Gewerbe / Industrie

Ständige Kriege brachten die einst blühende Stadt an den Rand des Ruins

Früher vor dem Eingang der Dorstener Maschinenfabrik (Eisengießerei)

Früher vor dem Eingang der Dorstener Maschinenfabrik (Eisengießerei)

Auf Grund der günstigen Verkehrslage konnte sich die Stadt rasch zu einem blühenden Handels- und Gewerbezentrum entwickeln (siehe Verkehrswesen). Um ihre Einkünfte zu vermehren, erwarb die Stadt besonders in der Zeit von 1380 bis 1450 ausgedehnte Ländereien und errichtete eigene gewerbliche Einrichtungen, die sie verpachtete. 1498 besaß die Stadt drei Kornmühlen als Bannmühlen (Benutzungszwang für Dorstener Einwohner), im 16. Jahrhundert eine Lohmühle und eine Ziegelei. Eine weitere wichtige Einnahmequelle waren die Zölle (Lippe-, Wege-, Brückenzoll) und verschiedene Steuereinnahmen. Gehandelt wurde vor allem mit Holz, Vieh, Getreide, Textil- und Lederwaren sowie mit hier gebauten Schiffen. Der wöchentliche Kornmarkt war der einzige im Vest. Die finanzielle Blüte erlebte die Stadt im 16. Jahrhundert. Dann brachen viele Kriege aus, die Einquartierungen und hohe Kontributionszahlungen nach sich zogen und die Stadt an den Rand des Ruins brachten.

Napoleons „Code Civil“ brachte neben Toleranz auch die Erwerbsfreiheit

Codé Napoleon

Codé Napoleon

Das in französischer Zeit eingeführte Gesetzeswerk „Code Civil“ (auch Code Napoleon genannt), das Preußen zum großen Teil übernahm und das Eingang gefunden hat in die nachfolgende Gesetzgebung, enthielt wesentliche bürgerliche Rechte wie das Recht auf Eigentum, Freiheit der Person, Freizügigkeit und Erwerbsfreiheit. In einer Denkschrift von 1802, vermutlich von Regierungsrat Billmann verfasst, beschreibt dieser den Zustand des Bürgertums in den Städten des Vests (Recklinghausen und Dorsten):

„Es gibt in den Städten nur Müßiggänger oder Gelehrte; die Söhne der beispiellosen Menge der Advokaten schämen sich, etwas anderes zu werden als ebenfalls gelehrte Männer, und die so genannten Ungelehrten, die vom kärglichen Ertrag ihrer Äcker leben können, tuen entweder gar nichts, oder, wenn sie davon nicht leben können, so werden sie Krämer und behalten ihre Äcker bei: [… so gibt] es in Dorsten und Recklinghausen nur kleine Höker, Tuchwebereyen, wovon im benachbarten Essen große Fabriken sind.“ 

Gilden verloren im 19. Jahrhundert an Einfluss

Die Abschaffung der feudalen Gesellschaftsstrukturen ging nach der Niederlage Napoleons mit den Reformen des Freiherrn vom und zum Stein weiter. Sie waren inspiriert von den Analysen des schottischen Nationalökonomen Adam Smith über den Ursprung des Reichtums der Nationen. Die Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft und der Niedergang der Zünfte setzten allmählich auch in Dorsten die Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft frei. Schon 1798 hatte der kölnische Kurfürst verfügt, der Siamosenfabrikant Rensing dürfe sein Gewerbe ausüben, ohne dass seine Weber Gildenmitglieder sein mussten. Die Gewerbefreiheit brachte einen Aufschwung der wirtschaftlichen Betätigung. Gegen Ende des Jahrhunderts war über die Hälfte der Bevölkerung in Gewerbe und Industrie tätig.

Papiermühle Barloe

August Bagels Papiermühle am Barloer Busch (später Drahtwerke)

1796 gründete de Weldige eine Baumwollspinnerei (erloschen vor 1816), die Kaufleute Xaver Rensing und J. Cremer sowie Wilhelm Timmermann Tabakfabriken. Um 1806 entstand die Kattunfabrik des Kaufmanns Vaerst, die vor 1831 wieder aufgelöst wurde. Noch heute besteht die 1836 von Johannes Josef Breil gegründete Orgelbauanstalt. Vor 1816 gründete August Bagel eine Maschinenspinnerei, die bis 1860 bestanden hat, und 1838 die Papierfabrik, aufgelöst 1876. 1850 wurde in der Wenge, in der Gälkenheide sowie auf dem ehemaligen Frintropschen Hof Raseneisenerz gefunden und in wenige Meter tiefen Gruben abgebaut. Die Bauern Frintrop und Schlagenwert fuhren im Winter das Erz zur Gutehoffnungshütte nach Sterkrade. Aus der 1849 von Reischel und Evelt gegründete Kattunfabrik entstand die Kokosweberei DeKoWe und 1850 gründete der Recklinghäuser Buchdrucker Mescher die heute als Druckerei Hülswitt bekannte Druckerei und den Verlag des „Dorstener Wochenblatts“, aus dem sich die „Dorstener Volkszeitung“ und die heutige „Dorstener Zeitung“ entwickelten (siehe Zeitungswesen).

