Sängerchor des Dorstener Gymnasiums verschwand im Baumstamm
„Ravenseiche“. Die Stileiche vor dem alten Pastorat in Erle ist mit 1.600 Jahren der kostbarste Baum in Westfalen. Es ist nur noch der Rindenmantel vorhanden, der Schaft ist vollständig hohl. Die Krone misst einen Umfang von etwa 50 m. Durch eine Öffnung konnte man bis vor kurzem noch in den Hohlraum des Baumes gehen (heute wegen Beschädigungen nicht mehr erlaubt). 1819 nahm der Kronprinz von Preußen im Baum sein Frühstück ein. Das Stamminnere bot 36 Infanteristen in feldmarschmäßiger Ausrüstung Platz, ein andermal verschwand ein ganzer Sängerchor des Dorstener Gymnasiums im Innern der Eiche, 1851 saß der Bischof von Münster mit elf anderen Geistlichen an einem runden Tischen mitten im Baumstamm. Die Eiche stammt noch aus heidnischer Opferzeit (Ravenseiche = Rabeneiche). Der Rabe war das Zeichen des Gottes Odin. Das in der Nähe liegende Gehöft heißt noch heute Askamp (Asen = Götter) und der Pfarrhof die „Wehme“. Überliefert ist, dass die Eiche früher ein Freistuhl war, eine Gerichtsstätte. Die Verhandlungen fanden bis zum 16. Jahrhundert unter freiem Himmel und unter dem Baum statt. Delikte, über die dort verhandelt wurden, waren Schwerverbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Viehraub und Brandstiftung. 1441 verfemte Freigraf Bernd de Duiker unter der Eiche die Brüder Diepenbrock wegen Schöffenmordes.
1965 stabilisierte ein Baumchirurg die mittlerweile mit einem Zaun umgebene Femeiche und stützte sie mit Stangen, die im Jahre 2000 erneuert werden mussten, da sie ein orkanartiger Sturm beschädigt hatte.
Die Femeiche ist jetzt offiziell Nationalerbe und darf in Würde altern
Seit Ende Oktober 2021 ist die Erler Femeiche einer von zwölf Nationalerbe-Bäumen in Deutschland – und der Erste in Nordrhein-Westfalen. Als erster Baum im Land wurde die Erler Stieleiche (Quercus robur) vom Kuratorium Nationalerbe-Bäume in der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG; Verein für Baumkunde) wegen ihrer Einmaligkeit und Besonderheit zum zwölften Nationalerbe-Baum in Deutschland ernannt. In einem Festakt in Erle referierte Andreas Roloff, seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls für Forstbotanik an der Technischen Universität in Dresden, über die Baumbiologie der etwa 800 bis 1000 Jahre alten Erler Eiche. Der heute nur noch elf Meter hohe Baum weist in 1,30 Meter Höhe einen Stammumfang von 12,45 Metern aus. Gemeinsam mit Bürgermeister Tesing enthüllte der Wissenschaftler eine Tafel zum „Nationalerbe-Baum“. Die Eva-Mayr-Stihl-Stiftung (Waiblingen/Baden-Württemberg) hat verbindlich zugesagt, alle anfallenden Kosten für zunächst fünf Jahre zu übernehmen.
Nachdem der Gemeinde Fördermittel in Höhe von 250.000 Euro zugesagt wurden, wird die Gemeine Raesfeld im Jahr 2024 die Umgestaltung des Femeichen-Geländes vornehmen. Dafür eingeplant sind Ausgaben in Höhe von 670.000 Euro. Das Vorhaben ist ein Element der Dorfentwicklung.
Heimatverein möchte von Besuchern Anregungen – auch Kritik
Die Femeiche hat seit April 2018 ein eigenes Gästebuch. Das ist ein kleiner brauner Holzkasten, der neben einem Hinweisschild von der Natur- und Vogelschutzgruppe des Heimatvereins angebracht wurde. Im Kästchen ist ein angeschraubtes Gästebuch, das bereits rege genutzt wird. Nicht nur Lob, sondern auch Anregungen und vielleicht Kritik möchte der Heimatverein von den Besuchern erfahren.
„Überregionale Bedeutung“ – Autobahn-Tafeln weisen den Weg
Der Heimatverein Erle hat sein Ziel erreicht: Ende Dezember 2022 erteilte die Autobahn GmbH die Erlaubnis, an der A31 touristische Tafeln aufzustellen, die auf die Femeiche in Raesfeld-Erle hinweisen. Im Mai 2023 wurde festgelegt, wo genau sie aufgestellt werden sollen. Da die Femeiche nahe der A31 laut eines Expertengremiums der Autobahn Westfalen GmbH „ein touristisches Ziel überregionaler Bedeutung“ ist, werden die Schilder an der Autobahn auf den Baum hinweisen. Aufgebaut werden sollen die Hinweistafeln auf der A31 zwischen Dorsten-West und Lembeck – genauer gesagt bei Kilometer 18,9 in Fahrtrichtung Bottrop sowie bei Kilometer 13 in Fahrtrichtung Emden. Autofahrer haben so die Möglichkeit, die A31 bei Schermbeck zu verlassen, um nach Erle zu fahren und die Femeiche zu bestaunen. Die Standorte wurden offiziell angeordnet. Der Aufbau der Tafeln, so die Autobahn GmbH, soll noch 2023 erfolgen.
