Bahn: Eisenbahnlinien

Der König von England passierte den Bahnhof von Hervest am 25. Sept. 1901

Von Wolf Stegemann – Der schon 1835 gebaute Dorstener Bahnhof erhielt seine heutige Gestalt 1877. Das letzte Teilstück einer internationalen Fernstrecke mit rund 90 Kilometern Länge von Haltern über Wesel nach Venlo wurde 1874 in Betrieb genommen. Es ist die von der Cöln-Mindener Eisenbahn gebaute Strecke der „Hamburg-Venlo-Eisenbahn“ und Teil der Fernstrecke Hamburg-Paris. So hieß denn auch der Ausgangsbahnhof in Hamburg folgerichtig Pariser oder Venloer Bahnhof.

Heute nur noch nostalgisch

Heute nur noch nostalgisch

Endpunkt der Bahnlinie war Winterswijk

Der mächtig erstarkende Bergbau im Ruhrgebiet war um die Mitte des 19. Jahrhunderts gezwungen, neue Absatzgebiete zu erschließen, um eine möglichst große Rentabilität zu erzielen und weitergehende Pläne zu verwirklichen. Da kam dem Ruhrgebiet das Interesse der Holländer an der Revierkohle gerade recht. Aus Holland wurde weit mehr Kohle bestellt, als der Bergbau auf dem Wasserweg dorthin befördern konnte. Deshalb tauchte schon bald der Plan auf, das Ruhrgebiet mit dem holländischen Osten mit einer Eisenbahn zu verbinden. Damit wollte man nicht nur den Absatz nach Holland fördern, sondern gleichzeitig auch das westliche Münsterland schienenverkehrstechnisch erschließen, um auch dorthin Kohle liefern zu können. Die Bahn sollte von Gelsenkirchen nach Ostholland führen. Die Holländer nannten als Endpunkt der Bahnlinie Winterswijk. Beide Länder hatten großes Interesse an dem Zustandekommen der Bahnlinie. Es bildete sich zunächst die Westfälisch-Niederländische Eisenbahngesellschaft, die trotz vieler Finanzierungsprobleme alles daran setzte, das Projekt voranzutreiben. Im Jahr 1877 war es dann soweit. Die Genehmigung zum Bau der Bahnstrecke von Gelsenkirchen über Dorsten nach Winterswijk in Holland wurde erteilt, und im gleichen Jahr konnte mit dem Bau begonnen werden. 1879 eröffnete die Rheinische Eisenbahn eine rund 175 km lange Strecke von Duisburg über Dorsten nach Coesfeld und Rheine nach Quakenbrück, um dort für das Netz der Oldenburgischen Staatsbahn Anschluss nach Wilhelmshaven und zur Nordsee zu bekommen. Aus dem Jahre 1878 gibt es eine Statistik, derzufolge am Dorstener Bahnhof in diesem Jahr 31.055 Personen abgefahren und 32.887 Personen angekommen sind.

Drei Eisenbahndirektionen waren zunächst für Dorsten zuständig

1880 wurde eine weitere Strecke über Dorsten in Betrieb genommen: Erstmals verkehrten Züge der Bergisch-Märkischen Eisenbahn auf dem 59 km langen Schienenstrang der Westfälisch-Niederländischen Eisenbahn von der Braubauerschaft Schalke (Zeche Bismarck) mit dem Zielort Winterswijk in den Niederlanden, um Kohle dorthin zu bringen. Der Bau der Eisenbahnlinien in Dorsten war stets begleitet von Streitigkeiten der Grundeigentümer, die ihr Land entweder nicht oder nur zu einem höheren Preis hergeben wollten und schließlich enteignet werden mussten. Nach Übernahme der Eisenbahnlinien durch den preußischen Staat wurde die Zuständigkeit für Dorsten zunächst auf drei Eisenbahndirektionen verteilt: Köln (rechtsrheinisch) für die Hamburg-Venlo-Strecke, Köln (linksrheinisch) für die Duisburg-Dorsten-Quakenbrück-Strecke, Elberfeld für die Bismarck-Dorsten-Winterswijk-Strecke.

Bahnhof Hervest-Dorsten Im Jahr 1914

Die in den Bahnhöfen Dorsten und Hervest-Dorsten ausgehängten Fahrpläne zeigten 1897 als Zielorte London-Victoriastation ebenso an wie Vlissingen an der Scheldemündung, Stendal, Den Haag, Berlin, Wien und Antwerpen. Fernzüge ratterten durch den Bahnhof Hervest-Dorsten. Das „Dorstener Wochenblatt“ berichtete: „Dorsten, 25. September 1901. Heute früh 5 Uhr 10 Minuten passierte der König von England auf seiner Rückreise den Bahnhof von Hervest-Dorsten.“ Später wurden die Fernverbindungen ins Revier verlegt. Heute liegen im Hervest-Dorstener Bahnhof noch zwei Gleispaare als Rest einer einst blühenden Eisenbahnzeit. 1912 wurden am Dorstener Bahnhof 249.600 Fahrkarten verkauft. Die Bahn- und Güterstation hatte 1913 insgesamt 93 Beschäftigte, darunter einen Oberbahnhofvorsteher, drei Weichensteller der 1. Klasse und vier Lokomotivführer.

