Der Anfang: Eine marode Villa und ein Jonglieren mit der Bausubstanz
Im Jahr 2017 bestand das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten ein Vierteljahrhundert. Das ist nicht nur ein Grund, das kulturelle „Erfolgsmodell“ in der Stadt Dorsten, so, wie es sich entwickelt hat, lobend zu würdigen, sondern die 25 Jahre regen auch zu einem Rückblick an. Ein Erinnern an die Anfänge, wie es anfing, als eine Handvoll Dorstener Bürger unter Leitung von Wolf Stegemann zuerst mit Skepsis, dann aber mit tatkräftiger Unterstützung der Stadt, des Kreises und des Landes eine alte abbruchreife Villa aus der Jahrhundertwende 1900 zum Jüdischen Museum Westfalen machten. Diese kleinen Gruppe Dorstener Bürger war der harte Kern der Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“, die seit 1982 die Zeit des Nationalsozialismus unter Federführung von Wolf Stegemann erforscht, aufgearbeitet und publiziert hat. Der Gruppe gehörten neben Stegemann noch Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel, Sr. Johanna Eichmann, Anke Klapsing und Christel Winkel an. 1985 hatte die Gruppe zusätzlich eine Ausstellung über den Nationalsozialismus erarbeitet und im Bildungszentrum der Stadt gezeigt. Danach stellte sich die Frage, wohin mit der Ausstellung, die auf große Resonanz gestoßen war. Also wurden Räumlichkeiten in der Stadt gesucht, was gar nicht so einfach war.
Mit Bürgermeister Ritter auf der Suche nach geeigneten Räumen
Wolf Stegemann erinnert sich, wie er mit Bürgermeister Heinz Ritter im Eckhaus an der Essener Straße 19 durch die verstaubten leeren Räume auch unterm Dach gekrochen ist, um das Gebäude auf die Tauglichkeit für ein ständiges Ausstellungshaus für den Nationalsozialismus zu prüfen. Es war das städtische Geißler-Haus, das später für andere Zwecke ordentlich renoviert wurde. Dieses und weitere Objekte wie das Torhaus am Brunnenplatz, Räume im damaligen Wasser- und Schifffahrtsamt und das ehem. Lehrerseminar an der Katharinenstraße fanden keine Gegenliebe, da Stegemann bereits – doch noch unausgesprochen – die Idee hatte, zusammen mit der NS-Dokumentation auch die Geschichte des Judentums in Texten und Bildern dazustellen, also ein Museum. Da Stegemann täglich an dem verfallenden Haus „Südwall 13“ vorbeifuhr, wenn er zur Redaktion fuhr, sah er sich das zum Abbruch bereits festgelegte städtische Haus an und war entsetzt über den Gestank und das wegbröckelnde Mauerwerk. Doch das Haus hatte einen eigentümlichen Reiz. Es wurde das künftige Museum. Nachdem das Land NRW für ein Jüdisches Museum Westfalen die finanzielle Unterstützung zugesagt hatte, beauftragte der Vorstand des Trägervereins die Mitglieder Wolf Stegemann und Christel Winkel die umfassenden Aufgaben zur Errichtung und Einrichtung des Museums einzuleiten, zu übernehmen und zu überwachen. Dazu gehörten die Gespräche mit dem Bauamt der Stadt, der Landesregierung bzw. der NRW-Stiftung, mit Architekten und beteiligten Baufirmen. Nebenstehendes Bild: Baubesprechung von links: Wolf Stegemann (Vorstand), Horst Huber und Egon Cosanne (Fachingenieure, Technik), Willy Lohbreyer (Hochbauamt), Bernd D. Romswinkel (Architekt), Diethard Wehrmann (Hochbauamt), nicht auf dem Bild: Wolfgang Müller (Kulturamt).
Das Land NRW gab dem Projekt eine hohe finanzielle Priorität
Das Land gab dem Projekt trotz enger Kassenlage höchste Priorität und bewilligte den Zuschuss in der geforderten Höhe. Auch später eingereichte Nachfinanzierungsanträge der Stadt als Eigentümerin des Hauses bewilligte das Land sofort mit dem höchsten Zuschusssatz. Finanziell bestens ausgestattet, sahen der Vorstand, der den Vorstand beratende Architekt Norbert Wünstel (Marl), der von der Stadt beauftragte Architekt Bernd D. Romswinkel (Dorsten) sowie die Stadt als Bauherrin dem Beginn des Umbaus ermutigt entgegen. Inzwischen wurden auf Anregung des Bauausschusses des Rates der Stadt Dorsten eine behindertengerechte Erschließung des Hauses (Aufzug u. a.) und auf Anregung des Museumsamtes der Einbau des für Museen heute nicht mehr wegzudenkenden Temperiersystems beschlossen, was rund 300.000 DM Mehrkosten verursachte. Altbauten zu sanieren, ist immer ein Abenteuer. Wer wüsste das jetzt – nach zweijähriger Bauzeit – nicht besser als alle Beteiligten, die am Umbau des desolaten Wohnhauses zum technisch perfekt eingerichteten Museum beteiligt waren.
