Stadt wollte Sozialbestattungen von Dorstenern preisgünstig im Ausland
Von Wolf Stegemann – In heidnischer Zeit wurde in der Region feuerbestattet. Zwischen den Bauerschaften Wenge und Sölten ist 1888 ein Hügel umgegraben worden, in welchem sich 60 Urnen mit verbrannten Knochen befanden. In christlicher Zeit wurde auf dem Kirchplatz beerdigt, weil die Kirchen meist an der Stelle ehemaliger heidnischer Kultstätten erbaut waren. Der Kirchhof diente auch Gerichtssitzungen und wurde wegen seiner Umfriedung Friedhof genannt. In Dorsten war anfangs der Kirchplatz an der Agathakirche der Begräbnisort. Einige Familien hatten Anspruch darauf, in der Kirche selbst bestattet zu werden. Für sie beschloss der Rat 1781 unter dem Mittelgang der Agatha-Kirche ein Gewölbe anzulegen. 1746 erhielt der Totengräber für eine Beerdigung in der Kirche 40 Stüber, für ein Kind, das noch nicht zur Kommunion gegangen war, 7 ½ Stüber.
Tote Dorstener Soldaten an der Kirche bestattet
Die in Fehden und Kriegen für Dorsten gefallenen Nichtdorstener, auch Fremde, die hier verstarben, bestattete man auf einem Platz im Süden außerhalb der Mauern. Die sechs bei dem siegreichen Gefecht 1382 getöteten Merfelder, wurden dort „vor dem Nikolausbilde“ begraben, während die acht gefallenen Dorstener auf dem Platze an der Kirche in der Stadt beerdigt wurden. Deshalb musste die Prozession am Vorabend der „Streitfeier“, die aus Anlass dieses siegreichen Kampfgeschehens jährlich stattfand, „to Grave ghaen eyrsten [erstens] by den Dodengrave vor Sunte Nicholas Belde und dar (dann) ume den Kerichoeff“. Später führte besonders die Vielzahl der Toten der hessischen Besatzung und der kaiserlichen Belagerung Dorstens während des Dreißigjährigen Kriegs zur Benutzung dieses Platzes im Süden der Stadt, für den sich damals der Name „Soldatenkirchhof“ einbürgerte. Die letzte Beerdigung neben der Agathakirche fand 1784 statt, dann wurde der Friedhof infolge kurfürstlicher Verordnung geschlossen:
„Liebe Getreue! Da wir gnädigst gemeint sind, euch nicht allein die Beerdigung der Todten in den Kirchen zu verbieten, sondern auch die Kirchhöfe außerhalb denen Städten verlegen zu lassen; So habt Uns ihr eueren gehorsamsten Bericht darüber ehestens gehorsamst zu erstattet, welcher Platz hierzu für dasige Stadt am tauglichsten seye? Wir verbleiben euch mit Ganden gewogen. Gegeben Bonn, den 10ten Brachmondes, 1785. Aus sonderbarem Seiner kurfürstl. Durchlaucht gnädigstem Befehl.“
Fortan durfte nur noch auf dem alten schon auf dem Merian-Stich von 1647 abgebildeten „Soldatenkirchhof“ außerhalb der Stadt beerdigt werden, der somit Gemeindebegräbnisplatz wurde. Dieser historisch wertvolle Friedhof wurde 1975 für den Straßenbau und den Bau des Jugendheims Altstadt an der Bovenhorst aufgehoben, planiert und überbaut. In der Bauphase stiegen Kinder in die Grüfte und holten Knochen und Totenköpfe heraus, fanden alte Uniformknöpfe und Gürtelschnallen. Heute gibt es noch einen kleinen Rest des später erweiterten Friedhofs zwischen. Häusern versteckt sowie das Bedauern der damals Verantwortlichen, diesen stadtgeschichtlich wertvollen Ort vernichtet zu haben. Der verstorbene Stadtdirektor Dr. Zahn bekannte sich in den letzten Jahren zu diesem „großen Fehler“.
Nachbarschaftsverein Hervest übernimmt Bestattungsrituale
Der um 1910 gegründete Hervester Nachbarschaftsverein, dem heute rund 260 Familien in Hervest angehören, hatte die Aufgabe, in Not geratene Nachbarn mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ein Sterbefall reichte damals oft schon aus, die gesamte Familie in wirtschaftliche Not zu stürzen. Nach den Vereinsstatuten wusste jeder, was im Todesfall in einer Familie zu tun war. Die Nachbarn kleideten den Toten ein, hüllten ihn in ein weißes Leintuch, das Nachbarn stellten und das jederzeit abrufbereit aufbewahrt werden musste. Auch besorgten sie den Sarg. Ein Bauer in der Nachbarschaft stellte für die Fahrt zum Friedhof ein Gespann („Flechtenwagen“) zur Verfügung. Der erste Vorsitzende des Vereins, Heinrich Hütter, blieb es 37 Jahre lang. Jährlich traf sich die Nachbarschaft am Tag St. Johannes, am ersten Werktag nach Weihnachten, damit der Vorstand den Mitgliedern Rechenschaft ablegen konnte. Stirbt heute jemand in Hervest, deren Familie der Notgemeinschaft angehört, zahlt jedes Mitglied drei Euro für die Familie des Verstorbenen, Witwen zahlen die Hälfte. Handelt es sich bei dem Verstorbenen um ein Kind bis zu sechs Jahren, beträgt der Beitrag die Hälfte. Tritt ein Todesfall ein (im Jahr etwa fünfzehn Mal), werden die Kassierer des Vereins in die 15 Bezirke ausgeschickt. Männer des Vereins müssen sich bereithalten, den Sarg zu tragen. Der Notnachbar, also der unmittelbare Nachbar, bestimmt die Träger.