Liste der Gewerbetreibenden im Jahr 1828 mit 445 Namen

Briefbogen 1895

Briefbogen Firma Otto Duesberg 1895

Im November 1828 erstellte die Stadt Dorsten für die königliche Regierung in Münster eine Liste mit allen Gewerbetreibenden in der Stadt und in Altendorf-Ulfkotte. Sie umfasst insgesamt 445 Namen und tabellarische Eintragungen. Fehlerhafte Schreibweisen sind nicht auszuschließen. Die Namen: Dietrich Abel, Albert Ahmann, Arnold Albers, Bernard Albers, Hermann Albers, Johann Albers, Josef Albers, Franz Averbeck, Heinrich Averbeck, Josef Averbeck, Stephan Baumann, Wilhelm Baumann, Josef Becker, Nicolaus Belhustege, Johann Bellendorf, Johann Besten, Wilm Bierbaum, Johann Bitter, Witwe Bitter, Wilhelm Bitter, Wilhelm Böhmer, Heinrich Bockmann, Hnr. Bömheyer, Anton Breil, Heinrich Bresser, Adolphus Bröckerhoff, Carl Albert Bröckerhoff, Dietrich Brockmann, Bernard Buchholz, Josef Buchholz, Bernard Burbaum, Josef Burbaum, Wilhelm Calcum, Stephan Circel, Hermann Circel, Andreas Dass, Josef Deegen, Heinrich Deutmann, Karl Deutmann, Wilhelm Dickmann, Gerhard Diebken, Ferdinand Dornemann, Josef Dornemann, Theodor Doormann, Arnold Drecker, Caspar Duckerhoff, Arnold Duckerhoff, Otto Duesberg, Heinrich Eckel, Samson Nathan Eisendrath, Heinrich Erwig, Johann Erwig, Johann Fitting, Heinrich Friedrich, Hermann Fülbies (Riegeler), Jacob Geiger, Bernard Glaser, Adam Glaser, Goswin Glaser, Bernard Grewing, Gottfried van Halfern, Anton Haarmann, Lewi Heiman, Johann Heming, Anton Hesselmann, Brd. Hesselmann, Georg Heuwing, Johann Heuwing, Anton Hoffmann, Hnr. Homann, Bernard Horlemann, Heinrich Hüfer, Johann Hürland,  Johann A. Hürland, Anton Hutmacher, Gottfried Hutmacher, Hermann Hutmacher, Friedrich Hutmacher,

Zeche Baldur in Holsterhausen um 1912

Zeche Baldur in Holsterhausen um 1912

Wilhelm Jansen, Josef Jochmaring, Laurenz Kammann, Anton Keifer, Johann Keller, Franz Kottendorf, Johann Kreickmann, Johann Kribber, Johann Kuberg, Engelbert Lamheiker, Theodor Leenders, David Levi, Jacob Levi, Hnr. Lieber, Mathius Lieber, Johann Lochmann, Arnold Loickmann, Hnr. Meiners, Josef Meinken, Josef Mergelkamp, David Moses, Aloys Müller, Johann Müller, Josef Neen, Josef Niehaus, Benedette Nitribit Gotthelf Nöhring, Brd. Nösing, Johann Oestmann, Hermann Ohmann, Bnd. Osterloh, Wilhelm Ostrop, Adam Oswald, Hermann Overkamp, Ferd. Papenheim, Wilhelm Papenheim, Moritz Papenheim, Josef Pootmann,   Jakob Hnr. Prenger, Johann Püttmann, Johann Rademacher, Josef Rademacher, Peter Rademacher, Bernd Radloff, Bernard Ratte, Ferdinand Ratte, Franz Ratte, Johann Reckmann, Herm. Reckmann, Franz Reffmann, J. H. Rensing, Vinzenz Rensing, Walter Rensing, Hnr. Renter, Wilhelm Ribbekamp, Heinrich Ridder, Franz Risse, Johann Wilhelm Rive, Josef Römer, Adolphus Rotthoff, Hermann Ruhler, Carl Rüping, Franz Rüping,

Inserat Reifeisenion der Dorstener Zeitung vom 21. Januar 1924

Inserat Reifeisenion der Dorstener Zeitung vom 21. Januar 1924

Meyer Salomon, Wilhelm Sander, Bernard Schenke, Heinrich Schenke, Heinrich Schetter, Conrad Schey, Giörg Schlenkert, Arnold Schmitz, Bernard Schmitz, Jean Schmitz, Adolph Scholven, Hnr. Schreiber, Theodor Schulte, Theo Schulte, Franz Schulte, Wilhelm Schulte Nover, Carl August Schürholz, Hnr. Schürholz, Ludwig Schürholz, Anton Schwane, Theodor Serres, Johann Siegeler, Johann Storp, Johann Sudmann, Gottfried Telgte, Bnd. Tenderik, Josef Terbrüggen, Arnold Terlunen, Josef Terlunen, Wilhelm Timmermann, Franz Timphaus, Albert Tinnefeld, de Tratow, Johann Vilette, Josef Vogel, Johann Völting, Anton Vosselmann, Hermann Weber, Heinrich Wehling, Josef de Weldige-Cremer, Hnr. Wemhoff, Philipp Westheller Adolph Wieking, Josef Wilkes, Herz Wolf, Clemens Wolters, Heinrich Wolters, Anton Wulf, Bernard Wulf, Heinrich Wulf, Franz Zimmermann.