Viele Unwägbarkeiten verteuerten den Umbau der Villa
Viele Unwägbarkeiten, die mit der Sanierung des Altbaus verbunden waren, dünnten die Finanzdecke des Projekts aus. Das Hochbauamt der Stadt Dorsten hatte hier keine leichte Aufgabe zu bewältigen, zumal es stets zwischen den Stühlen saß: zwischen den notwendigen Forderungen und Wünschen des Trägervereins und dem Ratsbeschluss, keinen Pfennig mehr, als für das Projekt genehmigt, auszugeben. In dieser Zeit wurden in der Stadt auf Parteiebene Stimmen laut, das ganze Projekt wieder einzustellen. Doch die Vernunft, es weiter zu betreiben, war stärker. Großen Wert legten der Trägerverein als zukünftiger Betreiber des Hauses sowie das Museumsamt auf Sicherungsmaßnahmen und konservatorische Einrichtungen. So wurden die Fenster mit einbruchsicherem Glas und UV-Schutz ausgestattet, das gesamte Haus mit Einbruchmeldern und Kameras innen wie außen ausgestattet. Eine direkte Alarmleitung wurde zur Polizei gelegt. Das Museum gehörte zu den ersten Kommunalmuseen in Westfalen, in dem ein neu entwickeltes technisches Konzept, die Temperierungsmethode, zur Anwendung kam, mit der die nachteiligen Auswirkungen konventioneller Technik vermieden werden. Mit dieser Methode, deren Wirksamkeit nach langjähriger Anwendung in vielen süddeutschen Museen als zweifelsfrei nachgewiesen gilt, steht ein Verfahren zur Verfügung, das eine durchgreifende Verbesserung der Klimabedingungen in Museumsräumen bewirkt. Es basiert auf der bauphysikalischen richtigen Wärmeverteilung im Raum durch ständige direkte Abgabe geringer Wärmemengen an die Gebäudehüllflächen mittels einer an diese Flächen gebundenen Führung der Wärmeträger. Andere Behörden und Unternehmen zogen mit: Der Kreis Recklinghausen bei der Gartengestaltung, Büsche und Bäume stiftete der Kommunalverband Ruhrgebiet, die Lehrlingswerkstatt der Zeche Fürst Leopold/Wulfen fertigte das Eisentor mit der Aufschrift „Schalom“ an und viele andere stifteten, darunter viele Privatpersonen spendeten für das Projekt. Die NRW-Stiftung stellte über 250.000 DM für den Ankauf von Exponaten zur Verfügung. Der Kreis Recklinghausen und der „Ruhr Nachrichten“-Verlag in Dortmund finanzierten das Herstellen der Vereinszeitschrift „Schalom“.
Nach zwei Jahren war es dann soweit: Eröffnung 1992
Nach zwei Jahren Bauzeit und einem höher als vorgesehenen Kostenaufwand von mittlerweile rund 2,2 Mio. DM ist in Dorsten ein Museum entstanden, das in Westfalen einmalig ist. Sr. Johanna Eichmann OSU übernahm nach ihrer Pensionierung als Schulleiterin des Gymnasiums St. Ursula die Leitung des Museums. Wolf Stegemann schrieb damals (Auszug):
„Es wird eine Ergänzung und Bereicherung der Darstellung westfälischer Geschichte sein, und es zeigt, dass ein solches Projekt nicht an Zentren wie beispielsweise Münster gebunden ist, sondern dass auch die Provinz durchaus in der Lage ist, Standort überregionaler Einrichtungen zu sein, ohne dies plakativ zu betonen. Der Standort Dorsten ist für das Jüdische Museum Westfalen bestens geeignet… Mit dem Jüdischen Museum Westfalen hat Dorsten in der Region an Attraktivität gewonnen.“
Helmut Knirim, damals Leiter des Westfälisches Museumsamts in Münster, urteilte bei der Eröffnung 1992 ähnlich (Auszug):
„Der ,Verein für jüdische Geschichte und Religion’ als Träger des Museums und die Stadt Dorsten eröffnen nunmehr das Jüdische Museum Westfalen. … Garant für das Gelingen war die seit Jahren tätige Forschungsgruppe Regionalgeschichte/Dorsten unterm Hakenkreuz, die bereits beachtliche Ergebnisse ihrer Tätigkeit, u. a. die Erforschung der jüdischen Geschichte im Vest Recklinghausen, in Publikationen vorlegen konnte. Noch ist das Jüdische Museum Westfalen ein kleines Haus, dessen Bedeutung aber nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wird hier doch erstmals der Versuch unternommen, die Geschichte, das Leben und die Kultur der Juden in Westfalen darzustellen…“.
2001 wurde das Museum durch einen Anbau wesentlich erweitert und die Konzeption den neuen Räumlichkeiten angepasst.
Einige Zeitungsartikel über das Museum nach der Eröffnung:
Siehe auch: Jüd. Museum (Übersicht)
Siehe auch: Jüd. Museum III
Siehe auch: Jüd. Museum II
Siehe auch: Jüd. Museum: Altgebäude
Siehe auch: Dr. Kathrin Pieren
Quelle:
„Schalom“, Sonderausgabe „Bauzeitung“, gefördert von den „Ruhr-Nachrichten“ Dortsmund und vom Kreis Recklinghausen, Juni 1992.