Neue Bestattungsformen im Holsterhausener Waldfriedhof
Mit 100.000 Quadratmeter Fläche ist der kommunale Waldfriedhof in Holsterhausen der größte Friedhof in Dorsten. Mit einem 2011 eingeweihten neuen Urnenhaus mit 270 Urnenstellplätzen („Kolumbarium“) in der Trauerhalle und dem Entwurf für eine komplette Neukonzeption sollen hier in Zukunft auch alternative Bestattungsformen ermöglicht werden. Finanziert werden soll die Neukonzeption mit dem Titel „Raum, Licht, Leben“ aus den Mitteln des Konjunkturpakets. Gräber sollen stärker in gestaltete „Landschaften“ und Themenfelder eingebettet werden – mal erkennbar mit persönlichem Gedenkstein, mal unauffällig mit einem Sandsteinfindling, anonym oder traditionell. Möglich wäre in Holsterhausen auch die Einführung von Bestattungen unter Bäumen, als „Friedwald“ bekannt. Diese Form gibt es bisher in Dorsten nicht.
Sparen bei Bestattungen zum Sozialtarif
Bei verstorbenen Bürgern, die keine Verwandten mehr haben und sich sonst niemand um ihre Beerdigung kümmert, muss die Stadtverwaltung für die Beisetzung sorgen. Aufgrund leerer Kassen will die Stadt solche „sozialen“ Beerdigungen noch billiger machen, was Kritiker als „menschenunwürdig“ bezeichnen. Das Dorstener Ordnungsamt übernimmt jährlich 20 bis 30 solcher Beerdigungsfälle zum Sozialtarif. Die Einsparungen sehen vor, dass die Urne mit der Asche des Dorstener Bürgers auch in einer anderen Stadt beigesetzt werden kann, wenn dort die Bestattung preisgünstiger ist. In Dorsten kostet die Beisetzung mit Urne und Grabpflege für 30 Jahre rund 1500 Euro, in Venlo (Niederlande) soll sich dieser Betrag beispielsweise auf nur 200 Euro belaufen. Die Stadt begründet ihre Sparmaßnahme mit dem Nothaushalt. Die Stadt Mülheim, die ebenfalls unter Haushaltssicherung steht, verbleibt dennoch bei der würdigen Bestattung ihrer Bürger vor Ort.
Nach heftigen Protesten von Kirchen und aus der Bevölkerung über das Vorhaben, Armenbegräbnisse von Dorstenern woanders stattfinden zu lassen, zog die Verwaltung diesen Sparvorschlag wieder zurück Für den Verband der Ev. Kirche sagte Pfarrer Günther Krüger in einer Stellungnahme, dass auch die evangelische Kirche „weiterhin ihren kostenfreien Beitrag leisten wird, Menschen, deren Beisetzung vom Ordnungsamt angeordnet wird, menschenwürdig zu bestatten.“ Krüger bekräftigte, dass nicht der Eindruck entstehen dürfe, in Dorsten würden Leichname „entsorgt“. Krüger weiter: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dies in unserer Stadt politisch gewollt ist.“ Bürgermeister Lütkenhorst hielt aber nicht das Vorhaben, Dorstener Arme womöglich in Holland bestatten zu lassen, für unwürdig, sondern zum Teil die Kritik, die daran geäußert wurde (Lütkenhorst: Ich will „nicht auf die zum Teil unwürdige und unhaltbare Kritik der letzten Tage eingehen“, WAZ vom 6. November 2012).
Stadtverwaltung verkalkulierte sich seit Jahren bei den Personalkosten
Die Friedhofsgebühren in Dorsten steigen 2021 um 1,5 Prozent. Doch dabei wird es nicht bleiben. Denn die Stadtverwaltung verkalkulierte sich um eine beträchtliche Summe, was den Personaleinsatz für die Instandhaltung und Pflege der städtischen Friedhöfe anbelangt. Die Kosten sind viel höher als kalkuliert. „Eine vollständige Berücksichtigung des höheren Personaleinsatzes bei den Gebühren hätte eine sehr hohe Gebührenerhöhung von rund 40 Prozent zur Folge“, so die Stadtverwaltung in ihrer Beschlussvorlage für den Bauausschuss zur Anpassung der Friedhofsgebühren. In ihrer falschen Kalkulationen ging die Verwaltung von elf Vollzeitstellen im Friedhofswesen und Personalkosten von insgesamt rund 686.600 Euro aus. Die Korrektur ergab allerdings für 2019 einen Arbeitseinsatz von fast 24.500 Stunden, was laut Verwaltung 16 Vollzeitstellen entspricht. Die Personalkosten steigen dadurch gegenüber der Kalkulation 2020 um mehr als 326.000 Euro auf knapp über 1 Million Euro. Wie man sich denn so verrechnen könne, wollten die Politiker im Bauausschuss von der Verwaltung wissen. Die Antwort des Stadtbaurats Holger Lohse: „Ich war selbst erstaunt.“ Eine Erklärung hatte er nicht. Die Stadtverwaltung wird jetzt überprüfen, wie mit dem Thema zu verfahren sei und es im zweiten Halbjahr 2021 wieder mit der Politik diskutieren. Stadtkämmerer Hubert Große-Ruiken warf noch ein, dass auch geklärt werden müsse, wie man mit der Unterdeckung in den Vorjahren umgeht und dass man das fehlende Geld normalerweise in Zukunft über die Gebühren reinholen müsse.