Dorstener Pfahlbürger: Außerhalb der Stadt lebende Städter. Bernard Fallböhmer, Heinrich Haake, Haverländer, Bernard Hünerschulte, Josef Hüsken, Heinrich Hüttermann, Johann Junk, Johann Kreutz Kemper, Johann Klapheck, Johann Kröppelkamp, Johann Theodor Küpper, Gebrüder Lips, Adolph Schmees, Johann Vosberger, Wootzkowski.
Altendorfer: Besten, Brenkfort, Fahnenbrock, Fimpert, Josef Föcker, Görtz, Anton Hilgenberg, Jahns, Hüttemann, Vennebusch, Weskamp (siehe auch Hausierer).

Industrialisierung und fabrikmäßiges Gewerbe in Dorsten

Dachpappenfabrik Dr. Kohl

Dachpappenfabrik Dr. Kohl in der Miere

In der Hauptphase der Industrialisierung lösten Industriebetriebe die vorherrschende Textilindustrie ab. Es entstanden 1865 die Dorstener Gasfabrik, 1870 die Teerproduktionsfabrik (danach Dachpappen- und Teerproduktionsfabrik Dr. Kohl), 1874 die Eisengießerei und Maschinenfabrik AG, 1882 eine Papierfabrik, 1887 die Chemische Fabrik Duesberg, 1887 Kokosweberei Stevens und Schürholz (DeKoWe), 1890 die Bleicherei R. Paton, 1891 die Honigfabrik Müller, 1892 die Glas- und Spiegelmanufaktur (ab 1913 Glashütte), 1896 Getränkeniederlage Krietemeyer, 1897 das Sand- und Tonwerk, Quarzwerk, 1899 die Bergwerke Baldur und 1906 Fürst Leopold (siehe Bergbau), vor 1900 die Holzhandlung Klapheck, 1904 die Metallwerke Kleinken, 1904 das Eisen- und Presswerk, 1911 die Deutsche Keramitwerke, 1920 der Rohrleitungsbau Döpp,

Polsterei Engel 1964; Foto: Stadtarchiv

Polsterei Engel 1964; Foto: Stadtarchiv

1921 die Fabrik für Baumwollfabrikate Thomas, 1921 die Drahtzieherei Renzing, 1924 die Dorstener Drahtwerke Brune, 1927 die Polstermöbel und Matratzenherstellung Engel, 1928 der Heizungsbau Klingebiel, 1929 die Elektromotorenwerke Diegner und Schade, 1930 die Möbelfabrik Agnes und Theo Elsenbusch (siehe eldo), 1932 die Chemische Fabrik, später Geflügelverarbeitung Dr. Koch, vor 1933 die Ziegelei Ridderbusch, 1933 das Malergeschäft Stewing (ab 1950 Betonwerk), 1940 die Zimmerei und Hausbau Nachbarschulte, 1946 die Kleiderfabrik Lefert, 1946 die Polstermöbel und Matrazenfabrik Jendrian, 1946 die Kofferfabrik Lehmann, 1951 der Holzbau Kretschmer, vor 1952 der Ventilatoren- und Apparatebau Turbon, 1953 die Gaserzeugung als Organgesellschaft der Ruhrgas AG, 1953 die Autolackiererei Krietemeyer, 1957 der Fernmeldebau Baumann, 1950 die Coca-Cola-Abfüllung Krietemeyer, vor 1962 das Bekleidungswerk Schulten, 1964 das Spanplattenwerk, 1965 der Schaumstoffhersteller Metzler, 1966 die Fabrik für Herrenanzüge Brungsberg. Die meisten der auch in jüngerer Zeit gegründeten Firmen sind bereits erloschen (zusammengestellt nach Handelsregister AG Dorsten und Handelskammer Münster).

Bis 2001 war die Zeche Fürst Leopold nach der Stadtverwaltung der größte Arbeitgeber. Die eldo-Küchen, der Nachbarschulte Ideal Bau, Fernmeldebau Baumann GmbH, die elektrotechnische Fabrik Diegner & Schade, das Metallwerke Franz Kleinken und die Kokosweberei DeKoWe, die Dachpappenfabrik Dr. Kohl, die Dorstener Drahtwerke sowie das b+f-Fertighauswerk waren bzw. sind führend unter den Dorstener Industriebetrieben.


Quellen:
Dr. Volker Rodekamp in „Museum der Stadt Dorsten“, Dorsten 1981. – Wolf Stegemann „Die Dorstener Gewerbetreibenden und Hausierer im 19. Jahrhundert“ in „Wirtschaftsblätter NRW“ 2005.

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