angewandt, viele „Paten“ in die Kirche eingeladen, danach in der Schänke gegen „Gaben“ Kaffee und Branntwein ausgeschenkt. Das Kind wurde währenddessen als Alibi in der Schankstube in eine Wiege gelegt. Um 1840 kam das so genannte „Flachsbitten“ auf. Nachbarn und andere wurden unter dem Vorwand, beim Flachsspinnen zu helfen, eingeladen. Als Dank gab es dann Schnaps und Tanzlustbarkeiten. In Oer hatte der Schullehrer für eine solche Veranstaltung seine Schule zur Verfügung gestellt. Noch in den 1890er-Jahren verschickte ein „Abgebrannter“ folgendes Einladungsschreiben:
„Da mir diesen Sommer auch mein Haus abgebrannt ist und ich nur das Haus in die Versicherung hatte, so bin ich willens am Samstag ein Fest zu veranstalten, wozu ich Sie ergebenst einlade.“
Das Kreisgericht in Dorsten musste sich mehrmals mit „Gebehochzeiten“ befassen, weil der Unterschied zwischen den verbotenen Gebehochzeiten und den normalen Hochzeiten schon längst verwischt war. Das Dorstener Gericht hat nach mehreren Untersuchungen das Thema 1859 vom Grundsatz her beurteilt. Die Merkmale einer Gebehochzeit lägen dann nicht vor, wenn bei der Einladung die ausdrückliche Aufforderung zu Verabreichung von Geschenken unterblieben sei, möchten auch am Hochzeitstage Geschenke verabreicht worden sein. In solchen Fällen hätte daher Freispruch erfolgen müssen. Die Grenze zwischen echten Familienfesten und kommerziellen Gebehochzeiten waren ohne behördliche Untersuchungen oft nicht mehr zu unterscheiden.
Polizei beschlagnahmte die Gästelisten
Dorstens Bürgermeister erklärte, dass es in seinem Bezirk seit einigen Jahren nicht mehr zu Gebehochzeiten gekommen sei. Dagegen vermerkte der Landrat, dass gleichwohl verbotene Veranstaltungen ohne Störung stattgefunden hätten und stattfänden. Nach der Vernehmung eines Gästebitters aus Polsum gab es polizeiliche Ermittlungen und Gästelisten wurden beschlagnahmt. „Männer von Ansehen“ gründeten Vereine gegen die Unsitte der Gebehochzeiten. Im Jahre 1833 wurden dann mehrere solcher Vereine im Regierungs-Amtsblatt lobend erwähnt. – Gebehochzeiten überdauerten trotz aller strengen Verbote des 19. Jahrhunderts. Selbst die Polizei drückte, oft mitfühlend und mitfeiernd, ein Auge zu.