Erstes Hinweistafel für die Femeiche an der A31 steht seit 2024
Die erste Hinweistafel für den Nationalerbe-Baum mit der Erler Femeiche an der A31 steht. Wie angekündigt, wurde die Tafel bei Kilometer 13 zwischen Lippe und der Abfahrt Schermbeck in nördlicher Fahrtrichtung aufgebaut. Das Schild besteht aus Aluminium. Reinhard G. Nießing freute sich sehr, als er es sah, und machte sogleich ein Foto: „Was lange währt, wird endlich gut. Es hat sich gelohnt, das dicke Brett zu bohren“, schreibt er. Schon im Jahr 2022 hatte er sich für die Idee eingesetzt. Der Kostensprung erfolgte innerhalb von 14 Jahren von 12.000 auf 50.000 Euro für zwei Schilder. Damit kostet das Schild 25.000 Euro. 16.250 Euro kommen aus dem Topf zur Förderung der Struktur und Dorfentwicklung des ländlichen Raums unterstützt.
Der Rest wird von der Bürgerstiftung Raesfeld-Erle-Homer getragen
Für eine zweite Tafel hatten die hohen Kosten dem Heimatverein Erle bislang einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eine Kostensteigerung seit 2008 lasse sich unter anderen mit der Preissteigerung begründen, bei der es vor allem in den vergangenen Jahren im Bausektor bis zu 20-prozentige Steigerungen gab, hieß es zuletzt seitens der Autobahn GmbH des Bundes.
Erste Arbeiten an der Erler Femeiche sind abgeschlossen
Das Femeichen-Gelände im benachbarten Erle wurde im Februar 2024 verändert. Rund um das ehemalige Pfarrhaus am Ekhornsloh wurden durch ein Unternehmen viele Bäume und Sträucher entfernt. Durch die geplanten Maßnahmen, die im Rahmen des Dorfentwicklungskonzepts erarbeitet und auch entsprechend gefördert wurde, konnte die Femeiche sichtbarer gemacht und die Aufenthaltsqualität rund um den Nationalerbe-Baum in Erle gesteigert werden. Weitere Arbeiten folgen.
Führungen September 2024 „Freigraf Bernd de Duiker“ gestoppt
Seit drei Jahren veranstaltet Heimatforscher Carlo Behler ganz besondere Führungen an der Femeiche in Erle. Doch damit wurde im September 2024 erst einmal Schluss gemacht. Alleine im vergangenen Jahr waren es 18 dieser außergewöhnlichen Events, die Carlo Behler in mittelalterlicher Gewandung als Freigraf Bernd de Duiker durchführte. Dabei erführen die Besucher jede Menge über die Tätigkeit des Vorsitzenden eines Femegerichts, den Ablauf einer solchen Verhandlung und vor allem Wissenswertes zur Geschichte des tausendjährigen Nationalerbe-Baums. Anschließend ging es dann ins nahegelegene Heimathaus an der Silvesterstraße zur Femeichen-Ausstellung, wo die Informationen über den Baum anschaulich erweitert wurden. Doch mit der 13. Führung am 8. September hat das ein vorläufiges Ende gefunden. „Es macht momentan einfach keinen Sinn mehr“, beklagt Behler. Dabei mangele es ihn weder an Motivation noch habe das Besucherinteresse nachgelassen. Grund für die Zwangspause seien vielmehr die Bauarbeiten, die dem Baum immer näher rückten. Das ganze Areal wird in den nächsten Monaten neugestaltet.
„Bislang hatten wir immer vor den Führungen bei der Gemeinde angefragt und dann wurde uns der Bauzaun aufgeschlossen“, so Behler. Beim Durchschreiten des Bauzaundurchgangs fanden die Besucher trotz der Arbeiten noch ein attraktives Refugium rund um den alten Baum vor. Doch mit dem weiteren Näherrücken von Maschinen und Materialien sei die Umgebung momentan einfach nicht mehr attraktiv. Natürlich soll es baldmöglichst weitergehen mit den Führungen, aber der Heimatforscher bleibt auch Realist: „Ich glaube nicht, dass alle Arbeiten einschließlich der Neubepflanzungen in diesem Jahr abgeschlossen werden.“ Die nächste Führung avisiert er daher erst für das kommende Frühjahr an. Untätig in Sachen Femeiche ist Behler aber dennoch nicht: Dankbar nahm er vor wenigen Tagen eine Einladung der Evangelischen Frauenhilfe in die Friedenskirche in Dorsten-Hardt an. Den gut 40 interessierten Frauen hielt er genau jeden Vortrag, der sonst nur an der Femeiche geboten wird. Und das natürlich stilecht im Kostüm des Freigrafen Bernd de Duiker.
Quelle: turo in DZ vom 23. September 2024. – math in DZ vom 30. November 2024