Bahnlinien brachten Belebung für die Stadt

Für Dorsten brachte die Eisenbahn eine gewaltige Belebung des Verkehrs und trug zur Entwicklung der gesamten Stadt in besonderem Maße bei. Die damals noch recht verschlafene Lippestadt wurde zum Ausfalltor des Südens und zum Einkaufszentrum für das nahe gelegene Münsterland, dessen Bevölkerung für Einkäufe bis dahin auf weite Reisen angewiesen war. In den kommenden Jahrzehnten konnte die Stadt den Ruf noch weiter verstärken. Erst der Zweite Weltkrieg, in dem auch die Eisenbahnbrücken zwischen Dorsten und Hervest-Dorsten zerstört wurden, setzte dieser Tradition ein Ende, die durch die Eisenbahn begründet worden war.

Einstellungen des Güter- und Personenverkehrs

Zum Andenken an die ehemalige Bahntrasse in Holsterhausen – heute ein Radweg, Foto: JF

1960 stellte die Deutsche Bundesbahn den Personenverkehr zwischen Dorsten und Osterfeld-Nord ein, zwei Jahre später die Strecke Haltern-Wesel. Die Stilllegung der Verbindung zwischen Hervest und Dorsten erfolgte 1971 und die Einstellung des gesamten Güterverkehrs nach Bottrop-Nord 1974, nach Schermbeck 1985 und nach Haltern 1988. Die ehemalige Bahntrasse nach Schermbeck wurde in den 1990er-Jahren zu einem Fahrradweg umgebaut. 2001 übertrug die Deutsche Bahn AG (vormals Deutsche Bundesbahn) den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) an die private Prignitzer Eisenbahn und fünf Jahre später übernahm die Nordwestbahn weitere Leistungen des ÖPNV.

Vertrag verlängert: Nordwestbahn fährt bis mindestens 2021

Die Nordwestbahn hat sich bei der Neuausschreibung des Emscher-Münsterland-Netzes durch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und den Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe durchgesetzt. Das betrifft auch Fahrgäste aus Dorsten. Auf den beiden Linien RE 14 (Borken-Dorsten-Essen) und RB 45 (Coesfeld-Dorsten) ist die Nordwesbahn bereits seit Dezember 2006 unterwegs. Ende 2018 läuft der Verkehrsvertrag planmäßig aus. Durch den erneuten Zuschlag werden die blau-gelben Fahrzeuge des Unternehmens aber nun bis mindestens Dezember 2021 im Verkehrsnetz „Emscher-Münsterland“ unterwegs sein. Das Emscher-Münsterland-Netz umfasst 1,1 Millionen Zugkilometer im Jahr. In einer ersten Betriebsphase werden die Linien wie gewohnt weiterbedient. Ab Dezember 2019 wird der RE 14 zusätzlich bis Essen-Steele verlängert. Damit verbunden ist ein Ausbau des Fahrzeugpools der Nordwestbahn.

Deutsche Bahn übernimmt die Dorstener Strecken der Nordwestbahn

Eine Eisenbahn-Ära in Dorsten endete 2006, eine neue begann: Die Bahnstrecken Essen-Borken (RE 14) und Coesfeld-Dorsten (RB 45) wurden seinerzeit von dem Unternahmen Nordwestbahn übernommen, denn die Deutsche Bahn als vorherige Betreiberin hatte das Ausschreibungsverfahren für die beiden Strecken verloren. Ab November 2026 wird die Bahn-Tochter DB Regio die die Strecken bis 2040 wieder übernehmen und damit wieder als alleiniges Unternehmen an den Dorstener Bahnhöfen verkehren. Der VRR hatte zusammen mit dem Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) die Strecke neu ausgeschrieben. Auch die Nordwestbahn, die vor ein paar Jahren mit Personalproblemen zu kämpfen hatte und deshalb wegen häufiger Zugausfälle und Verspätungen in die Kritik geraten war, hatte sich dafür erneut beworben. Die DB Region hatte aber das „wirtschaftlichste Angebot“ abgegeben, Vier weitere Bahnstrecken gehörten zum Gesamtpaket der Ausschreibung – darunter ab 2028 auch die RB 43 (Emschertalbahn) zwischen Dorsten und Dortmund, auf der bereits schon jetzt die Deutsche Bahn AG verkehrt.