Alternative Bestattungskultur: Neben Kolumbarium auch „Waldgräber“
In letzter Zeit hat der Trend zur naturnahen Bestattung Aufwind bekommen, d. h. Bestattung im Wurzelbereich von Bäumen und Sträuchern. 2015 wies die Stadtverwaltung ein 1,4 ha großes Waldstück an der Grundstücksecke des städtischen Waldfriedhofs in Holsterhausen für ein Wald-Grabfeld mit 65 Bestattungsbäumen aus. Im Bereich dieser Bäume können jeweils zwölf Urnen von Verstorbenen beigesetzt werden, deren Namen mit Plaketten an den Bäumen angebracht werden können. Für die Realisierung wurden 65.000 Euro in den Haushalt 2015 eingestellt. Im städtischen Waldfriedhof am Tüshausweg in Holsterhausen wurde im November 2016 ein neues Feld für „Waldgräber“ eingerichtet. „Waldgräber“ sind das jüngste Angebot einer alternativen Bestattungsform. Denn die Trauerkultur unterliegt aus vielfältigen Gründen einer steten Wandlung. In der Vergangenheit wurden beispielsweise bereits Beisetzungen in pflegearmen Rasengräbern oder in einem Kolumbarium für Urnen ermöglicht.
Seit 2011 gibt es auf dem Waldfriedhof ein Kolumbarium
2011 entstand auf dem Waldfriedhof in Holsterhausen das erste Kolumbarium in Dorsten, auch bekannt als „Urnenwand“. Die Beisetzung von Urnen in den Kammern des Kolumbariums wird immer häufiger von gewählt. In diesem ersten Bauabschnitt wurden 87 Urnen in Wahlgrabkammern (mit mehreren Plätzen) beigesetzt sowie 88 in Einzelgrabkammern. Im zweiten Bauabschnitt wurde das vollständig belegte Kolumbarium 2020 um neue Plätze erweitert: 63 Urnen in Einzelgrabkammern sowie 216 Urnen in Wahlgrabkammern. Mit der Erweiterung sind in Dorsten nun wieder Kolumbarium-Plätze verfügbar. Die nächste Urnenwand wird auf dem kommunalen Friedhof an der Glück-Auf-Straße in Hervest entstehen.
Rasengräber für Partner bald auf allen kommunalen Friedhöfen
Die Stadt Dorsten plant 2021, auf allen kommunalen Friedhöfen die Bestattung in sogenannten Rasenpartnergräbern zu ermöglichen. Das gibt es bislang nur auf dem Waldfriedhof in Holsterhausen und auf dem Friedhof an der Glück-Auf-Straße in Hervest. Seit 2016 gibt es dort auf eigens dafür vorgesehenen Rasenfeldern Sargbestattungen, seit 2019 auch Urnenbestattungen. Das Angebot auf alle kommunalen Friedhöfen auszuweiten, ist der offenbar großen Nachfrage geschuldet. Immer mehr Menschen wollen möglichst pflegefreie Grabstätten in Dorsten, außerdem bevorzugen immer mehr Dorstener Urnenbestattungen. Allein im Jahr 2020 erfolgten rund 70 Prozent der 485 gebührenpflichtigen Beisetzungen auf den kommunalen Friedhöfen in pflegefreien Grabstätten, über 60 Prozent aller Verstorbenen wurden in Urnengrabstätten beigesetzt. Die Stadt Dorsten unterhält zurzeit sechs kommunale Friedhöfe mit einer Gesamtgröße von ca. 24 Hektar. Neben dem Waldfriedhof in Holsterhausen und dem Friedhof an der Glück-Auf-Straße sind dies die Friedhöfe in Altendorf-Ulfkotte und auf der Hardt sowie am Riedweg (Hervest) und am Schultenfeld (Wulfen-Barkenberg).
Quellen: Gespräch Wolf Stegemann mit Franz Brüggemann, Hervest, 1992. – Daniel Müller „Stadt will bei Bestattungen von Toten ohne Angehörige sparen“ in DZ vom 31. Oktober 2012. – Michael Klein „Beisetzung unter Bäumen“ in DZ vom 6. März 2015. – Robert Wojtasik in DZ vom 7. Jan. 2021.