Lokführerstreik Dezember 2023: Statt Bahn fuhren Busse, RB 43 entfiel

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte Anfang Dezember 2023 erneut zum Ausstand ausgerufen. Der Warnstreik, der auch Pendlern von und nach Dorsten zu schaffen machte, hatte auch Folgen für die Rhein-Ruhr-Bahn, die mit dem RE 14 Coesfeld mit Dorsten und Borken über Dorsten mit Essen verbindet. Die Rhein-Ruhr-Bahn hatte für den 8. Dezember (Freitag) einen Bus-Ersatzverkehr eingerichtet. In Dorsten fuhr der erste Bus um 4.58 Uhr in Richtung Essen vom ZOB ab. Alle zwei Stunden startete danach bis 22.58 Uhr am Dorstener Hauptbahnhof ein Bus in Richtung Essen. In die Gegenrichtung fuhren Busse ab 4.09 Uhr am Essener Hauptbahnhof ab. Der letzte startete in der Nacht zu Samstag um 0.09 Uhr. Der Teil der Linie zwischen Dorsten und Coesfeld wurde am 8. Dezember  ebenfalls von Bussen bedient. Sie fuhren allerdings nur im Drei-Stunden-Takt, in Dorsten beginnend um 7.41 Uhr. Letzte Abfahrt war um 19.41 Uhr. Die von der Bundesbahn betriebene RB43 zwischen Dorsten und Wanne-Eickel fiel am Streiktag wegen des GDL-Streiks komplett aus. Ab 10. Dezember (Sonntag) wurde auf dieser Linie zwischen Dorsten und Herne wegen Brückenarbeiten ohnehin ein Schienenersatzverkehr eingerichtet, der bis zum 22. Dezember aufrechterhalten wurde.

Finale Eskalationsstufe: 4. März 2024 Streikankündigung – Standpunkt

Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, hatte am 4. März einen sogenannten Wellenstreik angekündigt. Das heißt: Zunächst wird für 35 Stunden die Arbeit niedergelegt – im Personenverkehr geht es am Donnerstag, 2 Uhr, los. Danach sollen weitere Ausstände folgen, die dann aber mit verkürzter Vorwarnzeit durchgezogen werden. Weselsky hatte betont, dass es so der Deutschen Bahn (DB) unmöglich gemacht werden sollte, Notfahrpläne zu erstellen. Das war die finale Eskalationsstufe in einer Tarifauseinandersetzung, in der sich beide Seiten derart angifteten, dass Kompromisse nur noch schwer möglich waren. Im Zentrum: Weselsky. Der Gewerkschaftsführer mit dem großen Ego wollte sich vor dem Ruhestand ein Denkmal setzen, wollte zudem GDL-Chef werden, der es geschafft hatte, die 35-Stunden-Woche im Bahnkonzern umzusetzen. Doch das wollte das Bahnmanagement ihm nicht gönnen. Weselsky wusste von Anfang an um die Widerstände. Er hatte sich deshalb eine Art Rückversicherungsstrategie zurechtgelegt. Er hatte mit kleineren Eisenbahnunternehmen Verträge ausgehandelt, welche die 35 Stunden festklopften. Allerdings unter der Bedingung, dass es bei der DB eine entsprechende Vereinbarung geben wird. Immer in der Hoffnung, dass sich der Staatskonzern irgendwann gezwungen sieht, nachzuziehen. Das hat die Bahn längst durchschaut und machte deshalb genau da nicht mit. Mit den Streikwellen kann sich die GDL-Streikkasse relativ schnell leeren, und auch der Ko-Finanzier der Ausstände, der Deutsche Beamtenbund (DBB), könnte schon bald finanziell klamm sein. Die Folge könnte die Aufkündigung der Kooperation mit der GDL sein. Und Weselsky würde zum Opfer seines eigenen Egos.

GDL-Lokführer legen ab 7. März 2024 den Personenverkehr lahm

Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat weitere Streiks bei der Deutschen Bahn angekündigt. Der erste Streik werde am Abend des 6. März um 18 Uhr im Güterverkehr beginnen und am nächsten Tag um 2 Uhr im Personenverkehr, sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Montag in Berlin. Dieser erste Streik soll demnach 35 Stunden lang sein. Darauf würden weitere Streiks folgen, sagte Weselsky; er kündigte „Wellen-Streiks“ an. Die Gewerkschaft werde darüber aber nicht mehr 48 Stunden vorab informieren. Fast zeitgleich müssen sich auch Fluggäste der Lufthansa auf Ausfälle und Verspätungen einstellen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi rief das Bodenpersonal der Airline vom 7. bis 10. März für insgesamt 59 Stunden zum Streik auf.


Quellen: Wolf Stegemann in RN (heute DZ) vom 10. August 1985. – DZ vom 5. März 2024

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